Industrie 4.0 ist wie eine Pralinenschachtel…

Manche Lackhersteller sind beim Thema Industrie 4.0 schon aktiv, andere haben sogar Angst davor. Wir haben uns mit der Lackbrille auf der Hannover Messe, der größten Industriemesse der Welt umgeschaut und die eine oder andere Entdeckung gemacht.

Mit einer einfachen "Box" die sich an jede Produktionsmaschine anschließen lässt -

Industrie 4.0 ist eines dieser Buzzwords, die alles und nichts heißen können. Wer sich auf der Hannover Messe umschaut und versucht das Thema zu durchdringen, steht 6.500 Austellern mit unterschiedlichsten Lösungen gegenüber, was die Aufgabe nicht wirklich leichter macht. Was Industrie 4.0 eigentlich ist, versucht unsere Redakteurin Kirsten Wrede in ihrem aktuellen Blog zu ergründen.

Dennoch lohnt sich der Besuch, denn wer den richtigen Partner findet, kann viel für seine Lackfabrik tun. So finden sich Systeme, die es ermöglichen auch alte Produktionsmaschinen fit für die Digitale Fertigung zu machen. So zeigte etwa das Unternehmen B+R Automation aus Österreich die sogenannte Maap Technology.

Alte Lackmaschinen auf Industrie 4.0 nachrüsten

Über ein kleines Elektronikbauteil können 20 oder 30 Jahre alte Maschinen digital auslesbar werden. Die Nachrüstung soll ohne Programmierer in etwa einer Stunde zu erledigen sein. Die dafür nötige Box kann zum Beispiel an eine vorhandene Bus-Schnittstelle angeschlossen werden. Auch können vorhandene Geräte oft mit kleinen Sensoren nachgerüstet werden.

Eine einfache Visualisierung bei B+R zeigt wann die Produktion lief, wann Fehler auftraten und weitere relevante Daten.

Eine einfache Visualisierung bei B+R zeigt wann die Produktion lief, wann Fehler auftraten und weitere relevante Daten.

Über eine leicht bedienbare Analysesoftware lassen sich so schnell Fehlerquellen in der Produktion finden. Die Software setzt auf eingängige Visualisierungen und ist einfach über einen Touchscreen zu bedienen. Die Daten der ganzen Prozesskette lassen sich zudem zusammenführen, um unentdeckte Flaschenhälse in der Produktionskette zu finden. B+R nutzt die Technologie im eigenen Werk, präsentierte auf der Hannover Messe aber auch ein Konzept, das gemeinsam mit Nestlé für die Lebensmittelindustrie entwickelt wurde. Von dort aus scheint die Übertragung in die Lackfertigung kein Hexenwerk zu sein.

Heute Anfangen oder morgen von gestern

Am Stand des VDMI nahm man das Thema Industrie 4.0 mit Humor.

Am Stand des VDMI nahm man das Thema Industrie 4.0 mit Humor.

Solche und ähnliche Systeme können dabei helfen, den Einstieg in die digitale Fertigung zu erleichtern. Dass daran kein Weg vorbeiführt, war zumindest aus Sicht von Prof. Dieter Wegener von Siemens klar. Er ist außerdem Sprecher ZVEI-Führungskreis Industrie 4.0 und erklärte während einer Podiumsdiskussion zu Chancen durch Industrie 4.0 für kleine und mittelständische Unternehmen: „Die Umstellung auf Industrie 4.0 dauert, aber wer heute nicht damit anfängt, kann morgen nicht mehr mitreden.“ Dass sich schon ein vernünftiges Monitoring als Einstieg lohnt, bekräftige auch Martin Hankel, der für Bosch Rexroth auf dem Podium saß. Er berichtete von einem realen Fall aus, bei dem durch eine digitale Sensorik der Vergleich zweier Fertigungsstraßen die Produktivität um gut 20 % gesteigert habe.

Wer die immer komplexer werdenden Anforderungen an die moderne Lackherstellung aufgreifen will, benötigt dazu natürlich auch die richtige Software. Neben den großen Anbietern wie Oracle, SAP oder Microsoft waren auch einige wenige Spezialisten mit branchenspezifischen Lösungen vor Ort. Etwa das Unternehmen Cosmo Consult, dass eine auf die Chemie- und Lackbranche angepasste ErP-Lösung auf Basis von Microsoft Dynamics NAV anbietet.

Michael Hering von Cosmo Consult erklärt das ErP-System für die Lackindustrie.

Michael Hering von Cosmo Consult erklärt das ErP-System.

Die Software ist zum Beispiel darauf ausgelegt, in Rezepturen statt in starren Stücklisten zu arbeiten und kommt mit einer integrierten Gebindeverwaltung, Chargenverfolgung und automatischer Datenblattgenerierung in verschiedensten Sprachen ins Haus. Auch Umrüstzeiten oder Werkzeugvarianten in der Fertigung bildet die Software ab. Ebenfalls in das System eingebunden ist die Forschung & Entwicklung sowie der Musterversand.

Industrie 4.0 = Datenbrille

Auffällig war auch die hohe Dichte an Virtual und Augmented Reality (VR / AR) Brillen. Lackspezifische Systeme dieser Art gab es bereits auf der European Coatings Show zu sehen. Auch wir berichteten schon über AR-Systeme in der Lackbranche, dennoch lohnt sich der Blick über den Tellerrand. So etwa bei der Salzgitter AG, die eine AR-Brille für die Stahlindustrie entwickelt hat. Wie andere Brillen auch, projiziert diese Informationen direkt in das Sichtfeld des Mitarbeiters und kann über Gestensteuerung bedient werden.

Industrieroboter

Nur bedingt auf die Lackherstellung übertragbar waren diese Industrieroboter mit Laserschwertern. Aber allemal hübsch anzusehen.

Pfiffig ist jedoch die Lösung für das Problem Tragekomfort. So wird die Brille einfach auf den Sicherheitshelm aufgesetzt, den die Mitarbeiter in der Fertigung ohnehin tragen. Auch werden die Akkus auf dem Helm angebracht, sodass diese nicht am Körper getragen und über ein potenziell störendes Kabel mit der Brille verbunden werden müssen. In einem nächsten Schritt soll die integrierte Gestensteuerung noch über einen mit Sensoren ausgestatteten Handschuh erfolgen, die Hand muss dann nicht mehr in das Sichtfeld einer eingebauten Infrarotkamera gehalten werden.

Beim Gang über die Messe fällt auf, beim Thema Industrie 4.0 wartet niemand auf die Chemie- oder Lackindustrie. Den Ton geben der Maschinenbau und die Elektrotechnik an, die bei der Digitalisierung deutlich weiter zu sein scheinen. Der Blick über den Tellerrand kann daher lohnen.

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