Titandioxid: Widerstand gegen die Einstufung

Der Ausschuss für Risikobeurteilung (RAC) der Europäischen Chemikalienagentur hat die Empfehlung ausgesprochen, TiO2 nach Kategorie 2 einzustufen. FARBE UND LACK sprach mit Dr. Martin Engelmann, Hauptgeschäftsführer VdL, über mögliche Konsequenzen und die Aktivitäten des Verbandes.

Titandioxid: Widerstand gegen die Einstufung. Quelle: Romolo Tavani - Fotolia -

Eine Entscheidung liegt beim REACH-Regelungsausschuss unter Federführung der Europäischen Kommission. Der RAC wird seine Empfehlung im September schriftlich vorlegen, eine Entscheidung der Kommission wird für das Frühjahr 2018 erwartet. Scharfe Kritik kommt weiterhin vom VdL.

Wie bewerten Sie die Entscheidung des Ausschusses für Risikobewertung?

Dr. Martin Engelmann: Nach unseren Informationen hat der Ausschuss kontrovers über das Thema diskutiert. Soweit man das bisher weiß, denn eine schriftliche Stellungnahme liegt noch nicht vor. Die ist erst für September angekündigt. Die Diskussion im RAC soll jedenfalls nicht so einheitlich gewesen sein, wie es in der Pressemitteilung schien. Im Prinzip haben wir drei Hauptkritikpunkte.

Diese wären?

Engelmann: Einerseits wäre da das Verfahren, das nicht das richtige ist. Weil es nicht um die Bewertung intrinsischer, also individueller Eigenschaften eines Stoffes geht, sondern um die Bewertung partikelbedingter, also physikalischer Effekte. Solche partikelbedingten Effekte sind nicht stoffspezifisch, sondern gelten bei allen pulverförmigen Stoffen. Dieser Punkt wurde im RAC auch kritisch diskutiert. Zweitens ist die wissenschaftliche Grundlage der Empfehlung, wie übrigens auch schon beim französischen Vorschlag, sehr dünn. Der RAC hat den französischen Vorschlag und deren zu Grunde liegenden Studien kontrovers besprochen und beide Studien als invalide erklärt. Diese Studien könne der RAC nicht nutzen. Dem Vernehmen nach beruht die RAC-Empfehlung einzig und allein auf einer deutschen Studie aus dem Jahr 1995, deren Ergebnisse also schon seit mehr als 20 Jahren bekannt sind. Auch gegen diese Studie gibt es erhebliche wissenschaftliche Bedenken, so hat beispielsweise die französische Behörde ANSES diese Studie als nicht verwertbar eingestuft.

Drittens, stellt sich die Frage, ist dies alles relevant für den Menschen? Darum geht es schließlich im Einstufungsverfahren. Jahrzehntelange Untersuchungen an über 24.000 Arbeitnehmern in Titandioxidfabriken haben keinen Nachweis für einen Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber Titandioxid-Stäuben und Lungenkrebs gezeigt. Dennoch hat der RAC entschieden, dass ein solcher Zusammenhang nicht auszuschließen sei. Das ist aus unserer Sicht eine krasse Überdehnung des Vorsorgeprinzips, die ungerechtfertigte Folgen insbesondere für die Farbenindustrie hat.


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Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

Engelmann: Da gehört auch das Haftungsrisiko dazu. Wenn man keine Gefahr ausschließen kann, muss man eben eine Gefahr für möglich halten und dementsprechend einstufen. So argumentiert der RAC. Das ist eine rein politische Entscheidung.

Welche Bedeutung hat die RAC-Entscheidung für das weitere Verfahren?

Martin Engelmann

Dr. Martin Engelmann

Hauptgeschäftsführer Verband der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie

Engelmann: Natürlich ist es ein wichtiger Meilenstein, weil die Europäische Kommission und die Nationalstaaten normalerweise die Einschätzung ihrer Toxikologen immer so 1:1 umsetzen. Es gibt nur wenige Fälle, in denen dies kritisch hinterfragt wird. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass beim Thema TiO2 aufgrund dieses politisierten Verfahrens durchaus mit einer Diskussion zu rechnen ist und zwar auf allen drei Ebenen: Toxikologisch, juristisch und auf Basis der epidemiologischen Daten. Und vor allem wegen der gravierenden Auswirkungen für die gesamte Industrie.

Es ist eine wichtige Entscheidung und für uns ist es wichtig und richtig, dass der RAC sich gegen den französischen Vorschlag gestellt hat TiO2 nach Kategorie 1B einzustufen. Dies war auch relativ früh klar, dass die Daten und Studienlage dazu nicht reicht. Auch wenn die Franzosen daran festhalten wird es dazu nicht mehr kommen, es kann jetzt nur noch zu Kategorie 2 oder zu gar keiner Einstufung kommen.

Welche Konsequenzen hätte eine Einstufung?

Engelmann: Mit einer Einstufung nach Kategorie 2 sind wir aber mitnichten aus dem Schneider. Auch diese Einstufung hat erhebliche negative Folgen und Konsequenzen. Die Kennzeichnung ist ziemlich ähnlich bzw. das Symbol zu 1B ist ähnlich. In beiden taucht das Wort Krebs auf. Da braucht es schon einen CLP-Experten der hier abwägen kann. Der Verbraucher wird nur das Wort Krebs lesen und sehr verunsichert sein. Es würde auch keine Blauen Engel mehr geben. Das betrifft mehr als 900 Farben. Damit hat man auch einen Wahlverlust seitens der Verbraucher, weil sie nicht mehr zwischen Farben unterscheiden können, die höheren Standards genügen.

Völlig unklar sind die Konsequenzen auch im Abfallbereich. Jeder Abfall der mehr als 1% Gewichtsanteil TiO2 enthält, müsste in Zukunft als gefährlicher Abfall bzw. Sondermüll entsorgt werden. Man kann sich vorstellen, dass das aufwendig und teuer wird. Tapeten, Farbeimerreste, Fenster auf Baustellen. Was für ein Aufwand und Kosten auf die Verbraucher zukommt dürfte immens sein.

Kann eine Einstufung jetzt noch verhindert werden?

Engelmann: Am Schluss entscheidet die Politik. Diese holt sich zwar vorher die Meinung der Toxikologen ein, diese bewerten das Thema aber nur toxikologisch. Es wurde nur die Gefährlichkeit bewertet. Damit hat sich der RAC schon schwierig getan, ist aber am Ende zum Schluss gekommen eine Einstufung nach Kategorie 2 zu empfehlen. Die Bedingungen im Rahmen der CLP-Zulassung ist extrem niedrig für Kategorie 2.

Jetzt werden die Karten neu verteilt. Die Politik entscheidet und nimmt alle möglichen Aspekte in die Berücksichtigung auf, unter anderem die toxikologische Stellungnahme. Normalerweise werden solche RAC-Entscheidung nur durchgewunken, dies bedeutet jedoch nicht, dass wir in unserem Fall eine Präzedenzwirkung haben. Der Politik ist bewusst, dass es sich bei TiO2 um einen ganz besonderen Fall handelt. Die Europäische Kommission weiß, was da alles von der Entscheidung abhängt. Wir sind im Kontakt mit Vertretern der Kommission, um eine nicht gerechtfertigte Einstufung zu verhindern. Das ist das Ziel.

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Was macht der VdL aktiv hierzu?

Engelmann: Ende September liegt die schriftliche Entscheidung des RAC vor und wird Ausgangspunkt für eine politische Entscheidungsfindung sein. Wir werden unsere Kritik an diesem politisierten Verfahren einbringen. Wir haben ein Memorandum angefertigt, das von 92 Mitgliedsunternehmen unterschrieben worden ist. Dort wird prägnant und kurz ihre Kritik zum Ausdruck gebracht. Dieses Memorandum wurde an hochrangige Vertreter verteilt, die mit der Entscheidung befasst sind. Wir wollen dieses Memorandum noch stärker streuen. Wir haben eine offene Plattform zusammen mit dem Verband der Mineralfarbenhersteller geschaffen. Dort stellen wir Sachinformationen zum Verfahren und zum Stoff zur Verfügung. Das ist ein Informationshub, in dem alle Informationen zur Verfügung zu stellen. Es ermöglicht allen Interessierten schnellen Zugriff und verständliche Informationen. Dann prüfen wir inwieweit wir auf juristischem Wege den Anwendungsbereich der CLP-Verordnung nochmal klären können. Wir sind im falschen Verfahren. Es steht noch aus, dass die Prüfung des CLP-Verfahrens auf diese Stoffe geeignet ist. Wir haben da große Zweifel. Wir werden im Rahmen von Veranstaltung im Herbst und Winter darauf aufmerksam machen. Denn eine nicht gerechtfertigte Einstufung hätte dramatische Konsequenzen. Es würde auch Wasser auf die Mühlen derjenigen geben, die einer engeren Harmonisierung und einer stärkeren Europäisierung kritisch gegenüberstehen. Es wäre ein Musterbeispiel dafür, dass die EU zu grotesken Fehlentscheidungen führen kann.

Das Interview führte Damir Gagro.

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