Industrie 4.0: „Gesteigerte Betriebssicherheit

Die Digitalisierung macht auch vor der Farben- und Lackproduktion keinen Halt. Im Interview erklärt Professor Lorenz Däubler von der Hochschule Hannover warum moderne Algorithmen die Betriebssicherheit erhöhen können und ob Normen und Gesetze bei dieser Entwicklung wirklich immer mithalten.

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Worauf müssen sich Unternehmen einstellen, die darüber nachdenken, ihre Produktion digitaler aufzustellen?

Prof. Lorenz Däubler: Die Digitalisierung bringt tiefgreifende Veränderungen in der Steuerungsarchitektur in der Produktion mit sich. Dabei muss die gewohnte funktionale Sicherheit natürlich weiterhin gewährleistet werden. Hierzu müssen Konzepte erarbeitet werden, um dies auch mit neuen modernen Software/Hardware-Architekturen in der Steuerung zu ermöglichen.

Gleichermaßen bietet die Digitalisierung neue Möglichkeiten und Chancen, etwa durch prädiktive Wartung und Diagnose. Zukünftige Sicherheitsfunktionen ermöglichen aufgrund einer großen betrieblichen Datenbasis neue Überwachungs- und Diagnosestrategien, um einen effizienten Einsatz von Betriebsmitteln zu gewährleisten. Moderne Algorithmen können etwa ermitteln, inwieweit Schutzeinrichtungen betriebsbereit sind.

Erkauft man sich diese zusätzliche Betriebssicherheit nicht mit gestiegener IT-Unsicherheit, etwa durch Hacking?

Däubler: Das ist ein korrekter Einwand. Die IT-Security-Problematik bleibt einer der großen Show-Stopper. Hier muss geklärt werden, wie die neuen Digitalisierungsstrategien auch sicher gehandhabten werden. Ein Abklemmen vom Netz etwa ist keine Lösung. Umfragen der Bitcom haben ergeben, dass ein Großteil der Hackerangriffe auf eigene oder ehemalige Mitarbeiter zurückzuführen ist. Hier gibt es aber zum Beispiel bei uns an der Hochschule Hannover aussichtsreiche Ansätze.

Prof. Lorenz Däubler

Prof. Lorenz Däubler ist Professor für Steuerungstechnik an der Hochschule Hannover, Fachgebiet Prozessinformatik und wird auf der FARBE UND LACK Konferenz Industrie 4.0 am 18. April einen Vortrag mit dem Titel „Digitalisierung und Sicherheit – brauchen neue Technologien neue Richtlinien?“ halten.

Wie passen gängige Digitalisierungskonzepte zur gängigen Rechtslage?

Aktuell sieht die Gesetzeslage so aus, dass die Betriebssicherheit in einer turnusmäßigen Wiederholprüfung zu validieren ist, was viel Geld kostet und etwa Stillstandszeiten nach sich zieht. Die Digitalisierung bietet jetzt die Möglichkeit, durch die prädiktive Diagnose diese Kosten und Zeit signifikant einzusparen.

Die Algorithmen erkennen also, diese oder jene Einrichtung ist noch OK?

Däubler: Richtig. Die Algorithmen erkennen etwa, das Ventil kann noch öffnen, das hat das Rezept von vor drei Tagen gezeigt. Hier muss ich die Anlage nicht stillstehen lassen und das Ventil nicht zur Wartung ausbauen. Natürlich muss das alles zum Stand der Technik gehören und vieles ist noch im Bereich der Forschung anzusiedeln.

Normen auf solche neuen Gegebenheiten einzustellen ist sicher nicht einfach?

Däubler: Es ist tatsächlich so, dass die Normungs- und Richtlinienerstellung ein zäher und langwieriger Prozess ist, der aber auch notwendig ist. Hier muss sich erst in der Praxis zeigen, inwieweit die neuen Methoden zu einer gesteigerten Betriebssicherheit beitragen und wie praxistauglich sie sind.

Und was sind ihre Erfahrungen in der Praxis?

Däubler: Wir sind zum Beispiel gerade in einem Forschungsprojekt bei der Bayer AG involviert. Hier wird noch nicht auf die turnusmäßigen Prüfungen verzichtet, die Normen und Richtlinien vorsehen. Da laufen alte und neue Technologie vorerst noch parallel. Hier ist noch nicht nachgewiesen, dass die Algorithmen und die neuen Methoden entsprechend aussagekräftig sind und auch wirklich zuverlässig die Betriebssicherheit gewährleisten.

Welche Digitalisierungsstrategien gibt es derzeit in der Industrie?

Däubler: Im Bereich der Digitalisierung kristallisieren sich eigentlich zwei Trends heraus. Und zwar geht es dabei um die ganz klassische Frage Zentralisierung vs. Dezentralisierung. Der Trend geht derzeit eher in Richtung zentralisierter Datenhaltung, da die Dezentralisierung teilweise mit Risiken gesehen wird. Das heißt ein zentrales Produktionsleitsystem wird tendenziell mit weiteren Funktionen bezüglich Wartung oder Diagnose oder Steuerstrategien ausgestattet.

Frage: Aber hat die Zentralisierung nicht auch Risiken?

Däubler: Ja, Vorteil ist die sofortige Verfügbarkeit aller Informationen und man kann gut das System Updaten und Anreichern mit neuen Funktionen. Man ist aber auch sehr verletzlich und angreifbar gegenüber zentralen IT-Security Vorfällen.

Frage: Inwieweit ist bei solchen Strategien das Personal und Schulungen zu bedenken.

Däubler: Die Praxis zeigt, dass im Zuge der Einführung neuer Technologien die alten Technologien oft nicht abgekündigt werden oder nicht abgekündigt werden können. Das heißt, die Anschaffung neuer Technologien erfordert natürlich erst einmal massiv, dass Mitarbeiter dazulernen müssen, dabei aber das bestehende Knowhow beibehalten müssen. Das kann relativ schnell zu Überforderung führen und vor allem die Zeit verlängern, bis Mitarbeiter die neue Technik wirklich durchdrungen haben. Wenn man früher gesagt hat, der kann eine Schicht nach drei Jahren allein fahren, kann es passieren, dass er nun 5 oder 6 Jahre benötigt.

Das Interview führte Jan Gesthuizen

Veranstaltungshinweis

Prof. Lorenz Däubler wird auf der FARBE UND LACK Konferenz Industrie 4.0 am 18. April einen Vortrag mit dem Titel „Digitalisierung und Sicherheit – brauchen neue Technologien neue Richtlinien?“ halten und dabei auch auf die Aspekte dieses Interviews detailliert eingehen. Die Konferenz ist nahezu ausgebucht, es sind nur noch wenige Restplätze vorhanden.

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