Internet der Dinge: „Die Technologien sind der Situation in der Branche erheblich voraus“

Wie verändert das Internet der Dinge (Internet of Things – Iot) die Farben- und Lackindustrie und wie bereit ist der Markt? Wir sprachen mit Martin Mádle, Vertriebsdirektor Deso Development, über die Lage in der Branche und das Potenzial von IoT-Lösungen.

Internet der Dinge: "Die Technologien sind der wirklichen Lage in der Branche erheblich voraus." Quelle: zapp2photo -

Wie verändert das Internet der Dinge die Produktionstechnik in der Farben- und Lackindustrie?

Martin Mádle: Heutzutage spricht fast jeder über das Internet der Dinge (IoT). Seit Jahren benutzen wir Smartphones, wir kaufen in zunehmendem Maße intelligente Häuser, Autos oder Fernseher, und einige von uns werden bei der Heimkehr vielleicht sogar von einem intelligenten Kühlschrank begrüßt. Daher sollte es nicht überraschen, dass auch in der Industrie für dieses Konzept geworben wird. Die Farben- und Lackindustrie ist hinsichtlich einer Sache sehr speziell – Sie werden nicht viele Bereiche finden, in denen die Kette von der Produktion zum Kunden gleichzeitig nach zwei völlig unterschiedlichen Verfahren aufgebaut wird. Unserer Ansicht nach unterteilt sich die Produktionstechnik in der Farben- und Lackindustrie dadurch in zwei Gruppen:

1) Beim ersten Verfahren kommt der Kunde in die Verkaufsstelle und wählt ein fertiges Standardprodukt aus. Das ist das übliche Verfahren im Einzelhandel, das wir alle von den meisten Supermärkten und Läden kennen. Bei diesem Szenario findet die Produktion meist zentral in einer relativ kleinen Anzahl von Betrieben in hochleistungsfähigen Produktionsanlagen statt. Das Endprodukt wird dann über einen Vertriebskanal zum Kunden geliefert. Die Schlüsselrolle, die diese Produktionsanlagen spielen, deren geringe Anzahl und die hohen Akquisitions-, Wartungs- und Betriebskosten lassen die Einbindung moderner Werkzeuge zu (bzw. sie erfordern dies sogar). Diese Werkzeuge dienen der Ablaufplanung und Optimierung des Produktionsprozesses, der Verhinderung von Produktionsausfällen, der Wartungsplanung zur Minimierung von Kosten und Gewinnverlusten oder der Gewinnung von Daten, um strategische Entscheidungen fällen zu können.

2) Das zweite Verfahren steht für eine Situation, in der der Kunde in die Verkaufsstelle kommt und das Endprodukt aus verfügbaren Halbfertigprodukten individuell hergestellt wird, sehr häufig während der Kunde wartet. Hierbei handelt es sich um eine dezentralisierte Produktion. Ein Beispiel dafür sind Farbabfüllanlagen. Die Produktion findet näher am Kunden und daher an mehreren Standorten statt – oft sprechen wir von dutzenden, hunderten oder, im Falle der größten Unternehmen, sogar von tausenden von Produktionsstandorten. Das erfordert einen grundsätzlich anderen Ansatz, bezahlbarere Technik und kostengünstigere, weniger anspruchsvolle Wartung. Des Weiteren besteht ein höherer Bedarf an intuitiver Kontrolle und Mobilität der Produktionsanlagen usw. Zudem ist es für die leitenden Mitarbeiter aller Ebenen erheblich schwieriger, Produktion, Servicekapazitäten und Logistik flexibel zu managen, strategische Entscheidungen zu treffen oder einfach die gesamten Vorgänge an dieser speziellen Stelle der Gesamtkette zu verfolgen. Dieser Teil der Kette ist der am nächsten am Kunden befindliche Teil, und er ist daher anfälliger für kritische Fehler.

Es gibt keinen Grund dafür, warum sich die Unternehmen mit der Situation zufriedengeben und ihre Anforderungen an das Kapazitätsmanagement nicht untermauern sollten, wenn es aufgrund der höheren Mengen, der geringeren Konzentration und demzufolge auch der größeren Entfernungen aus Sicht der Zentrale schwierig ist, auf diese Kapazitäten zuzugreifen. Das Internet der Dinge verbindet das Produktionskapazitäts-Netzwerk zu einem System, schaltet Entfernungen aus und die durch die große Anzahl von Anlagen verursachte Komplexität des Managementprozesses, es trägt zu einer wesentlichen Verbesserung der Wartung bei und bietet beträchtliche Einsparungen. Zudem gestattet das Internet der Dinge auch die Erweiterung des Abfüllanlagen-Netzes, da es das gesamte Netzwerk effizienter und zugänglicher macht.

Vor welchen Herausforderungen steht die Farben- und Lackindustrie bei der Einbindung der Digitalisierungskonzepte?

MM

Martin Mádle

Deso Development

Mádle: Die größte Herausforderung für die betroffenen Menschen ist es wahrscheinlich, ihre Denkweise zu ändern. Die Technologien sind der wirklichen Lage in der Branche erheblich voraus, sodass viele von diesen Technologien gut verfügbar und wirtschaftlich rentabel sind. Die Branche hat sich an die Arbeit auf einem bestimmten Niveau gewöhnt und ist gut damit gefahren. 2013 haben wir die Beta-Version unseres Produkts mit der Bezeichnung „Tinting Management Center (TMC)“ auf der European Coatings Show vorgestellt. Es ist ein speziell für die Farben- und Lackindustrie entwickeltes Business-Intelligence-System. Das System verbindet Farbabfüllanlagen zu einem Netz, trägt wesentlich zur Rationalisierung der Wartung bei, und mit einem Klick kann man auf genaue Management-Informationen über die Vorgänge im gesamten Netzwerk zugreifen. Bei vielen Gelegenheiten haben wir begeisterte Reaktionen und Kommentare dahingehend erhalten, dass dies ein großartiges Werkzeug sei, das auf dem Markt bisher gefehlt habe. Gleichzeitig haben wir jedoch auch gehört, dass wir mit derartigen Innovationen vorsichtig sein müssten, dass der Markt noch nicht reif dafür sein könnte und dass eine ‚Revolution‘ vielleicht nicht erfolgreich sei. Aber so schwierig ist die Lage durchaus nicht: die Marktentwicklung beschleunigt sich, was die zunehmend sichtbare Industrie 4.0 beweist. Auf der ECS 2017 präsentierten wir gemeinsam mit einigen unserer Partner eine neue Version der „TMC“ und es ist klar ersichtlich, wie sich der Markt weiterentwickelt hat und dass die Kunden aktiv nach derartigen Lösungen suchen.

Welche Ergebnisse können die Hersteller erreichen, wenn sie Abfüllanlagen in einem Netz miteinander verbinden und Daten über den Anlagenbetrieb und die Produktion sammeln?

Mádle: Man könnte eine umfangreiche Liste schreiben, um all die Vorteile dieser Lösungen anzuführen, aber letztendlich lässt sich alles auf folgende vier Punkte herunterbrechen: 1) besserer Service für den Endkunden, 2) Einsparungen bei Betrieb und Wartung der Anlagen, 3) höhere Bindung an den Verkäufer bzw. Erweiterung des Vertriebsnetzes durch bessere und effizientere Leistungen, und 4) dank der Verfügbarkeit genauer Informationen über die Vorgänge an den Abfüllanlagen, im Vertriebsnetz oder am Markt selbst werden leitende Mitarbeiter zum Treffen von Entscheidungen und zu rationellem Arbeiten befähigt.

Insbesondere der letzte Punkt verdient eine genauere Analyse, da jedes Unternehmen seine Daten etwas anders nutzt. Für einige Hersteller ist das Verhalten der Endkunden entscheidend – beispielsweise, welche Farbtöne am populärsten sind, wie sich das Verhalten der Verbraucher in verschiedenen Regionen unterscheidet, was die langfristigen Trends sind usw. Einige Unternehmen legen den Schwerpunkt auf die technischen Aspekte des Betriebs ihrer Anlagen – ob die Anlagen richtig funktionieren, wie und wo sich künftige Probleme vermeiden lassen, warum einige Probleme aufgetreten sind und wie man diese lösen kann, wobei sie auf die sogenannte Nutzungsdauer einer Anlage stoßen (d. h., ob es sich noch lohnt, in Reparaturen zu investieren, oder ob eine neue Anlage gekauft werden sollte), wie eine effiziente Wartung aussieht usw. Ein anderer Ansatz konzentriert sich auf die Kontrolle – ob die Anlage falsch eingesetzt oder unsachgemäß gewartet oder betrieben wird, ob der Gesamtverbrauch an Material der Anzahl der Endprodukte entspricht, ob die betreffenden Abteilungen oder Verkaufsstellen festgelegte Ziele erfüllen, wie hoch die Gesamtkosten einer Anlage über deren gesamte Lebensdauer sind usw.

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Der Service-Überblick über das gesamte Anlagennetz macht eine proaktive Herangehensweise möglich. Quelle: Deso

Die Verbindung von Anlagen zu einem Netz und die Gewinnung sogenannter „Big Data“ ist hier nicht das Hauptthema, sondern eher, wie diese Daten genutzt werden können. Insbesondere größere Unternehmen sammeln bereits große Mengen an Daten, wenn wir sie jedoch fragen, wie sie diese Daten nutzen, dann ist die Antwort meist „sehr sporadisch“, und das Potenzial wird größtenteils nicht ausgeschöpft. Der Grund dafür liegt fast immer in der Schwierigkeit des Zugriffs auf diese Daten (der Zugriff ist auf eine kleine Gruppe von Anwendern begrenzt), in ungeeigneten Ausgabeformen (nur einige wenige Personen können die Formate erstellen und lesen), oder in der Komplexität der Dateninterpretation. Wir haben unsere Software speziell an die Farben- und Lackindustrie und deren Bedürfnisse angepasst.

Funktioniert das System mit allen Anlagen bzw. sind ältere Anlagen einfach aufrüstbar?

Mádle: Die Art der Einbindung kann je nach Hersteller, Art der Anlage, Farbabfüllsoftware oder anderen Besonderheiten beim Kunden leicht unterschiedlich sein. Ziel der Entwicklung von „TMC“ war für uns jedoch eine Lösung, die sofort und ohne zusätzliche Investitionen einen Wert beim Kunden generiert. Es ist uns gelungen, dieses Ziel zu erreichen, und wir können die Vorteile nun der großen Mehrheit der Marktteilnehmer anbieten, einschließlich den Betreibern von älterer Abfülltechnik.

Die Kernstrategie unseres Unternehmens ist es, maßgeschneiderte Lösungen zur Verfügung zu stellen, die den Bedürfnissen aller Kunden gerecht werden, und daher erwarten wir auch maßgeschneiderte Lösungen für die Integration, mit denen sich positive Effekte häufig auf ganz neue Gebiete ausdehnen lassen. Gegenwärtig tragen unsere Kunden oder Partner, die Schüttelvorrichtungen oder andere Geräte einbinden möchten, die Bitte an uns heran, unser Produkt in deren vorhandene interne Systeme zu integrieren oder andere, mit Abfüllanlagen in Zusammenhang stehende Prozesse einzubeziehen, die die Kunden bisher nur teilweise oder gar nicht integriert haben.

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