Übernahmen und Fusionen: Aufbruch nach dem Ausbruch?
In der aktuellen Ausnahmesituation (Covid-19 und Rohstoffe) beobachten wir eine zunehmende M&A-Aktivität in der Farben- und Lackindustrie. Die Marktsegmente sind unterschiedlich von der Pandemie betroffen: Während Architekturfarben und Bautenschutz sogar profitieren, erleiden die Automotive-Serienlack-Hersteller starke Einbußen. Im Bereich der Industrielacke wiederum ist das Bild sehr uneinheitlich. Vor diesem Hintergrund herrscht Aufbruchstimmung am Markt. Konsolidierungstendenzen, die wir bereits seit mehreren Jahren erwartet haben, nehmen nun erkennbar Fahrt auf.
Analysen von M&A-Transaktionen aus der Vergangenheit belegen: Synergien können das kombinierte EBITDA beider Unternehmen mehr als verdoppeln. Im Januar 2021 kündigte der US-amerikanische Lackhersteller PPG an, den finnischen Baufarben- und Lackhersteller Tikkurila übernehmen zu wollen. Die Verantwortlichen begründen die strategische Entscheidung mit den erheblichen Synergien, die sich aus dem Zusammenschluss ergeben werden. Noch im selben Monat stieg auch Akzo Nobel in den Bieterkampf mit ein, den am Ende jedoch PPG für sich entschied. Dieses Beispiel verdeutlicht die aktuelle Dynamik und die Attraktivität der Farben- und Lackindustrie für M&A Aktivitäten.
Der richtige Zeitpunkt für Käufer und Verkäufer?
Das Bewertungsniveau für Unternehmen der Farben- und Lackindustrie ist derzeit trotz – oder wegen – der durch die Pandemie beeinflussten Sondersituation hoch, denn der Markt für Unternehmensbeteiligungen ist durch gestiegene Börsenbewertungen, hohe Liquidität und enormen Anlagedruck der Finanzinvestoren gekennzeichnet. Viele Unternehmen in der Industrie verfügen über erhebliche Eigenmittel – und auch Fremdkapital ist in großem Umfang zu attraktiven Konditionen verfügbar.
Diese Situation kann zu potenziell attraktiven Verkaufserlösen für verkaufswillige Anteilseigner führen. Aber auch für kaufwillige Unternehmen sind entsprechende Finanzierungsmöglichkeiten verfügbar. Die hochbewerteten börsennotierten Unternehmen können attraktive Kaufpreise zahlen und schaffen aus Sicht ihrer Aktionäre dennoch Wert.
Der Markt für Farben- und Lackunternehmen weist in der DACH-Region bislang einen mittleren Konzentrationsgrad auf. Er ist dominiert von größeren mittelständischen Unternehmen. Kaufwillige Investoren haben somit Chancen, geeignete Target-Unternehmen zu finden. Prinzipiell verkaufswillige Unternehmen sollten jedoch im Blick behalten, dass das gegenwärtig hohe Interesse deutlich abkühlen kann, wenn die aktuell so rührigen Käufer an kartellrechtliche Grenzen stoßen oder einfach ihre Akquisitionsziele erreicht haben.
Covid-19 als M&A-Katalysator
Wie in anderen Branchen auch beobachten wir in der Farben- und Lackindustrie: Die einzelnen Marktsegmente sind unterschiedlich von der Pandemie betroffen. Das Segment Architekturfarben und Bautenschutz hat sich durch den Corona-bedingten Trend zum „Do It Yourself“ (DIY) positiv entwickelt. Für Investoren in diesem Segment kann eine Akquisition derzeit sogar besser finanzierbar sein als vor dem Ausbruch der Pandemie.
Der Bereich für Industrielacke, (ohne Automotive) ist sehr heterogen strukturiert. Teilweise hat sich der Konsolidierungsdruck in diesem Segment verstärkt. Vor allem die großen Player üben hier Druck aus. So sagte Maasaki Tanaka, Vorstandsvorsitzender des japanischen Farben- und Lack-Riesen Nippon Paint, im Oktober letzten Jahres: „Wenn der gesamte Markt am Boden liegt, wird es für ein Unternehmen wie uns, mit finanzieller Feuerkraft und stabilem Management, Möglichkeiten zur Neuausrichtung der Branche geben.“
Chancen und Risiken für den Mittelstand
Was bedeuten diese Entwicklungen für die mittelständischen Unternehmen der Farben- und Lackindustrie und wie können diese von der aktuellen Situation profitieren? Der deutsche Markt für Farben und Lacke ist insgesamt noch durch mittelständische und oftmals inhabergeführte Unternehmen geprägt. Der Bereich Architekturfarbe weist dabei einen mittleren Konzentrationsgrad auf, wohingegen die Bereiche Industrielacke und Bautenschutz vergleichsweise stark fragmentiert sind. Noch sind die weltweit großen Player Akzo Nobel, PPG, Sherwin-Williams und Nippon Paint auf dem deutschen Markt wenig vertreten. Es ist aber erkennbar, dass sie stärker auf den deutschen Markt vordringen, da sie derzeit massiv auf der Suche nach geeigneten Übernahmekandidaten sind.
Für mittelständische Unternehmen bietet diese Situation erhebliche Chancen, aber auch Risiken: Verkaufswillige Unternehmen können in der aktuellen Marktsituation mit hohen Bewertungen rechnen. Auch können Zukäufe helfen, durch Synergien die Profitabilität zu steigern und dadurch finanzstark in den Wettbewerb mit den Großen der Branche zu treten. Gelichzeitig stellt jedoch die Umsetzung von M&A Strategien mittelständische Unternehmen vor große Herausforderungen: Während fundiertes operatives Know How und Branchenexpertise in hohem Maße verfügbar sind, sind M&A Kompetenzen bei Mittelständlern oftmals wenig ausgeprägt.
Die aktuelle Situation nutzen
Wir gehen aus vielen Gründen aktuell nicht davon aus, dass Unternehmensbewertungen mittelfristig nennenswert weiter steigen werden. Das Bewertungsniveau ist historisch und relativ zu anderen Industrien sehr hoch und Zinserhöhungen mit ihren direkten negativen Auswirkungen auf die Aktienmärkte erscheinen nicht mehr ausgeschlossen. Eher sehen wir daher sogar das Risiko eines Absinkens der Bewertungen.
Für Mittelständler lässt sich sagen: Es besteht nachhaltig hohes Interesse an Übernahmen in der DACH-Region. Mittelständler sollten nicht zögern, sondern die Chance der aktuellen Marktsituation für sich nutzen.
Hinweis: Dieser Artikel ist eine stark gekürzte Fassung einer Umfassenden Analyse von Übernahmen und Fusionen in der Lack- und deren Zulieferindustrien. Die komplette Version finden Sie in unserer Onlinebibliothek 360°.