Industrie 4.0 in der Lackbranche: Ein Anfang ist gemacht

Gemeinhin gilt die Lackindustrie nicht unbedingt als Branche, die bei der Digitalisierung an der Innovationsfront besonders weit vorne steht. Die Branche kann aber auch ganz anders: in Kassel kamen zahlreiche Experten zur ersten FARBE UND LACK Konferenz Industrie 4.0 zusammen.

Mit einer einfachen "Box" die sich an jede Produktionsmaschine anschließen lässt -

Veranstaltungen, auf denen sich Unternehmen über moderne Industrietechnologien und den digitalen Wandel informieren können, gibt es mehr als genug. Um die speziellen Bedürfnisse von Unternehmen aus der Lackindustrie geht es dabei aber normalerweise nicht. Auf der FARBE UND LACK Konferenz Industrie 4.0 trafen sich nun über 60 Experten, um sich über Trends und Chancen durch die Digitalisierung für die Lackindustrie auszutauschen.

Dabei zeigte sich, die Branche hat Diskussionsbedarf und der Austausch muss deutlich intensiviert werden. So etwa bei der Vorstellung des Projektes SDBTransfer, über das Nicole Hüwe vom Rohstofflieferanten Byk und Tobias Hillebrand vom Farbenproduzenten DAW gemeinsam vortrugen. Beide Unternehmen haben im Rahmen des Projekts den Datenaustausch von Sicherheitsdatenblättern entlang der Wertschöpfungskette erheblich vereinfacht.

Verband gefordert

Dazu haben sie eine Schnittstelle entwickelt, die ausgewählte Daten des Sicherheitsdatenblatts automatisch und als standardisiertes XML-Format an den Partner weitergibt. Das Projekt verhindert so Medienbrüche, da etwa keine Daten mehr händisch von Mitarbeitern aus angelieferten PDF-Dokumenten abgetippt werden müssen. Neben der Zeitersparnis steht hierbei auch die Eliminierung einer Fehlerquelle im Vordergrund.

Das Interesse an dem Projekt vor Ort war groß. Gleichwohl war auch eine gewisse Enttäuschung zu spüren, dass lediglich zwei Unternehmen aus der Branche an dem Projekt beteiligt sind. Schnell kam die Forderung auf, der VdL möge sich dem Thema annehmen. Der hatte in der Vergangenheit allerdings schon über das Projekt informiert. Der Bedarf scheint jedenfalls gegeben, einzelne Teilnehmer, die auch andere Industrien kennen, sprachen gar von altertümlichen Verfahren.

Ich sehe was, was Du nicht siehst: Die Microsoft Hololens sorgte für großes Interesse.

Ich sehe was, was Du nicht siehst: Die Microsoft Hololens sorgte für großes Interesse.

Mixed reality in der Lackproduktion

Mit großem Interesse wurden in den Vortragspausen zudem Mixed-Reality-Brillen von Microsoft getestet. Christoph Heinen von der Firma Bergolin erläuterte in einem Vortag auch, wie der Einsatz von solchen Brillen in der Lackproduktion aussehen könnte. Zusammen mit den Projektpartnern Yaveon und Daenet wurde eine HoloLens-Anwendung entwickelt, die ebenfalls das Ziel hat, die Zettelwirtschaft in der Industrie zu reduzieren. In der Beispielanwendung sieht der Träger der Brille unmittelbar in seinem Blickfeld, welche Komponenten er in welcher Reihenfolge in einen Mischbehälter geben muss. Diese Anwendung ist dabei so gestaltet, dass der Werker weder die Reihenfolge der Zugabe ändern kann, noch dass er weitere Arbeitsschritte ausführen kann, bevor er nicht bestätigt hat, den aktuellen Schritt auch wirklich abgeschlossen zu haben.

Praktisch wird die Brille noch eingesetzt, es handelt sich um einen Entwicklungsprototypen, der nicht für explosionsgeschützte Arbeitsbereiche freigegeben ist. Jedoch versucht eine Arbeitsgemeinschaft um Bergolin, Yaveon und Daenet, Microsoft die Weiterentwicklung der Brille in eine entsprechende Richtung zu bewegen. Auch hier meldeten sich auf der Konferenz ad-hoc Interessenten, die diese Arbeitsgemeinschaft unterstützen möchten.

Klein Anfangen

Klar zeigte sich: eine Lackfabrik muss nicht von heute auf morgen komplett durchdigitalisiert oder automatisiert werden. Für kleinere Produktionsstätten oder im Batchbetrieb ist dies auch nur bedingt geeignet. Mike Bach, Geschäftsführer der Prisma Gesellschaft für angewandte Informatik, hatte schon zu Beginn der Konferenz in seiner Keynote zum Thema Big Data darauf hingewiesen, dass es im ersten Schritt, zunächst einmal darum gehe, Daten überhaupt zu erfassen und auszuwerten. Erst dann können konkrete weitere Schritte eingeleitet werden.

Mike Bach, Geschäftsführer Prisma

„Erst Messen, dann Analysieren und dann Steuern“, lautete die Botschaft von Mike Bach, Geschäftsführer von Prisma.

Auch konkrete Produkte, die eine solche Datenerfassung überhaupt erst möglich machen, wurden gezeigt. So präsentierte Fuat Eker von der Firma Colvistec einen UV-VIS-Sensor, der in Echtzeit Daten im laufenden Produktionsbetrieb messen kann. Die dabei erhaltenen Spektraldaten können dann etwa mit den Eigenschaften des fertigen Endprodukts abgeglichen werden, um Produktionsparameter zukünftig rechtzeitig anzupassen, um zum Beispiel nicht mehr nachmischen zu müssen.

Ob Daten nun durch ein Spektralphotometer oder andere Sensoren erfasst werden, ist im Grunde nicht wichtig. Wichtig ist es, dass die Lackbranche loslegt. Denn die Digitalisierung ist ein langwieriger Prozess der sich stehts weiterentwickelt. Wer heute nicht zumindest erste Erfahrung sammelt, ist morgen vielleicht schon abgehängt.

Jan Gesthuizen

Event-Tipp:

Die nächste Veranstaltung die sich mit der modernen Produktion von Farben und Lacken befasst, ist das FARBE UND LACK Seminar Lackkunde in der Produktion. In diesem Basisseminar lernen Produktionsmitarbeiter den Herstellungsprozess von der Lackformulierung bis zum Dispergieren besser zu verstehen und so einen flüssigen Betriebsablauf zu sichern.

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