Lacktagung 2017: Gelungenes Experiment

Die GDCh-Lacktagung war dieses Jahr besonders. Statt im familiären Kreis unter sich zu bleiben, suchte man in Berlin die große Bühne. Die GDCH feierte hier ihr 150-jähriges Bestehen. Immer mal wieder schnupperten Chemiker aus anderen Fachrichtungen in die Lack-Vorträge rein.

Das Zitat von Otto Hahn über die Eingangstür zum GDCh-Lackforum passte gut zum Themenschwerpunkt Nachhaltigkeit. -

Die Meinungen zur GDCh-Lacktagung 2017 waren vor dem eigentlichen Event gemischt. Manch einer machte sich Sorgen, in Berlin im Rahmenprogramm des Jubiläumskongresses der GDCh unterzugehen. Diese feiert gerade ihr 150-jähriges Bestehen. Am Ende setzte sich die Überzeugung durch, dass man die Chance nutzen sollte, auch lackfremde Chemiker mit der Tagung zu erreichen.

Ausnahmen beim Programm

Um diese anzulocken, wurden ausnahmsweise auch einige Vorträge aus dem Vorjahr wiederholt, die aber auf fachfremde Besucher besonders einladend wirken sollten. Nach einem etwas verhaltenen Start entwickelte sich dann auch ein reges Kommen und Gehen und vor allem am zweiten Tag konnte man eine ordentliche Fluktuation im Publikum beobachten.

Insofern kann man das Experiment Berlin als gelungen bezeichnen. Zwar zeigte sich weniger Stammpublikum als gewohnt, das kann aber angesichts der Mission, außerhalb der eigenen Filterblase gesehen zu werden, als vertretbarer Preis gesehen werden. Zumal es im nächsten Jahr in Bayreuth (12. – 14. September) wieder in den gewohnten familiären Modus zurückgeht.

Psychologie trifft auch Lackchemie

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Inhaltlich wurde dieses Jahr viel über den Tellerrand geschaut. Etwa beim ersten Themenblock Optik und Wahrnehmung. Diesen leitete Hanna Smithson ein. Sie arbeitet als Associate Professor an der University of Oxford in Großbritannien und hat sich auf das Thema visuelle Wahrnehmung von Materialien spezialisiert. Sie zeigte, Farben sind nicht so vergleichbar, wie es unsere lieb gewonnenen Laborwerte unter kontrollierten Standardbedingungen gerne glauben machen.

Fotografen kennen den Effekt, ein Bild desselben Motivs bei klarem Sonnenschein sieht farblich ganz anders aus, als wenn man es bei Nebel oder in der Dämmerung aufgenommen hat. Im Gegensatz zum Fotochip nimmt der Mensch jedoch mehr oder weniger die gleiche Farbsituation war. Der Grund hierfür ist, dass das menschliche Gehirn den Kontext zu berücksichtigen versucht und Abweichungen quasi herausrechnet.

Nachhaltigkeit ist mehr als Klimaschutz

Auch die Umwelt spielte im Vortragsprogramm eine große Rolle. Etwa bei Lydia Simon, die bei Covestro als Global Sustainability Manager arbeitet. Sie erklärte, dass sie davon ausgehe, dass Umweltauswirkungen in Zukunft monetarisiert werden. Wer dann noch im großen Stil auf umweltschädliche Rohstoffe setze, habe Wettbewerbsnachteile zu befürchten.

Der Druck umweltfreundlicher zu werden, so erklärte sie, werde in Zukunft auch noch stärker abseits von regulatorischen Maßnahmen stattfinden. Natürlich bleiben diese wichtig, allerdings dauert es doch meist recht lange, bis neue Gesetze oder Verordnungen wirklich in Kraft treten. Auch dank des Internets könnten Verbraucher heutzutage viel schneller Druck aufbauen und so etwa große Unternehmen dazu bringen, sich selbst zu regulieren.

Mehr Umweltschutz dank Facebook

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Diskussion und kritische Nachfragen gehören zu jeder Lacktagung wie die Milch zum Kaffee.

So sei etwa eine weltweit aktive Marke wie Ikea in der Lage den Markt für Holzbeschichtungen deutlich schneller zu beeinflussen, als es eine neue Verordnung könne. Dank Social Media und Co. sei es möglich, dass solche Veränderungen in Wochen oder Monaten erfolgen, statt wie bisher in Jahren. Als Beispiel nannte sie hier Farbrücknahmesysteme, die es inzwischen in Baumärkten in Großbritannien oder Australien gäbe.

Auch der dritte Themenblock war nah dran an der Natur. Unter dem Motto Bionik und Funktionalitäten zeigte sich: die Lackbranche kann auf diesem Gebiet schon einige Erfolge vorzeigen. Dass der Lotuseffekt dazugehört, ist sicher keine Neuheit. So befasste man sich in Berlin auch eher damit, wie man noch mehr und besser von der Natur lernen kann und wagte den Blick über den Tellerrand. Den brachte etwa Cordt Zollfrank, der an der TU München einen Lehrstuhl zum Thema biogene Polymere innehat.

Lehren aus der Käferwelt

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Unter anderem die Postersession luden dazu ein einmal in andere Fachbereiche hinein zu schnuppern.

Konkret für die Lackbranche brachte er etwa ein Beispiel aus der Käferwelt mit. Der Skarabäus Chypochilus Insulanus besitzt einen Panzer, dessen optische Eigenschaften es mit diversen Weißpigmenten aufnehmen können. Eine feine Schuppenstruktur sorgt hier für Streueffekte, die die weiße Färbung erzeugen. Grundsätzlich gehe es bei der Bionik aber nicht darum biologische Systeme direkt zu nutzen, erklärte Zollfrank. Vielmehr gehe es darum ihre Struktur als Template zu verstehen und diese dann in neuen Materialien mit gleichem oder ähnlichem Effekt einzusetzen. Obwohl man aus der Natur so viel ableiten könne, fehle es derzeit aber leider an Lehrstühlen, die das nötige Wissen über biologische Systeme bereitstellen können.

Auch klassische lackchemische Themen kamen auf der Tagung nicht zu kurz. Von der Geschichte der Pigmente, über neue Messmethoden zur Bestimmung der Pigmentorientierung, Mikroverkapselungen zur Selbstheilung und neuen Korrosionsschutzkonzepten war im Grunde für jeden etwas dabei. Gerade die Themen, die über Tellerrand blicken, machten die Veranstaltung aber zu einem besonderen Event.

Jan Gesthuizen

In der nächsten Ausgabe der Farbe und Lack finden Sie eine ausführlichere Version dieses Beitrags mit Information zu einigen weiteren Vorträgen. Die Ausgabe erscheint am 2. Oktober und wird auch digital abrufbar sein.

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