Interview: „Es ist mit einem Rückgang der Biozid-Wirkstoffanwendungen zu rechnen

Die Biozidverordnung bleibt ein vorherrschendes Thema in der Farben- und Lackindustrie. Wir haben mit Dr. Annette Bitsch vom Fraunhofer ITEM über die Folgen für Wirkstoffe und Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet gesprochen. 

Interview:
Interview: "Es ist mit einem kontinuierlichen Rückgang der Biozid-Wirkstoffanwendungen zu rechnen". Bildquelle: Sebastian Kaulitzki-Fotolia.com -

Worauf konzentriert sich die Forschung und Entwicklung derzeit bei Bioziden?

Annette Bitsch: Basierend auf dem gestiegenen Bewusstsein für den Klimaschutz ist die Nachfrage nach biologischen, natürlichen und „grünen“ Produkten gestiegen. Die Wirksamkeit gegen Zielorganismen wie Bakterien, Viren oder Pilze sollte jedoch gleichzeitig erhalten bleiben. Einige der etablierten Wirkstoffe sind bekanntermaßen CMR-Stoffe oder haben umweltgefährdende Eigenschaften, wie persistente und toxische Verbindungen, die Nichtzielorganismen betreffen. Daher ist es notwendig, neue Wirkstoffe oder Alternativen zu identifizieren. Insbesondere die Entwicklung neuer Beschichtungen wird von besonderem Interesse sein. 

Ein weiteres aktuell viel diskutiertes Thema bei der Erforschung und Entwicklung von Bioziden ist die Beurteilung der endokrinen störenden Eigenschaften aller Inhaltsstoffe eines Produkts. Die Bewertung ist recht komplex und es bestehen eine große Datenlücken, die für die Bewertung erforderlich sind. Um eine große Anzahl neuer Tierversuche zu vermeiden, müssen alternative Teststrategien entwickelt und akzeptiert werden, wie z.B. eine Kombination aus In-vitro- und Ex-vivo-Assays sowie In-silico-Methoden. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass die ED-Richtlinien in den meisten Fällen auf Wirkstoffe anwendbar sind, für die ein großes Datenpaket verfügbar ist. Für die meisten Beistoffe liegen nur begrenzte Daten vor, weshalb neue Ansätze erforderlich sind.

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Dr Annette Bitsch, Fraunhofer ITEM, is Referentin auf dem Farbe und Lack Seminar Biozide.

Im Allgemeinen besteht immer die Notwendigkeit, die aktuellen Standardwerte und -parameter zur Beschreibung der Expositionsszenarien für Mensch und Umwelt zu aktualisieren. Dies geschieht bereits hauptsächlich für die Produkttypen der Hauptgruppe 1: Desinfektionsmittel und für einzelne PTs anderer Hauptgruppen. In der Zukunft werden einige Leitlinien weiter überarbeitet werden müssen, damit die anderen PTs eine bessere und realistischere Bewertung der potenziellen Risiken für Mensch und Umwelt erhalten werden kann.

Erwarten Sie, dass weitere neue Wirkstoffe entwickelt werden, die zugelassen werden?

Bitsch: Die Entwicklung neuer biozider Wirkstoffe wird unserer Meinung nach in Zukunft ein Thema sein. Insbesondere bei einigen Produkttypen, bei denen viele Wirkstoffe nicht mehr unterstützt werden oder der Zulassungsstatus abgelehnt wird. Dies kann entweder auf stoffspezifische Eigenschaften oder auf strengere Vorschriften zurückzuführen sein. In diesen Fällen sind nur noch wenige alternative Produkte für bestimmte Anwendungen auf dem Markt. Es ist daher mit einem kontinuierlichen Rückgang der Biozid-Wirkstoffanwendungen zu rechnen. Da jedoch Arbeitsbelastung, Zeitrahmen und Kosten für die Entwicklung neuer Wirkstoffe immens sind, scheinen die Aktivitäten für die Entwicklung neuer Wirkstoffe eher gering zu sein.

Welche Änderungen hat es in letzter Zeit an der Biozidverordnung gegeben?

Bitsch: Wie bereits erwähnt, wurde die endokrine Bewertung zu einer neuen Anforderung für die Biozidprodukte-Verordnung (BPR, (EU) 528/2012). Seit dem 7. Juni 2018 ist die Bewertung der hormonell störenden Eigenschaften aller Inhaltsstoffe eines Produkts ein neuer Bestandteil der Datenanforderungen. Aufgrund dieser zusätzlichen Bewertung und der erhöhten Arbeitsbelastung der Antragsteller und der zuständigen Behörden sowie des Biozidprodukteausschusses hat sich das Bewertungs- und Zulassungsverfahren zwangsläufig verlängert.

Ein weiterer Punkt ist die Umsetzung des Konzepts der Biozid-Produktfamilien. Ziel ist es, den Antragstellern ein vereinfachtes Verfahren der Zulassung ähnlicher Produkte in einer Produktfamilie zu ermöglichen. Der wichtigste Diskussionspunkt war die Klärung der Frage der „Ähnlichkeit“ und die Abgabe von Empfehlungen. Das entsprechende CA-Dokument wurde im Juli 2019 veröffentlicht.

Darüber hinaus werden die Entwicklung und Verfeinerung von Expositionsszenarien (Human / Öko) und Wirksamkeitsrichtlinien kontinuierlich vorangetrieben.

Wie stark sind die regionalen Unterschiede bei der Regulierung von Bioziden?

Bitsch: Da es sich bei der BPR um eine Verordnung handelt, gilt die Umsetzung direkt innerhalb der gesamten EU. Daher ist die BPR die regulatorische Grundlage für alle Mitgliedstaaten und gibt den Antragstellern eine regulatorische Orientierung.

Unter diesem Gesichtspunkt sollten die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten so gering wie möglich sein. Die Mitgliedstaaten weisen jedoch einige Unterschiede bei den Kosten und dem Zeitaufwand für die Antwort und die Bewertung der übermittelten Daten auf. Darüber hinaus müssen möglicherweise einige (geringfügige) lokale Anforderungen erfüllt werden. Außerdem übernehmen nicht alle Mitgliedstaaten die Rolle der zuständigen Behörde für Unionsgenehmigungen.

Sie sind Referentin des Farbe und Lack Seminars Biozide im Februar. Was können die Teilnehmer vom Seminar erwarten?

Bitsch: Für das Seminar werden mehrere Themen behandelt. Zu Beginn erhalten alle Teilnehmer einen einführenden Überblick über die BPR, einschließlich der Definition eines Biozids und einer Einführung in die verschiedenen Biozid-Produkttypen. Darüber hinaus werden regulatorische Aspekte im Allgemeinen wie Wirksamkeitsbewertung, Expositionsbewertung sowie aktuelle Diskussionspunkte und Grenzfälle (z.B. Produkte, die auch unter eine andere Regulierung als die BPR fallen) der regulatorischen Bewertung vorgestellt und mit den Teilnehmern diskutiert.

Das Interview führte Vanessa Bauersachs

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