Fachkräftemangel: „Talent zu halten, bedeutet viel Arbeit“
Wie bewerten Sie den Fachkräftemangel aus Sicht eines global agierenden Konzerns?
Karin Priarollo: Im Angesicht der sich wandelnden Bedürfnisse, der demografischen Entwicklung und des zunehmenden Wettbewerbs ist ein Tauziehen um Talente Realität. Wir wollen die besten Talente einstellen. Dies hat bei uns, sowie bei anderen Unternehmen auch, höchste Priorität. Um eine gut ausgebildete und erfahrene Fachkraft zu werden braucht es oft Jahre. In die Aus- und Weiterbildung investieren wir daher erheblich. Dazu rekrutieren wir an Universitäten und speziellen Lackschulen, um die technischen Stellen zu besetzen. Der Fokus liegt aber nicht nur auf den technischen Berufen. Es ist ebenso wichtig zu erkennen, welche Mitarbeiter auch den Wunsch und das Potenzial haben, um im Management oder anderen Führungspositionen eingesetzt werden können.
Wo liegen, aus Ihrer Sicht, hierbei die Herausforderungen?
Priarollo: Beim Rekrutieren sind es mehrere Faktoren, wie etwa auch die Markenwahrnehmung. Wir merken, dass es schwieriger wird, wenn wir außerhalb der Lackindustrie rekrutieren. Trotz unserer Unternehmensgröße und unserer globalen Aufstellung, kennen uns nicht alle Bewerber. Hier müssen wir deutlich mehr machen. Wir müssen weniger bescheiden sein und mehr über uns selbst reden. Etwa, dass wir es zum zehnten Mal in Folge geschafft haben auf die Liste der am meisten bewunderten Unternehmen der Zeitschrift Fortune zu kommen.
Wir müssen uns auch stärker mit Universitäten sowie Professoren vernetzen und Online-Portalen wie z.B. Xing, Linkedin, Kununu und Glassdoor intensiver für uns nutzen.
Herausfordernd ist es ebenso, wenn wir in neue Länder gehen. Als jüngstes Beispiel wäre hier Russland zu nennen. Das technische Personal wurde lokal rekrutiert, aber in unseren etablierten Schulungszentren ausgebildet. Dieses Vorgehen nimmt natürlich viel Zeit in Anspruch, aber es hat sich für uns bewährt.
Was ist aus Ihrer Sicht schwieriger, Talente zu rekrutieren oder sie zu halten?
Karin Pariarollo,
Head of Human Resources EMEA, PPG
Priarollo: Beides stellt eine Herausforderung dar, aber auf unterschiedliche Weise. Talente zu halten, bedeutet viel Arbeit und Aufmerksamkeit. Bei Neueinstellungen legen wir besonderes Augenmerk auf deren Einbindung in die Unternehmenskultur und in die Arbeitsweise innerhalb des Konzerns. Regelmäßige Gespräche zur Leistung und zur Weiterentwicklung sind wichtig, um zu verstehen was die Mitarbeiter motiviert und wie das Unternehmen sie auf ihrem Weg unterstützen kann. Um Talente langfristig zu binden, spielen mehrere Faktoren eine Rolle, wie etwa eine bedeutungsvolle Aufgabe, ein gutes Arbeitsklima, Unternehmenswerte, die Entscheidungsprozesse begleiten, eine faire Vergütung sowie Unternehmenserfolg.
Da wir global aktiv und breit aufgestellt sind, haben wir auch die Möglichkeiten Mitarbeiter zu entwickeln und sie innerhalb des Konzerns in anderen Geschäftseinheiten oder Ländern einzusetzen. Das wirkt sich sicherlich auch positiv aus, um Mitarbeiter zu halten. Bei uns ist die Fluktuation mit etwa 3% sehr niedrig und im Schnitt liegt die Firmenzugehörigkeit der Mitarbeiter bei über zwölf Jahren.
Sie legen großen Wert auf Diversität in Ihren Teams. Wo liegen die Vor- bzw. Nachteile?
Priarollo: Multiethnische Teams generieren unterschiedliche Perspektiven und Ideen, die zu schnelleren Innovationen, besseren Lösungen und Resultaten für die gesamte Organisation führen. Wir beschäftigen in der Region EMEA etwa 15.000 Mitarbeiter und sind aktiv in 34 Ländern. Diese Teams bringen eine eigene Dynamik mit und sind damit eine Bereicherung für das Arbeitsumfeld.
Aber multiethnische Teams können nur bessere Leistungen erzielen als homogene Teams, wenn die jeweiligen Unterschiede verstanden, kommuniziert und ausgeschöpft werden. Dieses nimmt ebenso Zeit in Anspruch. Mit Schulungen und Weiterbildungen greifen wir dieses Thema auf. Die Vorteile überwiegen jedoch.
Auch bei der Auswahl von künftigen Führungskräften legen wir sehr großen Wert auf interkulturelle Kompetenz und einen internationalen Hintergrund. Wir können international nur erfolgreich agieren, wenn diese interkulturellen Kompetenzen auch ein Teil von uns sind. So sind wir auch jederzeit auf Augenhöhe mit unseren internationalen Kunden.
Sie sind auch sehr aktiv den weiblichen Nachwuchs in den technischen Berufen zu fördern. Was machen Sie konkret?
Priarollo: Es gibt eine Pipeline von MINT-Absolventen, die wir als Hauptziel für uns ausgemacht haben. Leider finden wir aber derzeit in dieser Gruppe nicht die Vielfalt wieder, die wir für uns anstreben. Um dieses Problem anzugehen, wollen wir bereits jüngere Menschen für MINT-Fächer begeistern und werben daher aktiv dafür. Wir engagieren uns im europäischen Hypatia-Projekt. Hier bündeln Universitäten und Wissenschaftsinstitute Kompetenzen in 14 Ländern in Europa. Dort werden Weiterbildungsmodule für Lehrer angeboten, die bei der Förderung von Teenagerinnen im Bereich der MINT-Fächer helfen sollen. Darüber hinaus entwickeln wir innerhalb des Konzerns weibliche Talente durch Mentoren- und Leadershipprogramme sowie Job-Rotationen.
Das Interview führte Damir Gagro