Wie sicher ist Graphen?

Sind Produkte, die Graphen enthalten, auch sicher für Mensch und Umwelt? Ein umfassendes Review, entstanden im Rahmen des europäischen Graphen-Flagship-Projekts mit Beteiligung von Empa-Forschenden, ging dieser Frage nach.

Wabenförmige
Ein neues Review zeigt den aktuellen Forschungsstand zur Sicherheit von Graphen und verwandten Materialien im Hinblick auf die menschliche Gesundheit und Umweltauswirkungen. Quelle: arsdigital – stock.adobe.com. -

Graphen, eine einzelne Schicht aus hexagonal angeordneten Kohlestoffatomen, gilt als das Wundermaterial der Zukunft: Es ist gleichzeitig flexibel, transparent, stark, kann unterschiedliche elektrische Eigenschaften annehmen und hat die höchste Wärmeleitfähigkeit aller bekannten Materialien. Das macht es für unzählige mögliche Anwendungen äußerst interessant. Das hat auch Europa erkannt: Seit fünf Jahren läuft das Grossforschungsprogramm «Graphene Flagship», das sich dem Material widmet. Es ist die größte Forschungsinitiative, die Europa bislang auf die Beine gestellt hat – das zeigt die enorme Bedeutung von Graphen. 

Sicherheit graphenbasierter Materialien im Fokus

Doch bei aller Euphorie: Wie bei jeder neuen Technologie müssen auch die potenziellen Schattenseiten früh in Betracht gezogen werden. Früher wurde diese oft erst zu spät untersucht. Ein wichtiger Teil des Graphen-Flagships widmet sich deshalb der Frage: Sind graphenbasierte Materialien sicher für Mensch und Umwelt? Bis heute sind dazu im Rahmen des Flagships zahlreiche Studien entstanden. Empa-Forschende des Particles-Biology Interactions Lab an der Empa untersuchten etwa, wie sich Graphenoxid in der menschlichen Lunge, Magendarmtrakt oder an der Plazentabarriere auswirkt. In der Halbzeit des Graphen-Flagshipprojekts ist nun ein umfassender Review-Artikel erschienen, der die im Rahmen des internationalen Grossforschungsprojekts entstandenen Daten mit anderen publizierten Studien verknüpft und damit den aktuellen Wissenstand zum Thema Sicherheit von graphenbasierten Materialien aufzeigt.

Interaktion graphenbasierter Materialien mit dem menschlichen Körper

Partner aus 15 europäischen Universitäten und Forschungsinstituten wirkten am Review mit, darunter die Empa-Forscher Peter Wick und Tina Bürki.  Der Artikel gibt eine Übersicht darüber, wann im Lebenszyklus von graphenbasierten Materialien überhaupt Teile davon in die Umwelt oder den menschlichen Körper gelangen können: bei der Produktion, im Gebrauch, bei der Alterung oder im Entsorgungs- oder Recyclingprozess. Der größte Teil der evaluierten Studien widmete sich der Frage, wie graphenbasierte Materialien mit dem menschlichen Körper interagieren. Darunter fallen die unterschiedlichen Wege, wie die Materialien überhaupt in den Körper gelangen können, etwa durch Einatmen, Verschlucken oder über Hautkontakt, sowie die Verteilung auf und die Interaktion mit wichtigen Organen wie dem zentralen Nervensystem, Lunge, Haut, Immunsystem, Herz-Kreislauf-System, Magen-Darm-Trakt und Fortpflanzungssystem. 

Auswirkungen von Graphen auf Organismen und Umwelt

Nicht minder wichtig sind aber mögliche Auswirkungen von Graphen auf andere Organismen und die Umwelt. Dazu gehören Bakterien, Algen, Pflanzen, Pilze sowie Wirbellose und Wirbeltiere in verschiedenen Ökosystemen. Auffällig ist: Nicht alle Studien kommen zum gleichen Resultat. Das muss aber nicht daran liegen, dass die Qualität einzelner Studien mangelhaft ist: «Die Herausforderung ist, dass Graphen nicht gleich Graphen ist», erklärt Peter Wick, Leiter des «Particles-Biology Interactions Lab» an der Empa. Graphenbasierte Materialien können etwa aus einer oder mehreren Schichten bestehen, die Breite und Länge der Schicht kann variieren, und auch das Verhältnis von Kohlenstoff- zu Sauerstoffatomen kann unterschiedlich sein. Je nach Kombination dieser drei Parameter erhält man nicht nur ganz unterschiedliche Materialeigenschaften – auch die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt variieren stark. Das macht einfache, allgemein gültige Aussagen fast unmöglich. «Unser Ziel ist es daher, ein detailliertes Modell für einen Zusammenhang zwischen Struktur und bestimmten Eigenschaften zu erstellen», so Wick. Die sorgfältige Charakterisierung der untersuchten Materialien ist daher zentral.

Algorithmen zur Vorhersage biologischer Auswirkungen von Graphenstrukturen

Selbstlernende Algorithmen könnten künftig dabei helfen, aus den Daten ein Modell zu generieren, um die biologischen Auswirkungen einer bestimmten Graphenstruktur vorherzusagen.  Doch noch ist ein solches umfassendes Modell Zukunftsmusik. «Wir sehen uns hier als eine Art Geburtshelfer für die Bestimmung der Sicherheit von graphenbasierten Materialien und Produkten,» erklärt Wick. «Es gibt zwar immer mehr Studien und damit Hinweise dafür, wie graphenbasierte Materialien lebende Systeme beeinflussen – aber es gibt auch immer noch Wissenslücken. Diese müssen gefüllt werden, bevor wir eine klare Voraussage machen können, wie sich ein graphenbasiertes Material mit bestimmten Eigenschaften auf biologische Systeme auswirkt.» Damit soll ein neuer Standard für Behörden, Forschung und Industrie geschaffen werden, damit das Wundermaterial Graphen auch sicher eingesetzt werden kann.

Hersteller zu diesem Thema