Preisanstieg: „Wir sind in einer sehr unnatürlichen Situation“

Die Situation bei den Rohstoffen hält die Lackindustrie fest im Griff. Preise schossen in die Höhe und Verfügbarkeiten wurden knapp. Frank Schneider, Director Coatings & Construction IMCD Group, beschreibt die Lage aus seiner Sicht und erläutert dabei die Hintergründe, die zu der angespannten Situation beigetragen haben. Es handele sich nur um einen virtuellen und keinen tatsächlichen Bedarf, der zur Verknappung und zum Preisanstieg führte. Die nächsten Monate bleiben herausfordernd, eine Entspannung erwartet Schneider erst zum Jahresende.

Wir sprachen mit Frank Schneider

Wie bewerten Sie die derzeitige Situation auf dem Markt für Lackrohstoffe?

Frank Schneider: Das gesamte Thema hat einen ganz starken Bezug zur Pandemie. Daher muss man auch die Zeit von Anfang an berücksichtigen. Eine solche Situation ist beispiellos. So etwas hatten wir noch nie, nicht mal in der Finanzkrise 2008. Vor einem Jahr hatte man das Gefühl, alles bricht zusammen. Bestellungen sind eingebrochen und Lieferanten haben, wo es möglich war, Kapazitäten zurückgefahren.

Auf einmal wirkten sich mehrere Faktoren auf die Nachfrage nach, zum Beispiel, Bautenfarben aus. Nach einer kurzen Pause durften die Baumärkte öffnen. Das Wetter war gut. Die Menschen verbrachten mehr Zeit zu Hause und verfügten über mehr Freizeit. Die Rohstoffhersteller haben dann ihre Kapazitäten erhöht. Im dritten Quartal war der Lockdown in Deutschland vorbei und alles wirkte weitestgehend wieder normal. Im Vierten Quartal ging dann ein Hochfahren der Vorräte entlang der Wertschöpfungskette los.

Wieso hat sich die Situation dann aber wieder verschärft?

Schneider: Durch den anhaltenden Lockdown spitzte sich die Lage wieder zu. Viele haben Panik bekommen. Bestellungen wurden ab November runtergefahren. Die Erwartungshaltung war aber, dass es im Frühjahr wieder richtig los gehen würde. Zu diesem Zeitpunkt aber gab es keine bis, niedrige Lagerbestände und die Transportkapazitäten brachen ein.

Wenn es im Frühjahr aber wieder losgehe, müsse man dabei sein, denn dann geht die „Saison“ wieder los. Alle haben runtergefahren und mussten wieder hochfahren. Somit fingen auch alle an mehr zu bestellen – deutlich über den Mengen, die sie üblicherweise wollten und benötigten. Schätzungsweise 10-20 % mehr als sonst. Die Rohstoffhersteller konnten dieser gesteigerten Nachfrage aber nicht nachkommen. Aus diesem Grunde bestellten die Einkäufer ein bisschen mehr. So entstand eine Lawinenbewegung.

Können Sie bitte die Lawinenbewegungen konkreter beschreiben?

Schneider: Bei einer Vielzahl von Rohstoffen kam es zu einem Nachfrageproblem, welches Preiserhöhungen nach sich zog. Zudem erhöhte sich auch der Ölpreis und das Drosseln von Lieferungen aus China verschärften die Lage weiter. Der Nachfrageüberhang ist seit Januar da und multipliziert sich. Bestellungen wurden doppelt oder dreifach vorgenommen, um dann zu stornieren. Anstatt bei einer Quelle 100 Tonnen zu bestellen, wurden jeweils 100 Tonnen bei drei verschiedenen Lieferanten in die Auftragsbücher geschrieben. Es ist ein unnatürlicher Auftragseingang.

Als nächstes haben die Lieferanten die Preise erhöht. Viele Unternehmen nutzten die Situation aus. Aber es handelt sich nur um einen virtuellen und keinen tatsächlichen Bedarf. Es sind teilweise Volumen von 70 oder 80 % mehr bestellt worden. Die Märkte sind aber nicht um diesen Wert gewachsen. Wir sind in einer sehr unnatürlichen Situation, die Auftragsbücher sind voll, und jeder glaubt er oder sie müsse so viel produzieren wie möglich.

Im Quartalsvergleich ist die Nachfrage gestiegen, aber nicht explodiert. Man müsste die Menge von zum Beispiel dem zweiten oder dritten Quartal 2019 vergleichen, ergänzt um die Mengen, die 2020 weggefallen sind. Die doppelte Menge brauchen wir nicht im Markt.

Welche Rohstoffe sind besonders betroffen?

Schneider: Es betrifft alle Rohstoffe und die gesamte Wertschöpfungskette. Alle Preise gehen hoch. Es fängt bei den Basisrohstoffen an. Diese Preise sind gigantisch gestiegen und ziehen alles Weitere nach sich, damit die Margen nicht komplett unter Druck geraten. Wir erleben gerade Aufschläge von 20, 30 oder sogar 40%. Eine Erhöhung um 10-15% war die Regel im ersten Quartal dieses Jahres. Für bestimmte Produktgruppen lagen die Erhöhungen bei 30-40 %. Andere Produktgruppen waren und sind zum Teil auch nicht lieferbar. Es gab Streiks, Force Majeures, etc. Alles in einer solch angespannten Phase.

Bleiben Preise hoch und Verfügbarkeiten knapp?    

Schneider: Die Preisthematik wird uns über das ganze Jahr begleiten. Der Nachfrageüberhang wird sich aber regulieren. Vermutlich werden wir im zweiten Quartal ein normales Maß sehen und im dritten Quartal in normaleres Fahrwasser gelangen. Diese Volatilität in Bezug auf Preise und Verfügbarkeiten wird bleiben und sich auf den Markt auswirken. Jeder will die Preise 1 zu 1 weitergeben, um die Margen gleichzuhalten. Es stellen sich aber die Fragen: Wird der Verbraucher bereit sein diese Preise zu bezahlen? Macht die Automobilindustrie das mit? Sind die Rohstoffe so knapp, dass jeder Preis bezahlt wird?

Neben den eigentlichen Preisen für Rohstoffe haben wir aktuell auch die Situation, dass Transportkapazitäten runtergefahren worden sind und nicht so schnell hochgefahren werden können. Zusätzlich zu den Produktpreisen sind daher auch die Transportkosten gestiegen. Wir haben Kunden, die bezahlen jeden Preis, wenn termingerecht geliefert wird. Wo die Kostenübernahme eine Grenze hat, ist unklar.

Wird sich die Lage entspannen?

Schneider: Ich gehe davon aus, dass eine Entspannung im Laufe der nächsten 2-5 Monate eintritt und wir zum Ende des Jahres eine „Normalisierung“ der Situation erleben werden. Die Entspannungsphase wird sich aber unterschiedlich auf verschiedene Rohstoffgruppen auswirken. Einige werden in größeren Mengen zu niedrigeren Preisen verfügbar sein, andere nicht. Ein kontinentaler Versorgungsstrom wird wichtiger. Was über Kontinente hinweg geht wird in der Supply Chain ein Problem bleiben. Auch hier sehe ich eine Entspannung erst gegen Ende des Jahres.

Gilt dies für alle Regionen?

Schneider: In den USA sehen wir eine schnellere Entspannung. Die USA werden den Markt anziehen. Aber Rohstoffe, die von dort kommen, bleiben dort. In Asien bleibt China ein Wachstumsmotor. Bereits im dritten Quartal 2020 hat sich die Produktionsauslastung in China auf einem normalen Niveau eingependelt. Daher wird auch weniger nach Europa geliefert. Die benötigen die Rohstoffe selber vor Ort.

In Deutschland ist die Entwicklung der Automobilindustrie entscheidend. Alle waren sehr zurückhaltend. Firmen haben gespart, aber auch im privaten Bereich gab es keine großen Ausgaben. Im zweiten Halbjahr 2021 wird aber erwartet, dass die Nachfrage nach Autos deutlich höher ist als in 2020.

Wie wird es aus Ihrer Sicht weitergehen?    

Schneider: Es ist genügend Geld da, um in seine Lagerbestände zu investieren und sich zu bevorraten. Das ist ein ganz wichtiger psychologischer Aspekt. In dem Moment, wenn alles wieder normal ist, wollen alle gleich losschlagen. Daher sind die Lager voll. Als Beispiel kann man hier Spanplatten nennen. Diese sind in der Produktion ausverkauft, aber die Lager kurz vorm Kunden sind voll. Die Fertiglager der Lackproduzenten sind mit Sicherheit gut gefüllt.

Es wird keine Probleme in der Belieferung der Endkunden geben, sondern auf dem Weg zum Fertigprodukt. Das ist mein Gefühl. Es ist ein globales Thema, kein deutsches oder europäisches. Mit der Pandemie-Entspannung wird sich alles legen. Das dritte Quartal wird ein Lackmustest. 

Tipp: Aktuelle Rohstoffpreise für die Farben- und Lackindustrie erfahren Sie jederzeit im European Coatings Price Ticker.

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