Lackrevolution: Warum der Markt für biobasierte Lacke boomt und die Industrie umdenken muss

Der Markt für biobasierte Lacke wächst rasant, Hersteller:innen berichten jedoch über eine schwache Nachfrage. Wie die Branche auf regulatorische Initiativen und steigendes Umweltbewusstsein reagiert, um zukünftiges Wachstum zu sichern. Von Sarah Silva.

Biobasierte Lacke gewinnen an Bedeutung in der Lackindustrie, da sie auf Nachhaltigkeit setzen und sich auf innovative Lösungen konzentrieren
Levaco Chemicals hat ein neues, energieeffizientes Hauptquartier in Leverkusen eröffnet. Bildquelle: Orlando Florin Rosu - AdobeStock (Symbolbild).

Laut Markets and Markets wird der Markt für biobasierte Lacke im Jahr 2022 auf 10,5 Milliarden Euro geschätzt. Er wird voraussichtlich mit einer CAGR von 9,5 % wachsen und 2027 16,6 Mrd. EUR erreichen. Der Markt entwickelt sich schnell, aber die Hersteller berichten immer noch über eine schwache Nachfrage.

Kamila Vítek Derynková von Spolchemie schätzt den Marktanteil biobasierter Beschichtungen auf weniger als 10 %. In der Harzindustrie könnte der biobasierte Anteil „bei etwa 5 % oder sogar weniger liegen, wobei in den nächsten Jahren ein weiteres Wachstum erwartet wird – vor allem im Zusammenhang mit der wachsenden Bedeutung umwelt- und benutzerfreundlicher Lösungen“. Ray Gonzales von Clariant stellt fest, dass „die Einführung biobasierter Lösungen in die Märkte noch in den Anfängen steckt. Es gibt einige Anwendungen, bei denen es einen Marktsog gibt, wie z.B. in der Landwirtschaft und bei Kosmetika, aber andere sind langsamer und bedürfen möglicherweise eher eines regulatorischen Anstoßes.“

Biobasiertes Konzept ist leichter zu verstehen

Während Nachhaltigkeit in der Industrie und in der Gesellschaft zu einem Schlagwort geworden ist, stellt Marcello Vitale von IVM Chemicals fest, dass das Konzept „biobasiert“ oder „biologisch erneuerbar“ den heutigen Verbrauchenden leichter zu erklären ist und eine größere emotionale Wirkung hat als die allgemeine Beschreibung „nachhaltig“. Er hat einen „signifikanten Anstieg der Anfragen für diese Produkte festgestellt. Es ist jedoch noch nicht klar, wie die Botschaft der Nachhaltigkeit in der Wertschöpfungskette bis zu den Kund:innen und Endverbrauchenden von Farben und Lacken, die oft nur einen relativ kleinen Teil des Endprodukts ausmachen, weitergegeben werden kann. Er fügt hinzu, dass „Unternehmen mit einem ausgeprägten ‚grünen‘ Ruf und Ausblick in den Augen der Verbrauchenden einen Marktvorteil gegenüber denjenigen erlangen könnten, die das Thema nur stückweise angehen.“

Das Bewusstsein für den Bedarf an biobasierten Lösungen und die Reaktion darauf in Form von Produktentwicklungen sind zwei verschiedene Dinge, wie Vincent Fritzemeier von Clariant erörtert: „Der Markt befindet sich an einem Wendepunkt. Auf der einen Seite ist die Klimakrise durch Naturkatastrophen oder Kampagnen zu einem täglichen Begleiter in den Medien geworden. Auf der anderen Seite ist die Risikobereitschaft gerade in Zeiten wirtschaftlicher und politischer Unsicherheiten, wie wir sie jetzt haben, extrem gering. Eine Minderheit von Unternehmen widmet sich seit Jahren der Entwicklung biobasierter Produkte, in den meisten Fällen mit geringem Erfolg“.

Er fügt hinzu: „Der Weg zu biobasierten Beschichtungen öffnet sich derzeit nur in Form von Vorschriften wie dem europäischen Green Deal. Die bevorstehende Kohlenstoffsteuer, die alle Unternehmen betreffen wird, die in der Europäischen Union produzieren und in die Europäische Union exportieren, hat die Nachfrage nach Lösungen ausgelöst, die eine Reduzierung der CO2-Emissionen ermöglichen.“

Regulierungsinitiativen bieten Chancen

Die Branchenexpert:innen sehen in den regulatorischen Initiativen eine Chance, die die Entwicklung vorantreibt. Neben dem europäischen Green Deal 2025 nennt Derynková auch die Kreislaufwirtschaft, die Nullverschmutzungspolitik und die Verringerung des CO2-Fußabdrucks (sowohl bei der Produktion als auch bei den Produkten) als beitragende Faktoren und weist darauf hin, dass diese zusammen mit der Regulierung chemischer Stoffe „mehr Anreize für die Suche nach Alternativen bieten. Zusammen schaffen diese Faktoren die Voraussetzungen für Innovationen und die Entwicklung nachhaltigerer Lösungen“.

Künftige Rechtsvorschriften werden in Ländern erlassen, die sich bisher nur zu Nachhaltigkeitsmaßnahmen verpflichtet haben. Die Industrie bereitet sich bereits darauf vor. Vitale betont, dass die Unternehmen, die durch die Erhöhung des Anteils wirklich nachhaltiger, bioreservierender Materialien in ihren Produkten innovativ sind, in einer starken Position sein werden, insbesondere wenn diese Produkte die Leistungserwartungen von Formulierer:innen und Verbrauchenden erfüllen können.
Fritzemeier stimmt zu, dass sich die Unternehmen auf den Übergang vorbereiten müssen oder den Zugang zu einem Markt verlieren, der ein starkes zukünftiges Wachstum verspricht, und fügt hinzu, dass es nur wenige Akteur:innen gibt, die bereits in der Lage sind, 100 % biobasierte Produkte aus natürlichen Materialien anzubieten.

Klare Herausforderungen für den Markt in den nächsten Jahren

Die Leistungsfähigkeit biobasierter Alternativen zu konventionellen Rohstoffen ist eine Herausforderung, und Derynková stimmt zu, dass die Kunden für bestimmte Anwendungen immer noch konventionelle Materialien bevorzugen. Eine große Herausforderung ist es jedoch auch, einen Preis zu erzielen, den die Kunden bereit sind zu zahlen. „Bisher sind nur die umweltbewusstesten Kunden in der Lage, die höheren Kosten für biobasierte Produkte zu akzeptieren“.

Da der biobasierte Markt noch relativ jung ist, besteht ein Problem in der mangelnden Klarheit der Gesetzgebung und Zertifizierung, wie Fritzemeier betont: „Es ist schwierig, einen standardisierten Ansatz zu verfolgen. So führt beispielsweise die fehlende Homogenisierung konkurrierender Zertifizierungssysteme zu Verwirrung, anstatt zu einem gegenseitigen Verständnis der Anforderungen innerhalb der vielfältigen Liefer- oder Wertschöpfungsketten der Branche beizutragen. Trotzdem gibt es Möglichkeiten, die Zusammenarbeit und Vergleichbarkeit zu fördern.

Rasches Handeln wird durch wirtschaftliche Unsicherheit behindert

Das Streben nach einem geringeren CO2-Fußabdruck, die Verringerung der Emissionen und die Reaktion auf die Verbrauchernachfrage erfordern in der Regel, dass die Herstellenden in neue biobasierte Produktlinien investieren und Zeit und Ressourcen für neue Zulassungsverfahren entlang der Lieferkette aufwenden, wenn sie auf andere Rohstoffe umstellen.

Fritzemeier erklärt: „Eine der größten Herausforderungen wird mittel- bis langfristig die Verfügbarkeit von Produktionskapazitäten für biobasierte Materialien sein. Jetzt befinden sich die Unternehmen in der Anfangsphase und können den momentanen Bedarf leicht decken. Um den künftigen Bedarf zu decken, müssen die Unternehmen jetzt entscheiden und in den Ausbau neuer Kapazitäten investieren. Der wirtschaftliche Abschwung begünstigt jedoch keine entsprechenden Investitionsentscheidungen“. Außerdem „haben die Anbietende fossiler Lösungen ein ureigenes Interesse daran, überlebensfähig zu bleiben, und können ihre wirtschaftlichen Vorteile nutzen, um das Tempo des Wandels zu verlangsamen.“

Nachhaltige Bioökonomie für starkes zukünftiges Wachstum

Bei der Entwicklung neuer biobasierter Beschichtungen und Zusatzstoffe ist die Industrie sehr darauf bedacht, Überschneidungen oder Konflikte mit der Lebens- und Futtermittelproduktion zu vermeiden – ein häufig geäußertes Anliegen bei der Innovation mit pflanzenbezogenen Lösungen. Gonzales kommentiert, dass „die Industrie am Anfang der Umstellung auf biobasierte Produkte steht. Die gesamte landwirtschaftliche Fläche, die mit Pflanzen für biobasierte Produkte belegt ist, liegt unter 1 %. Selbst bei den positivsten Prognosen wird diese Fläche bis 2027 voraussichtlich nur auf 5 % anwachsen“. Er schlägt vor, dass sich die Zulieferenden der Lackindustrie auf die Verwendung von Nebenprodukten und Abfällen aus der Lebensmittelindustrie konzentrieren, um jeglichen Wettbewerb zu vermeiden, und Drittorganisationen wie den Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl (RSPO) einbeziehen, um sicherzustellen, dass die Wertschöpfungsketten nachhaltig arbeiten.

Derynková betont auch, dass biobasierte Inhalte nur ein Aspekt nachhaltiger Chemieprodukte sind. Neben den wirtschaftlichen Auswirkungen muss die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet werden, und jedes Unternehmen muss sicherstellen, dass alle „Rohstoffquellen (sowohl biobasierte als auch konventionelle) umweltfreundlich, sozialverträglich und wirtschaftlich machbar sind.“ Alle Branchenexpert:innen sind optimistisch, was die Zukunft des Marktes angeht. Fritzemeier ruft die Branche dazu auf, gemeinsam an der Weiterentwicklung biobasierter und nachhaltiger Lösungen zu arbeiten. Biobasierte Beschichtungen stecken zwar noch in den Kinderschuhen, aber der Fortschritt hat begonnen.

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