Nicht jeder nachwachsende Rohstoff ist nachhaltig
FuL: Herr Raupp, vor kurzem hat BASF mit einer Pressemeldung das sogenannte Biomassenbilanz-Verfahren beworben. Dabei geht es unter anderem darum, Dispersionen durch die Verwendung nachwachsender Rohstoffe zu erzeugen. Was hat BASF zu dieser Entwicklung getrieben?
Dr. Nikolaus Raupp: Wir stellen bei unseren Kunden ein wachsendes Interesse an nachhaltigen Produkten, die mit Hilfe von nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden, fest.
FuL: Und wie funktioniert das Biomassenbilanz-Verfahren?
Raupp: Wir setzen die nachwachsenden Rohstoffe schon ganz zu Beginn der Produktionskette ein. Wir müssen also keine neuen Anlagen bauen, sondern können unsere bestehende Verbundstruktur ideal nutzen. Als erneuerbare Rohstoffe setzen wir Bionaphtha und Biogas ein.
„Die nachwachsenden Rohstoffe bilden die Basis für die chemische Produktion“
FuL: Wenn die nachwachsenden Rohstoffe mit den fossilen gemeinsam eingesetzt werden, entsteht am Ende also ein Mischprodukt, das dann zu einem gewissen Teil Bio und zu einem anderen fossil ist?
Raupp: Sie müssen sich das so vorstellen: Der Standort Ludwigshafen hat eine Fläche von mehr als 10 km² mit 160 Produktionsanlagen und einem über 2.800 km großen Pipelinenetzwerk. Die Mengen, die hier verarbeitet werden, sind also riesig. Der Anteil der eingesetzten Biomassemoleküle, die im Endprodukt ankommen, ist aufgrund der vielen Prozessstufen gering.
In einen Steamcracker, wo fast alle chemische Produktion ihren Anfang nimmt, wird kontinuierlich Naphtha eingespeist. Beim Biomassenbilanzverfahren führen wir auch Bionaphtha zu. Die daraus entstehenden Crackerprodukte werden dann als Ausgangsprodukte in allen weiteren Anlagenketten genutzt – das ist unser Verbundansatz. Die nachwachsenden Rohstoffe bilden also die Basis für die chemische Produktion u.a. auch unserer Dispersionen. Das heißt also, das Besondere an unserem Biomassenbilanz-Ansatz ist, dass wir am Anfang der Produktionskette nachwachsende Rohstoffe einspeisen.
F&L:Das ist also im Grunde mit Ökostrom vergleichbar? Dort weiß ich am Ende auch nie, wo mein einzelnes Elektron herkommt.
Raupp: So könnte man das sagen. Da wir die gesamte Wertschöpfungskette am Standort haben und daher alle technischen Daten kennen, können wir für jedes Produkt sehr genau zurückrechnen, wie viel wir am Anfang des Produktionsprozess einspeisen müssen. Die Verbindung zum Endprodukt entsteht also zum einen genau durch die rechnerische Zurückverfolgbarkeit über die Produktionszwischenstufen bis zum Bionaphtha – und zum anderen durch den Zertifizierungsstandard CMS 71 des TÜV Süd „Zertifizierung des Einsatzes Erneuerbarer Rohstoffe“. Unsere Kunden bekommen von uns ein Zertifikat, das den Einsatz nachwachsender Rohstoffe belegt. Das heißt, wenn unsere Kunden ein biomassenbilanziertes Produkt bekommen, können sie sicher sein, dass für dessen Produktion die entsprechende Menge fossilen Rohstoffs durch nachwachsende Rohstoffe ganz zu Beginn der Produktion ersetzt wurde.
„Nicht jeder nachwachsende Rohstoff ist per se nachhaltig“
F&L: Und wie wird Ihr Bionaphtha und Biogas gewonnen? Besteht hier ein Konflikt zur Lebensmittelproduktion oder werden hierzu große Monokulturen benötigt?
Raupp: Nein. Es ist für uns und unsere Kunden sehr wichtig, dass die Rohstoffe strengen Nachhaltigkeitskriterien entsprechen. Denn nicht jeder nachwachsende Rohstoff ist per se nachhaltig.
Bei dem von uns verwendeten Biogas ist die Herkunft sehr einfach zu erklären. Es besteht zu 100 % aus organischen Abfällen, die in der Regel sogar aus Deutschland stammen. Der Großteil der Reststoffe stammt aus der Landwirtschaft und aus Küchenabfällen.
Beim Bionaphtha arbeiten wir kontinuierlich daran, den Anteil, der aus Reststoffen gewonnen wird, so hoch wie möglich zu halten und weiter zu steigern. Hier kommen vor allem organische Abfälle zum Einsatz.
Es ist aber auch ein gewisser Anteil an Pflanzenölen enthalten, die als Nebenprodukte der Biodieselproduktion anfallen.
FuL: Und wie kontrollieren Sie, dass die Rohstoffe auch wirklich so gewonnen werden?
Raupp: Alle unsere Rohstoffe für den Biomassenbilanzansatz sind nach anerkannten Nachhaltigkeitskriterien zertifiziert. Damit diese von unserem Zertifizierer, das ist der bereits genannte TÜV SÜD, überhaupt zugelassen werden, müssen diese Rohstoffe der RED (Renewable Energy Directive) der EU entsprechen.
Mindestens einmal im Jahr, meist aber öfter, kommt der TÜV Süd zu uns und prüft zum Beispiel unser SAP-System und vollzieht die physischen Warenströme nach. Das geht so weit, dass zum Teil die Durchflussmesser in einzelnen Anlagen geprüft werden oder überprüft wird, dass wir geeichte Waagen verwenden. Darüber hinaus sind wir sind in konstantem Austausch mit diversen NGOs.
Beim Massenbilanzverfahren von BASF werden erneuerbare Rohstoffe am Anfang der Produktion eingesetzt.
„Je nach Rohstoff und Prozessen können wir bis zu 70 % Treibhausgasreduktion schaffen“
FuL: Nun werben Sie ja nicht nur mit nachwachsenden Rohstoffen, sondern vor allem auch damit, dass die Treibhausgasemissionen niedriger liegen. Um wie viel niedriger liegt ein Biomassenbilanz-Produkt?
Raupp: Wie bereits erwähnt, verlangt der Zertifizierungsstandard des TÜV Süd, dass die Rohstoffe alle EU RED-konform sind. Und diese Gesetzgebung erfordert, dass die nachwachsenden Rohstoffe ein Minimum von 35 % an Treibhausgasreduktion gewährleisten. Je nach Rohstoff und den weiteren Prozessen bis hin zum chemischen Endprodukt können wir aber auch wesentlich höher liegen und bis zu 70 % schaffen.
F&L: Noch einmal zurück zur eigentlichen Biomassenbilanz: sind alle Produkte immer auf 100% bilanziert? Oder kann der Kunde auch ein 50%-biomassenbilanziertes Produkt kaufen?
Raupp: Theoretisch können unsere Kunden frei wählen und wir können jeden gewünschten Prozentsatz rechnerisch abbilden. Die meisten Kunden wünschen jedoch, auf 100 % zu gehen.
„Die höheren Kosten für nachwachsenden Rohstoffe sind die größte Herausforderung“
F&L: Ein Produkt, das durch den Biomassenbilanzansatz zu 100 % mit Hilfe nachwachsender Rohstoffen hergestellt wurde, ist womöglich teurer als ein Mischprodukt. Wie sieht es mit der Wirtschaftlichkeit dieser Produkte aus?
Raupp: Im Verhältnis zu fossilen Rohstoffen sind die von uns eingesetzten nachwachsenden Rohstoffe, die nach anerkannten Nachhaltigkeitsstandards hergestellt wurden, wesentlich teurer.
Bei den Kosten für das biomassenbilanzierte Endprodukt ist dabei allerdings zu berücksichtigen, wie viele nachwachsende Rohstoffe wir tatsächlich dafür benötigen. Denn wir können natürlich auch nur die fossilen Bestandteile am Anfang der Produktionskette ersetzen.
Außerdem sind unsere Produkte in der Regel auch nur eine von vielen Komponenten, die der Kunde einsetzt. Insgesamt kann man schon sagen, dass die höheren Kosten für die nachwachsenden Rohstoffe die größte Herausforderung sind.
F&L: Das Produkt ist damit derzeit vor allem ein Premiumprodukt.
Raupp: Das ist aktuell noch der Fall, jedoch gibt es immer mehr Verbraucher, die einen besonderen Wert auf Nachhaltigkeit legen.
„Der Zertifikatspreis spielt momentan bei der Entscheidung für biomassenbilanzierte Produkte keine Rolle“
F&L: Betrachtet man die Themen CO2-Emissionen und Wirtschaftlichkeit gemeinsam, kommt man ja fast automatisch zum europäischen Handel mit CO2-Emissionsrechten. Spielen die Zertifikatspreise eine aktive Rolle dabei, die biomassenbilanzierten Produkte konkurrenzfähiger zu machen?
Raupp: Unser Eindruck ist, dass der Zertifikatspreis momentan bei der Entscheidung für biomassenbilanzierte Produkte keine Rolle spielt.
F&L: Bisher setzen Sie für das Verfahren Biogas und Bionaphtha am Standort Ludwigshafen ein. Hat BASF konkrete Pläne, das Verfahren an anderen Standorten oder mit anderen nachwachsenden Rohstoffen einzusetzen?
Raupp: Selbstverständlich. Wir arbeiten daran, den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen als Ausgangspunkt für unsere Produkte zu erweitern, sind mit verschiedenen Stakeholdern im Dialog. Langfristig verfolgen wir natürlich das Ziel, dieses Konzept weiter auszubauen.
Das Interview führte Jan Gesthuizen