Big Data trifft Chemie

Wer nach Bayreuth fährt, findet eine malerische Stadt vor, die vor allem durch die Richard-Wagner-Festspiele bekannt ist und auch sonst vor allem mit historischen Sehenswürdigkeiten von sich reden macht. Genau vor dieser traditionsreichen Kulisse machte sich die diesjährige Jahrestagung der GDCh-Fachgruppe Lackchemie auf den Weg in die Zukunft. Die dreitägige Konferenz legte einen großen Schwerpunkt auf das Thema Lackchemie 4.0.

In Bayreuth ging es um die digitale Zukunft. (Foto: Adobe.Stock - Vasily Merkushev) -

Den Auftakt gab Peter Deglmann von der BASF in Ludwigshafen, der zeigte, wie stark bei seinem Arbeitgeber Forschung und Digitalisierung inzwischen verwoben sind. Vor allem das eigentlich schon recht alte Thema Simulationen erlebe eine Renaissance, was primär an der Rechenkapazität moderner Computer und Supercomputer liege, so Deglmann. Aber auch Apps und Clouddienste spielen bei BASF inzwischen eine große Rolle, welche teilweise in sogenannten Hackatons entwickelt wurden. Dabei handelt es sich um kollaborative Software-Entwicklungsveranstaltungen, bei denen Softwareentwickler und Anwender gemeinsam in einem zeitlich eng begrenzten Zeitraum neue Produkte entwickeln.

Big Data in der Forschung

Vor allem das Thema Daten spielte eine sehr große Rolle, erklärte Deglmann. Dabei sei es übrigens auch wichtig, negative Ergebnisse auszuwerten, um Trends zu entdecken. Durch diese Arbeitsweise und daraus entwickelte Simulationen sei es etwa gelungen, in nur sechs Monaten eine komplett neue wasserbasierte Holzlackierung zu entwickeln.

Die 82. GDCh-Lacktagung war gut besucht

Die 82. GDCh-Lacktagung war gut besucht

Wer viele Daten erheben will, braucht natürlich auch die Ausstattung dazu, dies in angemessener Zeit zu tun. Wie das aussehen kann, zeigte Claudia Bramlage, die das High-Throughput-Labor der Evonik vorstellte. Das 120 m² große und voll automatisierte Labor ist dank seinen 13 verschiedenen Robotern in der Lage am Tag 120 Formulierungen zu mischen und 620 Substrate zu beschichten. Messungen finden dabei entlang der kompletten Kette statt, sodass nicht nur die finalen Filmeigenschaften bestimmt werden, sondern etwa auch rheologische Kennwerte oder Daten zu Schaumbildung.

Auch der Mittelstand profitiert

Evonik bietet Kapazitäten in dem Labor auch als Dienstleistung für externe Kunden an, sodass auch mittelständische Unternehmen in den Genuss der schnellen Datenerfassung kommen können. Auf Nachfrage erklärte Bramlage etwa, dass die Performance von 30 Entschäumern in einer gegebenen Formulierung in wenigen Stunden vermessen werden könne.

Das Thema Daten ist jedoch nicht ohne Fallstricke, etwa wenn Kollaborationen daran scheitern, dass diese nicht geteilt werden können, da sie aus unterschiedlichsten Gründen vertraulich zu behandeln sind. Thomas Fäcke von Covestro zeigte hier, wie man dieses Problem durch Datenpseudonymisierung oder -anonymisierung umgehen könne.

Offenzeit verlässlich messen

Aber auch abseits digitaler Themen gab es einige Highlights. So wurde dieses Jahr turnusgemäß auch wieder der mit 2.500 EUR dotierte FARBE UND LACK // PREIS verliehen, der den Nachwuchslackforscher unterstützen soll. Hier wurde Aaron Breivogel von DAW ausgezeichnet. Sein Beitrag „Messen ist besser als Schätzen“ ist in Ausgabe 1/2018 erschienen und kann auch online unter http://360.farbeunlack.de nachgelesen werden. In seinem Beitrag beschreibt Breivogel eine neuartige Messmethode, die eine objektive und reproduzierbare Messung der Offenzeit ermöglichen soll. Der Preisträger wird in der kommenden Novemberausgabe der Farbe und Lack vorgestellt.

Als preiswürdig wurde auch der Vortrag von Ulrich Tritschler angesehen, der den zweiten Platz des Tagunspreises erhilt. Er zeigte, wie moderne Fluorpolymere als Oberflächenadditive eingesetzt werden können und nach welchen Kriterien diese aufgebaut werden. Interessant an seinen Ergebnissen waren zudem Untersuchungen, die zeigten, dass ein Teil der Fluorpolymermizellen Bilden und sich 30-50 nm unter der Oberfläche des Films ansiedeln. Diese können beispielweise den hydrophoben Charakter des Lackfilms aufrechterhalten, wenn dieser durch Verwitterung teilweise abgebaut wird.

Von der Natur lernen

Mit dem ersten Tagungspreis wurde Daniel Appel von der Universität Paderborn ausgezeichnet. Er stellte seine Forschung zu bioinspirierten Beschichtungskonzepten vor. Grundsätzlich verfolgt er dabei den Ansatz, Enzyme auf einem Substrat zu binden, damit dieses dann dort katalytisch wirksam wird und aus einem Precurser eine dünne Beschichtung zu erzeugt. So konnte er zeigen, wie Schichten aus Melamin auf einem Glassubstrat erzeugt werden können.

GDCH Lacktagung Preis

Daniel App von der Universität Paderborn wurde mit dem ersten Tagungspreis ausgezeichnet.

Dies hat etwa potenzielle Anwendungen in der Medizintechnik und kann dazu genutzt werden Implantate zu beschichten. Melamin ist für den Körper kein Fremdstoff und seine guten Absorptionseigenschaften können für die Untersuchung der Implantate genutzt werden. Aber auch klassische Beschichtungsstoffe wie MMA können über diese Technik abgeschieden werden. Hergestellt haben die Forscher auch ungewöhnliche Schichten, etwa aus Caseinmizellen.

Neu hinzugekommen war zudem eine Postersession, bei der Studenten und Doktoranten ihre Arbeiten vorstellen konnten und die für großen Andrang bei den Postern sorgte. Hier konnte es zeitweise schon recht eng werden. Die nächste GDCh-Lacktagung wird vom 11-13. September 2019 in Erfurt stattfinden.

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