Verblüffend „grüne“ Synthesemethode für High-Tech-Farbstoffe
Sie beeindrucken nicht nur durch ihre strahlend intensive Farbe, sondern haben auch eine wichtige technologische Bedeutung: Organische Farbstoffe sind eine Klasse von Materialien mit ganz besonderen elektronischen Eigenschaften. Von Flachbildschirmen über elektronisches Papier bis hin zu Chipkarten sollen in Zukunft viele Technologien auf solchen organischen Molekülen beruhen.
Doch bisher konnten solche Materialien nur über komplizierte und äußerst umweltschädliche Synthesemethoden hergestellt werden. An der TU Wien gelang es nun, mehrere typische Vertreter dieser Materialklasse auf eine völlig andere, neuartige Weise zu produzieren: Statt giftige Lösungsmittel einzusetzen, verwendet man bloß gewöhnliches Wasser. Der Trick: Das Wasser muss sehr heiß sein, denn dann ändert es seine Eigenschaften.
Eigenschaften des Wassers ändern – ohne Zusatzstoffe
„Wenn man nach dem ersten Bauchgefühlt geht, würde man eigentlich vermuten, Wasser sei das denkbar schlechteste Lösungsmittel, um diese Moleküle zu synthetisieren und zu kristallisieren“, sagt Miriam Unterlass vom Institut für Materialchemie der TU Wien. „Die Farbstoffe, die wir produzieren, sind nämlich extrem wasserabweisend.“ Lässt man zum Beispiel einen Wassertropfen auf das Farbpulver fallen, perlt er ab. Der Farbstoff lässt sich nicht mit Wasser mischen.
Doch das gilt nur für Wasser, wie wir es aus dem Alltag kennen. In den Labors an der TU Wien verwendete man allerdings Wasser, das in Spezial-Druckbehältern auf über 180° C erhitzt wird. Dabei steigt der Druck so stark an, dass das Wasser trotz der hohen Temperatur zum Großteil flüssig bleibt. Die chemischen und physikalischen Eigenschaften von Wasser ändern sich unter diesen Bedingungen drastisch.
Zu heiß für Wasserstoff-Brückenbindungen
„Die Eigenschaften von kaltem, flüssigen Wasser werden stark durch die sogenannten Wasserstoff-Brückenbindungen bestimmt“, erklärt Miriam Unterlass. „Das sind schwache Bindungen zwischen Wassermolekülen, die ständig aufgebrochen und neu gebildet werden.“ Jedes Wassermolekül ist bei Raumtemperatur zu jedem Zeitpunkt im Durchschnitt mit drei bis vier anderen Wassermolekülen verbunden. Im Dampfkochtopf nimmt die Anzahl dieser Wasserstoff-Brückenbindungen pro Molekül ab.
„Das bedeutet auch, dass im Wasser bei hoher Temperatur viel mehr Ionen vorkommen als bei Normalbedingungen – aus manchen H2O-Molekülen kann H3O+ oder OH- werden“, erklärt Miriam Unterlass. Und das ändert die Eigenschaften des Wassers dramatisch: In gewissem Sinn verhält es sich wie eine Säure und eine Base gleichzeitig – es kann sowohl als saurer als auch als basischer Katalysator dienen und somit gewisse Reaktionen beschleunigen oder gar erst ermöglichen.
Die Ionen im Wasser sind unter anderem ein wichtiger Grund dafür, warum sich bei hoher Temperatur organische Substanzen lösen lassen, die bei Normalbedingungen vollkommen unlöslich sind. Das führt dazu, dass die untersuchten Farbstoffmoleküle in Wasser nicht nur synthetisiert, sondern auch kristallisiert werden können: Bei ausreichend hohen Temperaturen gehen sie in Lösung, und beim Abkühlen kristallisieren sie aus.
„Üblicherweise braucht man giftige Lösungsmittel, um solche Farbstoffe herzustellen oder zu kristallisieren – in unserem Fall nimmt aber reines Wasser genau die gewünschten Lösemitteleigenschaften an – alles was man braucht ist Druck und Temperatur“, sagt Miriam Unterlass.
Kristalle für die Elektronik von morgen
„Im hochkristallinen Zustand – also bei hohem Ordnungsgrad auf molekularer Ebene – verbessern sich die elektronischen Eigenschaften dieser Materialien. Deshalb ist es gerade für Anwendungen in der organischen Elektronik wichtig, eine möglichst gute Kontrolle über den Kristallisationsprozess zu haben“, betont Unterlass.
Für die gewonnenen Kristalle gibt es aber auch noch ganz andere Anwendungsideen. „Man kann sie überall einsetzen, wo die Ansprüche an Farbstoffe besonders hoch sind“, sagt Unterlass. „Etwa für Autolacke, oder in anderen Bereichen, wo extreme chemische oder thermische Bedingungen vorherrschen, da die Materialien mit steigender Kristallinität auch stabiler werden“.
Die Studie wurde veröffentlicht in: Angewandte Chemie, International Edition, August 2018.