Auf der Suche nach unsichtbaren Molekülen

Ein Forschungsteam der Universität Wien konnte den Nachweis von umweltfreundlichen chemischen Zwischenstufen erbringen, die während der chemischen Reaktion entstehen und nur Sekundenbruchteile existieren.

Eine Arbeitsgruppe an der Universität Wien beschäftigt sich seit einigen Jahren mit umweltfreundlichen Reaktionen. Andrey Maltsev – Fotolia.com. -

Die Erforschung und Entwicklung von neuen, umweltfreundlichen chemischen Reaktionen ist wichtig für unsere Gesellschaft. Nachhaltige Chemie kann eine sichere Produktion von Chemikalien gewährleisten – ganz gleich ob Pharmazeutika, Kosmetika, Agrochemikalien oder neue Materialien für beispielsweise Solarzellen oder Textilien – und dabei unseren Lebensstandard erhalten oder sogar verbessern.
Die Arbeitsgruppe um Nuno Maulide, Professor für Organische Synthese an der Universität Wien, beschäftigt sich seit einigen Jahren mit solchen umweltfreundlichen (sogenannten „atomökonomischen“) Reaktionen. Für seine Forschung hat Maulide einen prestigeträchtigen ERC Consolidator Grant des European Research Councils zuerkannt bekommen. „Das VINCAT-Projekt befasst sich mit der Entwicklung von einer Reihe verwandter Reaktionen, die neue Kohlenstoffbindungen knüpfen, ohne dass dabei Abfall- oder Nebenprodukte entstehen“, so der portugiesische Wissenschafter: „Das gelingt uns durch den Einsatz neuartiger, energiereicher Vinyl-Kationen als Zwischenprodukte“.

Moleküle, die wir nicht sehen

Um den vermuteten Reaktionsverlauf zu bestätigen und mehr über die Zwischenstufen der Reaktionen zu erfahren, suchten die ForscherInnen nach einem Weg, die Zwischenprodukte der Reaktionen nachzuweisen. „Das Problem ist die extrem kurze Zeit, in der diese energiereichen Zwischenprodukte existieren – sie reagieren innerhalb von Sekundenbruchteilen“, erklärt Immo Klose, Coautor der Studie. Die Zusammenarbeit mit einer Gruppe der brasilianischen Universität UNICAMP, die ExpertInnen auf dem Gebiet der Detektion von energiereichen, geladenen Zwischenprodukten durch Massenspektroskopie sind, brachte schließlich den gesuchten Beweis. „Um die Ergebnisse der Massenspektroskopie mit einem berechneten Reaktionsverlauf zu vervollständigen, wandten wir uns an unsere KooperationspartnerInnen aus der theoretischen Chemie“, sagt Maulide.
„Hochpräzise Berechnungen bestätigten die Struktur und den Verlauf der Reaktion“, sagt Boris Maryasin, Erstautor der Studie und Postdoc von Leticia González am Institut für Theoretische Chemie der Universität Wien. „Aber noch wichtiger ist, dass die theoretischen Modelle oft Vorhersagen über die Reaktivität noch unerforschter Reaktionen ermöglichen: Sobald wir verstehen, wie die Reaktion genau abläuft und die experimentellen Ergebnissen erklären können, ist es oft auch möglich, darüber hinaus Voraussagen über neue Reaktionen zu machen“.
Nicht zuletzt durch das so gewonnene Verständnis ist es dem Team gelungen, eine weitere, neuartige Umlagerungsreaktion zu entwickeln, die einen eher untypischen Verlauf nimmt. „Um einen Blick auf das Unsichtbare zu bekommen, benötigt es viele BeobachterInnen, die dieselbe Sache aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Diese Studie hat uns vor Augen geführt, wie wichtig die interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb der Wissenschaft ist“, so Maulide abschließend.

Die Studie wurde veröffentlicht in Chemical Science, 2018, und ist hier als Open Access abrufbar.

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