Interview: „Das ist unsere gesellschaftliche Verantwortung“

Remmers hat angesichts der Corona-Pandemie eine Produktionslinie umgestellt und bereits 15.000 Liter Desinfektionsmittel an Rettungsdienste und Krankenhäuser abgegeben. Die Redaktion sprach mit Jürgen Jahn, Bereichsleiter des Personalmanagements, über bürokratische Hürden und dankbare Empfänger.

Die Nachfrage nach Desinfektionsmitteln ist aufgrund der Corona-Pandemie immens angestiegen. Quelle: RioPatuca Images - adobe.stock.com
Die Nachfrage nach Desinfektionsmitteln ist aufgrund der Corona-Pandemie immens angestiegen. Quelle: RioPatuca Images - adobe.stock.com -

Wie kam es dazu, dass Remmers so kurzfristig Kapazitäten zur Produktion von Desinfektionsmitteln bereitgestellt hat?

Jürgen Jahn: Wir haben Anfang Februar damit angefangen, unsere internen Hygiene-Standards hochzufahren. Unsere Bestände reichten nicht mehr aus. Deshalb haben wir zusammen mit einer örtlichen Apotheke Desinfektionsmittel für unseren internen Bedarf hergestellt. Das waren am Anfang 600 Liter. Daraufhin hat mich das Deutsche Rote Kreuz angerufen, um zu fragen, ob wir ihnen mit Desinfektionsmitteln aushelfen könnten, weil sie für ihre Rettungswagen nur noch Reservebestände hatten. Wir haben dann aus unseren Beständen ausgeholfen. Nachdem wir das gemacht hatten, ging diese Information an den Krisenstab der Region und es meldeten sich alle Rettungsdienste und auch die Stadt Oldenburg bei mir. Das passierte alles blitzartig. Wir haben dann festgestellt, dass der Bedarf so hoch ist, dass wir geguckt haben, ob wir die Mittel selbst herstellen können.

Seit wann produzieren Sie die Desinfektionsmittel und in welcher Größenordnung?

Jürgen Jahn_Remmers

Jürgen Jahn: Wir hatten relativ große Lagerbestände an Ethanol und Isopropanol und haben in der letzten Februarwoche in Absprache mit der Stadt Oldenburg, die enormen Bedarf für Krankenhäuser und Rettungsdienste hatte, angefangen zu fertigen.

Bis heute haben wir ungefähr 15.000 Liter hergestellt. Dann waren unsere Tanks leer. Und jetzt kämpfen wir um Nachschub. Das sind Kämpfe gegen Windmühlen, kann ich Ihnen sagen! Insbesondere, was die Bürokratie betrifft.

Wir haben bisher in Fünf-Liter-Gebinden abgefüllt, die Gesetzeslage verbietet im Rettungsdienst das Umfüllen eines 5-Liter-Kanisers in einen 1-Liter-Kanister, das dürfen nur Apotheker oder Hersteller. Das muss man sich mal vorstellen.  

Jetzt bekommen wir Ethanol, also Alkohol, und wir geben die Desinfektionsmittel für zehn EUR ab, das ist der Herstellungspreis. Dann sollten wir auf dieses Ethanol aber 13 EUR pro Liter Zoll zahlen, weil man damit ja alkoholische Getränke herstellen kann und es somit der Alkoholsteuer unterliegt. Dabei können wir gar keinen Alkohol herstellen, wir haben nicht die Möglichkeit oder Absicht, hier Schnaps zu brennen.

Das hat uns eine Woche Diskussionen gekostet. Das ist schon echt erschreckend.

Auf der anderen Seite haben Sie dann eine Rettungsorganisation, die nur noch Reservebestände hat und damit nur noch ein paar Tage fahren kann.

Sie geben die Mittel zum Selbstkostenpreis ab, was sind Ihre Beweggründe?

Jürgen Jahn: Das sehen wir und unsere Gesellschafter als unsere gesellschaftliche Verantwortung an, insbesondere für unsere Region. Wir liefern im Moment von Osnabrück bis nach Wilhelmshaven. Das betrifft unsere Rettungsdienste, unsere Krankenhäuser, unsere Polizei, die wir unterstützen. Damit wollen wir keinen Profit machen, wir wollen helfen. Wenn wir mehr herstellen könnten, würden wir auch mehr abgeben. Es geht aber eben schneller, wenn wir die Desinfektionsmittel direkt in der Region abgeben. Der Bedarf ist so groß, dass alles, was wir herstellen, ruckzuck weg ist.

Wo werden die Desinfektionsmittel eingesetzt?

Jürgen Jahn: Neben Krankenhäusern und Rettungsdiensten auch bei der Polizei, in der Stadtverwaltung und bei Pflegeheimen. Die großen Mengen landen allerdings wirklich bei den Rettungsdiensten. Wir können es leider nicht an Privatpersonen, nicht an die Industrie und auch nicht an Kunden abgeben.

Wie schnell konnten Sie Ihre Produktionsabläufe dafür ändern und wie herausfordernd war das?

Jürgen Jahn: Wir mussten eine ganze Abfülllinie umstellen und diese zunächst komplett reinigen, was relativ aufwändig ist. Dann mussten wir die Rezeptur neu zusammenstellen. Für das Desinfektionsmittel gibt es eine offizielle und frei verfügbare WHO-Rezeption, die das genau festlegt. Eine Line stellt dann komplett Desinfektionsmittel her. Dann folgt das Abfüllen. Die 5-Liter-Gebinde sind auch nicht unsere Regelgebinde, aber für die Rettungsdienste am vernünftigsten.

Werden Ihre üblichen Produktionsabläufe für Bautenschutzprodukte und Holzschutzmittel davon beeinträchtigt?

Jürgen Jahn: Wir haben dafür eine Farbe abgestellt und dann die Zeit, die wir durch die Reinigung verloren haben, durch Sonderschichten am Samstagarbeit aufgefangen. Das Mittel muss 72 Stunden ausreagieren. Da war es gut, dass wir das am Wochenende gemacht haben, so konnten wir es in der Woche drauf gleich verteilen.

Wir stellen normalerweise auch Desinfektionsmittel in kleinen Mengen zur Gebäudesanierung her, aber natürlich keine Mittel zur Hautdesinfektion.

Wo produzieren Sie, und mussten Sie für die Produktion der Desinfektionsmittel Extraschichten ansetzen und Personal umsetzen?

Jürgen Jahn: Wir produzieren im Hauptwerk in Löningen. Die Leute haben sich alle freiwillig gemeldet und arbeiten in Extraschichten. Da gab es überhaupt keine Diskussion.

Wie kommt diese Aktion bei den Mitarbeitern und den Empfängern an?

Jürgen Jahn: Ich denke unsere Mitarbeiter sind schon stolz, dass sie hier helfen können. Sie wissen um die gesellschaftliche Verantwortung. Bei den Empfängern ist es einfach überwältigend. Wir könnten das Zehnfache von dem verkaufen, was wir herstellen. Die Leute sind alle sehr dankbar. Das macht einen dann auch ein bisschen stolz, wenn man helfen kann. Auf der anderen Seite ist es auch erschreckend, wie schlecht man auf diese Situation vorbereitet war.

Wir versuchen jetzt, aus allen Quellen Ethanol zu bekommen, auch von Alkohol- bzw. Getränkeherstellern. Wir produzieren weiterhin zum Selbstkostenpreis zu 100 Prozent für die Rettungskräfte. Die leben im Moment von der Hand in den Mund.

Das Interview führte Kirsten Wrede.

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