Interview: „Indien: Selbst in China hat es so ein Wachstum nicht gegeben“

Maschinenhersteller Wilhelm Niemann beliefert ­erneut ­Indiens Marktführer Asian Paints mit einem Großauftrag über 21 Groß-Dissolver. Frank Niemann und Helmut Diddens über Potenziale und Herausforderungen im indischen Markt sowie über die ­Erweiterung des Stammwerks in Melle.

Interview: "Indien: Selbst in China hat es so ein Wachstum nicht gegeben". Quelle: GStudio Group - Fotolia -

Sie haben Ihren vierten Großauftrag aus Indien erhalten – nach „harten Verhandlungen“. Inwiefern gibt es Unterschiede im Vergleich von indischen mit deutschen bzw. europäischen Kunden? Frank Niemann: Harte Verhandlungen sind wir gewohnt, aber in Indien ist es doch ein wenig anders im Vergleich zu unseren Kunden in Europa. Es ist auf jeden Fall ein sehr langwieriger Prozess, der meist fünf bis sechs Monate in Anspruch nimmt. In Europa dauert es durchschnittlich nur die Hälfte der Zeit. Es beginnt mit den sehr umfangreichen Ausschreibungsunterlagen, die wiederum eine sehr umfangreiche Angebotsausarbeitung erfordern. Da kommen gut und gerne mehr als 50 Seiten zusammen, denn jede Spezifikation – selbst bis hin zu Motortypen und Stutzen-Positionen – muss einzeln aufgeführt und erläutert werden.

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Frank Niemann

Geschäftsführer Wilhelm Niemann Maschinenfabrik

Helmut Diddens: Der langwierige Auswahlprozess ist auch ein deutlicher Unterschied. In Indien sind damit immer Teams betraut. Bis sich da alle Teammitglieder einigen, vergeht mehr Zeit. Es werden auch keine schnellen Entscheidungen vor Ort in einem persönlichen Gespräch getroffen. Zudem ist für indische Kunden der Preis sehr, sehr wichtig. Durch die langen Wartezeiten bis eine Entscheidung gefällt wird, erhoffen sie sich womöglich preislich einen Vorteil zu verschaffen. Die weichen Faktoren, wie etwa persönliche Beziehungen sowie technische Beratung und Service, die ebenfalls zu einem Angebot gehören, sind zweitrangig verglichen zum Faktor Preis.

Als Zulieferer für die Farben- und Lackbranche kennen Sie den indischen Markt. Wo liegen hier die Potenziale und Herausforderungen? Diddens: Das Land hat ein wahnsinniges Wachstumspotenzial. Selbst in China in den ersten Jahren des jetzigen Jahrtausends hat es ein solches Wachstum nicht gegeben. Indiens Wirtschaft wächst mit zirka 7 bis 8 % jährlich. Bei 1 Mrd. Menschen ist vor allem das Mengenwachstum erheblich. Als Beispiel kann man hier den Markt für Dekorfarben anführen. Hier ist ein Wachstum von 15% pro Jahr prognostiziert. Das heißt, dass sich das Volumen alle fünf Jahren verdoppelt. Bei Asian Paints in Indien hat man den Schluss daraus gezogen, dass alle drei bis vier Jahre ein neues Werk gebaut werden muss, damit die geforderten Produktionskapazitäten erreicht werden können.

Niemann: In den Preisen sehen wir die größte Herausforderung für uns. Die Inder sind ein niedriges Preisniveau gewöhnt, welches bei zirka 30 – 40% des europäischen Preisniveaus liegt. So war auch die Firma Asian Paints auf der Suche nach besseren Preisen und hat zuletzt versucht, die bisher von uns gelieferten Maschinen durch einen günstigeren Wettbewerber zu ersetzen. Nach dem gescheiterten Versuch mit einer Wettbewerbsmaschine hat man nun aber wiederum 21 Groß-Dissolver bei uns bestellt. Das zeigt einerseits das Vertrauen in unsere Maschinen und in das Gütesiegel „Made in Germany“, wir sind uns aber bewusst, dass wir mit unseren Maschinen und Preisen auch nur für einen kleinen Kreis potenzieller Kunden in Indien interessant sind. Es dürften wohl 20 bis 25 Unternehmen, der schätzungsweise 2.500 Farben- und Lackhersteller, zu diesem Kreis zählen.

Sie expandieren ebenfalls am Standort in Melle. Welche Maßnahmen umfasst die Expansion? Niemann: Im letzten Jahr haben wir unser Werk um 1.600 qm erweitert. Die Kundenwünsche verlangen Maschinen in immer größeren Dimensionen. Sollte ein Dissolver früher eine Kapazität von 1.000 Litern genügen, sind es heute 15.000 bis 20.000 Liter, so dass die dafür notwendigen größeren Werkzeugmaschinen in unserem Maschinenpark sowie die Installation eines vollautomatischen Paletten-Hochregallagers mit 1.250 Palettenplätzen bzw. Kleinteilelagers diese weitere Kapazitätserweiterung notwendig machten. Die aktuell in der Inbetriebnahme befindliche Logistik-Anlage bildet zukünftig das Logistik-Zentrum zur durchgängigen Digitalisierung des Fertigungsablaufes in Melle mit vollständiger Anbindung an das ERP-System.

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Helmut Diddens

Verfahrensexperte Wilhelm Niemann Maschinenfabrik

In diesem Jahr liefern Sie Ihren 5.000 Kreis-Dissolver aus. In welchen Ländern sind die meisten Anlagen im Einsatz? Diddens: In Deutschland stehen mit etwa 46% die meisten unserer Dissolver. Dahinter folgen die Niederlande und Belgien. Etwa 60% sind in europäischen Ländern im Einsatz, wie etwa in der Schweiz, der Türkei und Frankreich. Außerhalb Europas sind wir stärker in den arabischen Ländern, dem Iran, Ägypten und China vertreten.

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