Diisocyanat-Beschränkung: Die 0,1-Prozent-Grenze

Worauf sich die Branche aufgrund des REACH Restriction Dossiers für Diisocyanate einstellen muss, erläutern Dr. Joachim Petzoldt und Dr. Stefan Sommer von Covestro im Interview.

Im Mai 2018 hat die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) die Stellungnahme ihrer zuständigen Ausschüsse zur geplanten Beschränkung von Diisocyanaten abgegeben. Es wird erwartet, dass die Europäische Union die entsprechenden Regelungen in den nächsten Monaten verabschiedet.

Was ist der Grund dafür, dass die EU die Verarbeitung und den Umgang mit Diisocyanaten in der Polyurethan-Industrie regulieren will?

Joachim Petzoldt: Die deutsche Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat 2012 monomere Diisocyanate in den Blick genommen – als Substanzen, die atemwegs- oder hautsensibilisierend wirken können, wenn entsprechende Schutzmaßnahmen nicht eingehalten werden. Die Zahl entsprechender berufsbedingter Erkrankungen nimmt zwar etwa in Deutschland tendenziell seit Jahren ab, doch die deutsche und später die europäischen REACH-Behörden sahen Handlungsbedarf. Selbstverständlich haben auch Covestro und andere Hersteller ein großes Interesse daran, dass mit den Diisocyanaten verantwortungsvoll umgegangen wird.         

Besonders betonen möchte ich: Der Umgang mit ausgehärteten Polyurethan-Produkten wie Lacken oder Klebstoffen führt nicht zu Erkrankungen der Atemwege oder der Haut. Nur die reaktiven Polyurethan-Rohstoffe können solche Erkrankungen hervorrufen, wenn mit ihnen unsachgemäß umgegangen wird. 

Die REACH-Verordnung kennt verschiedene Instrumente, um die Gesundheit der Menschen und die Umwelt zu schützen. Bei den Diisocyanaten geht es um eine Beschränkung, nicht um eine ebenfalls denkbare Autorisierung. Was bedeutet das?

Joachim Petzoldt_Covestro

Dr. Joachim Petzoldt

Covestro

Petzoldt: Das Autorisationsverfahren wird bei besonders besorgniserregenden Stoffen (Substances of Very High Concern, (SVHC)) angewendet. Solche Stoffe dürfen zunächst einmal nicht verwendet werden. Antragsteller müssen die ECHA davon überzeugen, dass die Risiken der Chemikalie beherrscht werden und dass der sozioökonomische Nutzen ihrer Verwendung größer als das Risiko ist. Doch selbst wenn die ECHA die Chemikalie daraufhin zulässt, geschieht dies zeitlich begrenzt und unter der Maßgabe, dass die betreffende Substanz nach und nach durch Alternativen ersetzt wird. Die ECHA hat Diisocyanate aber nicht als besonders besorgniserregend klassifiziert, sondern lediglich bestimmte Gebote für Umgang und Verwendung aufgestellt. Sie hat somit das Instrument der Beschränkung (Restriktion) gewählt, das auch von den DiisocyanatHerstellern und der PU-Industrie befürwortet wird.    

Welche Beschränkung ist denn für Diisocyanate vorgesehen?

Petzoldt:Grundsätzlich wird nur noch geschultes Personal mit Diisocyanaten umgehen dürfen. Daher muss jeder geschult werden, der mit PU-Härtern arbeitet, deren Restmonomergehalt an freien monomeren Diisocyanaten größer ist als 0,1 Gewichtsprozent. Geschulte Mitarbeiter erhalten ein europaweit gültiges Zertifikat, das für vier Jahre gültig ist. Danach muss der jeweilige Mitarbeiter erneut an einer Schulung teilnehmen. Die Behörden nehmen mit dieser Restriktion die gesamte PU-Industrie in die Verantwortung. Was bislang in der chemischen Industrie schon gefordert ist – in Deutschland über die Gefahrstoffverordnung und in anderen europäischen Ländern über analoge Gesetze –, wird nun auf die gesamte Lieferkette ausgedehnt.

Gibt es keine Ausnahmen von der 0,1-Prozent-Regel?

Petzoldt:Prinzipiell schon. Ein Antragsteller wird dann den Behörden anwendungsspezifisch nachweisen müssen, dass in seinem Prozess vom jeweiligen Produkt mit einem Gehalt an freiem Diisocyanat von über 0,1 Prozent keine Gefährdung ausgeht. Ein mögliches Beispiel könnte etwa die Reparatur kleiner Defekte in Windschutzscheiben mit Hilfe eines 2K-PU-Klebers sein, der mit einer doppelten Kartusche appliziert wird. Dabei ist das Risiko einer Diisocyanat-Exposition sehr gering. Andererseits wird es etwa für die Sprühapplikation von 2K-PU-Systemen unmöglich sein, eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten. 

Ab wann wird die Beschränkung gelten?

Petzoldt: Wir gehen davon aus, dass die EU-Kommission die Beschränkung bald, also noch im ersten Halbjahr 2019, erlässt. Für die Verpflichtung, beim Umgang mit Diisocyanaten nur geschultes Personal einzusetzen, wird es dann eine Übergangsfrist von voraussichtlich vier Jahren geben. Das heißt: Wir erwarten, dass an einem Stichtag im Jahr 2023 jeder Mitarbeiter geschult sein muss. Die Übergangszeit ist zwingend notwendig, weil die Branche über ihre Verbände Konzept und Inhalt der Schulungen festlegen und die Trainings EU-weit organisieren muss. 

Wie beurteilt Ihr Unternehmen als bedeutender Isocyanat-Hersteller die Restriktion?

Stefan Sommer:Wir begrüßen die Restriktion – vor allem aus zwei Gründen. Erstens: Covestro steht dafür, dass mit Gefahrstoffen sicher umgegangen wird. Wir haben uns dafür in der Vergangenheit insbesondere über die Verbände ISOPA und ALIPA engagiert. Beispielhaft sei das Programm „walk the talk“ genannt, das durch Schulungen und fortlaufenden Dialog das Sicherheitsverhalten in der europäischen PU-Industrie und bei den professionellen PU-Anwendern verbessert.   

Zweitens: Von einer europaweit einheitlichen Regelung profitieren wir und die gesamte Branche. National unterschiedliche Arbeitsschutz-Regeln würden letztlich den freien Handel behindern und den Erfolg der PU-Chemie gefährden, ohne dass sie tatsächlich die Arbeitssicherheit erhöhen.  

Wird denn überprüft, ob die Restriktion die Arbeitssicherheit erhöhen wird?

Petzoldt: Ja. Natürlich lässt sich das erst mittelfristig beurteilen. Vorgesehen ist zunächst eine zwei Jahre dauernde Studie, die prüfen soll: Ist es machbar und sinnvoll, eine Kohorte von mehreren Tausend Arbeitern, die mit diisocyanathaltigen Produkten umgehen, zusammenzustellen und wissenschaftlich zu begleiten? Falls diese Studie positiv ausfällt, sollen in einer Hauptstudie über fünf Jahre hinweg Daten zur Expositionshöhe, zu den Schutzmaßnahmen und zur Zahl der Erkrankungsfälle erhoben werden.    

Nun liegt es nahe, dass die Branche auf Isocyanat-freie PU-Systeme ausweicht. Wie beurteilen Sie diese Systeme? 

Sommer: Zunächst einmal ist festzustellen, dass Covestro auch solche Systeme anbietet. PU-Dispersionen etwa haben keine freien monomeren Diisocyanate, weil diese bei der Herstellung der Dispersionen im Reaktor unter genau kontrollierten Bedingungen bereits vollständig umgesetzt wurden. Auch thermoaktivierbare PU-Härter sind frei von monomeren Diisocyanaten. Für eine Reihe von Anwendungen sind Dispersionen oder thermoaktivierbare Härter eine leistungsfähige und oft sogar vorteilhafte Alternative.

Andererseits muss man sagen, dass es eben auch sehr viele Anwendungen gibt, in denen die reaktive 2K-PU-Chemie hinsichtlich ihrer Performance anderen Systemen deutlich überlegen ist. Zu einer ähnlichen Einschätzung kam übrigens auch das Socio-Economic Assessment Committee (SEAC) der Europäischen Chemikalienagentur ECHA im Rahmen der Vorbereitung der Regulierung. Außerdem möchte ich darauf hinweisen: Reaktive Technologien, die nicht auf Diisocyanat-Härtern beruhen, gehen ebenfalls mit einem gewissen Gefahrstoffpotential einher – insbesondere bei Sprühanwendungen, die eine hohe Wahrscheinlichkeit zur Exposition des Verarbeiters bedingen.

PU-Härter mit einem Restgehalt von unter 0,1 Prozent Diisocyanat fallen nicht unter die Restriktion. Macht sie das für Verarbeiter und Anwender attraktiv?

Stefan Sommer_Covestro

Dr. Stefan Sommer

Covestro

Sommer: Ja. Die Behörden befürworten im Rahmen der Restriktion ebenfalls solche PU-Härter. Selbstverständlich handelt es sich auch bei diesen Härtern um Gefahrstoffe, die Schutzmaßnahmen erfordern, wie sie in den Sicherheitsdatenblättern beschrieben werden. Wesentlich ist, dass die äußerst niedrigen Werte an freien Diisocyanat-Monomeren nicht zu Lasten der Leistungsfähigkeit der Härter gehen.

Gibt es solche PU-Härter?

Sommer: Wir arbeiten ständig daran, die technische Leistungsfähigkeit der Härter zu verbessern und gleichzeitig den Diisocyanat-Restgehalt zu verringern. Wir betreiben da einen hohen Forschungsaufwand und haben in modernste Produktionsanlagen investiert. Daher können wir seit fast einem Jahr Produkte anbieten, deren Diisocyanat-Gehalt zuverlässig unter 0,1 Prozent liegt. Diese Härter der sogenannten ultra LinieDr ersetzen bereits einen umsatzstarken Teil unseres Portfolios, denn sie sind mindestens genauso leistungsfähig wie die entsprechenden Produkte mit höheren Diisocyanat-Gehalten. Das gewährleisten wir den Anwendern.   

Wird es also eines Tages nur noch Produkte mit ultra-niedrigem Monomerengehalt geben? 

Sommer: Wir erwarten, dass der Bedarf der europäischen Lack- und Klebstoffhersteller für Produkte mit sehr niedrigem Monomergehalt erheblich sein wird. Daher werden wir weiter daran arbeiten, Produkte und Produktlinien auf die ultraniedrigem Monomerengehalt umzustellen. Doch andererseits wird das nicht bei jedem heute bekannten PU-Härter möglich sein. In diesen Fällen wäre es notwendig, für die jeweiligen Anwendungen ganz neue ultra Härter zu entwickeln. Letztlich wird der Markt entscheiden, inwieweit das geschehen wird.

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