Interview: „Beträchtliche Senkung der Qualitätskosten“

Der Druckfarbenhersteller Siegwerk hat an seinem Stammwerk die nach eigener Aussage größte vollautomatisierte Produktionsanlage für Druckfarben eröffnet. Im Interview erklärt CEO Herbert Forker, was die Investition bedeutet und warum das Thema Digitalisierung für die Branche so wichtig ist.

Interview: „Beträchtliche Senkung der Qualitätskosten“. Bildquelle: vegefox-StockAdobe.com
Interview: "Beträchtliche Senkung der Qualitätskosten". Bildquelle: vegefox-StockAdobe.com -

Sie bezeichnen die neue Produktionsanlage als die größte vollautomatisierte Produktionsanlage für Druckfarben in Europa. Können Sie hierzu bitte Kennzahlen nennen?

Herbert Forker: Die Produktionsanlage ist für ca. 200 Einzelkomponenten von Lösemitteln über Bindemitteln bis hin zu Stammfarben ausgelegt und kann so ca. 10.000 verschiedene Druckfarben für die unterschiedlichsten Anwendungen fertigen. Die finalen Druckfarben werden größtenteils direkt von der Anlage in Kundengebinde dosiert, wobei 17 verschiedene Gebindetypen von 20 kg bis 1.000 kg Fassungsvermögen befüllt werden können. Die Auslegungskapazität der Anlage liegt oberhalb von 20.000 Tonnen Druckfarbe pro Jahr und ermöglicht im Vergleich zu industrieüblichen Dosieranlagen mit etwa 10.000 bis 15.000 Tonnen ein wesentlich höheres jährliches Produktionsvolumen.

Sie stärken mit Ihrer Investition auch den Standort Deutschland. Weshalb haben Sie sich entschieden, hier zu investieren?

Forker: Unser Hauptstandort in Siegburg ist der größte Produktionsstandort für Druckfarben weltweit. Mit der Investition in das neue Mischwerk treiben wir gezielt die Automatisierung des Standorts voran und bauen die bereits vorhandenen Skaleneffekte weiter aus. Dem Standort Siegburg kommt dabei eine entscheidende Rolle für unser globales Wachstum zu. Seine zentrale Lage ermöglicht es uns, unseren Kunden in Europa einen exzellenten Lieferservice mit hohen und einheitlichen Qualitätsstandards zur Verfügung zu stellen. Wir gehen davon aus, dass wir mit dieser Investition unsere stabile Marktposition in Europa zukünftig noch weiter stärken werden.

Sie treiben die eigene Digitalisierung voran. Inwieweit haben Sie diesbezüglich bereits weitere Schritte geplant?

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Herbert Forker

CEO Siegwerk

Forker: Digitalisierung hat bei Siegwerk eine hohe Priorität. Wir arbeiten diesbezüglich an verschiedenen Initiativen, um neue digitale Lösungen zu entwickeln und bereits implementierte Lösungen weiter auszuarbeiten. Dabei steht für uns die weitere Digitalisierung von Prozessen und Arbeitsabläufen – gerade auch im Bereich manueller Produktionssegmente – im Fokus.

Unsere IT-Spezialisten und Ingenieure arbeiten darüber hinaus an der Nutzung von künstlicher Intelligenz zur Auswertung großer Datenmengen im Produktions- und Entwicklungsumfeld. Diese neuen Tools können dann von unseren Ingenieuren und Entwicklern zur Prozess- und Entwicklungsoptimierung genutzt werden. Dadurch erhöhen wir unsere Effizienz und verkürzen unsere Entwicklungszyklen. Außerdem arbeiten wir an digitalen Plattformen für unsere Kunden. Verschiedene Pilotprojekte sind bereits im Gange.

Wie bewerten Sie den derzeitigen Grad der Automatisierung und Digitalisierung innerhalb der Branche?

Forker: Innerhalb der europäischen Druckfarbenbranche gibt es heute immer noch viele relativ kleine Produktionsstandorte. Unserer Einschätzung nach sind die meisten Standorte bestenfalls mittelmäßig automatisiert, da aufgrund ihrer geringen Größe eine volle Integration der ERP-Systeme mit den Prozessleitsystemen nicht wirtschaftlich realisierbar wäre. Weiterhin werden Spezialisten sowohl im Bereich der Automatisierungstechnik als auch im Bereich der IT benötigt und dies sowohl für die Konzeption, die Implementierung als auch den Betrieb von hochautomatisierten Fertigungsbereichen. Diese Ressourcen können ebenfalls häufig an kleineren Standorten nicht in der erforderlichen Qualität vorgehalten werden. Folglich lassen sich viele Vorteile der Automatisierung und Digitalisierung auch nur bedingt realisieren.

Wo liegen die Herausforderungen und Chancen beim Thema Automatisierung und Digitalisierung in unserer Branche?

Forker: Eine Herausforderung der vernetzten Industrie 4.0 ist vor allem, dass Konzeption, Implementierung sowie operative Abwicklung entsprechender Automatisierungslösungen neue Anforderungen an die Qualifikation von Mitarbeitern mit sich bringen. Das bedeutet, dass entweder neue Mitarbeiter mit den erforderlichen Qualifikationen eingestellt oder bestehende Mitarbeiter weiterqualifiziert werden müssen.

Durch die volle Integration und den hohen Automatisierungsgrad digitaler Lösungen haben auftretende Fehler außerdem gravierendere Auswirkungen im Vergleich zu den in der Vergangenheit üblichen „Insel“-Lösungen. Dies erfordert eine gute interne und externe Störungs- und Wartungsstruktur, um potenziell auftretenden Fehlern vorbeugen zu können. Auf der anderen Seite bieten Automatisierung und Digitalisierung selbstverständlich auch jede Menge Chancen für die Druckfarbenindustrie. So lassen sich Produkte z.B. durch die Verwendung digitaler Standards schneller entwickeln und zur Markreife bringen. Von den Produktanforderungen ausgehend können die Entwickler zukünftig auf Basis intelligenter Algorithmen konkrete Formulierungsvorschläge für Farblösungen erhalten, die ebenfalls die Produktentwicklungszeit verkürzen und zu Effizienzsteigerungen führen.

Mittels moderner digitaler Qualitäts-Prüfverfahren lässt sich außerdem die Produktqualität objektiv ermitteln. Die digital anfallenden Daten können dabei elektronisch statistisch ausgewertet werden. Weiterhin lassen sich auch mittels KI-Algorithmen Muster in sehr großen Datenmengen erkennen, die in der Vergangenheit für unsere Prozessingenieure kaum bzw. nur mit sehr großem manuellen Aufwand erkennbar waren. Durch diese neuen Technologien werden sich zukünftig noch weitere Prozessoptimierungspotenziale erschießen lassen.

Des Weiteren führt die Integration der Systeme im Industrie 4.0 Zeitalter in der Fertigung zu einer totalen Prozesstransparenz und -kontrolle und damit zu einer umfassenden Abdeckung der für unsere Kunden so wichtigen Rückverfolgbarkeit in der Prozesskette. Weiterhin lassen sich individuelle Fehler, die in manuellen Fertigungsprozessen regelmäßig auftreten, eliminieren. Dadurch kommt es nicht nur zu einer Verbesserung der Produktqualität, sondern auch zu einer beträchtlichen Senkung der Qualitätskosten, die in manuellen Prozessen durch Prüfung, Nachbearbeitung und Ausschuss entstehen.

Außerdem wird durch eine Digitalisierung und Automatisierung der Fertigung auch die Wettbewerbsfähigkeit im Hinblick auf die Fertigungskosten verbessert. Von der voranschreitenden Digitalisierung wird die gesamte Wertschöpfungskette unserer Industrie nach und nach erfasst werden, weshalb wir davon ausgehen, dass sich zukünftig auch unternehmensübergreifend weitere erhebliche Effizienzpotenziale realisieren lassen.

Event Tipp

Um das Thema Digitalisierung geht es auch in der FARBE UND LACK // INDUSTRIE 4.0 Konferenz am 28. und 29. April in Krefeld. Neben Vorträgen rund um Industrie 4.0 gehört auch eine Besichtigung der kürzlich eröffneten Hochdurchsatzanlage der Hochschule Niederrhein zu dem Programm.

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