Neue Kunststoffklasse lässt sich immer wieder verformen

Ein Kratzer im Autolack, ein Riss im Sturzhelm oder ein kaputtes Plastikspielzeug – dank einer Erfindung ist das alles kein Problem mehr: Einfach erhitzen und der Schaden ist behoben.

Mit seiner Erfindung der „Vitrimere“ hat Ludwik Leibler, Professor und Leiter des Labors für weiche Materie und Chemie am ESPCI ParisTech (Ecole Supérieure de Physique et Chimie Industrielles) die Grundlage für einen ökologischen Kunststoff geschaffen – und damit einen Ausweg für den stetig wachsenden Berg an schwer abbaubaren Plastikmüll.

Werkstoff vereint widersprüchliche Eigenschaften

Es geschieht selten, dass ganz neue Arten von Materialien entwickelt werden, noch dazu solche, die scheinbar widersprüchliche Eigenschaften in sich vereinen. Der neue Werkstoff ist so hart wie Metall, bleibt dabei jedoch sowohl recycelbar als auch reparierbar und lässt sich anders als gewöhnliche Kunststoffe immer wieder verformen. Gemeinsam mit seinem Team experimentierte Leibler auf der Suche nach einem derartigen Material mit Duroplasten. Der Durchbruch gelingt dem Forschungsteam, indem sie Zink und Carbonsäure als Katalysator hinzufügen. Bei 150 Grad beobachten sie eine erstaunliche Reaktion: Die Moleküle wechseln ihren Bindungspartner, während die Anzahl der Verbindungen gleich bleibt. Das Material ist damit verformbar, verflüssigt sich aber nicht: Die Vitrimere sind geboren.

Strapazierfähige Alternative zu Metall und Glas

Leibler hat seine Entwicklung durch ein Patent schützen lassen – nicht zuletzt mit Blick auf das große Anwendungspotenzial. „Es handelt sich um einen festen Werkstoff, der vollkommen unlöslich ist“, erklärt der Forscher die Vorteile der neuen Kunststoffklasse. „Er kann in einem sehr breiten Temperaturspektrum bearbeitet werden und ist zu 100 Prozent recycelbar. Im Gegensatz zu üblichen Polymeren schmilzt er auch nicht plötzlich.“ Vitrimere bilden eine leichte und strapazierfähige Alternative zu Glas oder Metallen. Weil sie durch Erhitzen wie Metalle verschweißt werden können, ermöglichen sie komplexe Objektformen, die sich durch Gusstechniken alleine nicht oder nur sehr aufwendig und damit kostspielig realisieren lassen. Sie können überall dort zum Einsatz kommen, wo Plastik verwendet wird – im Flugzeugbau, bei Fahrradhelmen oder Flügeln von Windkraftanlagen.

Organischer Klebstoff für die Medizin

Die Konzepte aus der Vitrimer-Physik bieten auch neue Möglichkeiten in der Medizintechnik: Aktuell forscht der Franzose an einem Klebstoff aus Quarzsand-Nanopartikel, die ähnlich wie die Vitrimere funktionieren. Bei biologischem Gewebe kann dieser Nanogel auf Wasserbasis aufgetragen werden, um dynamische Bindungen und Adhäsion zu erzeugen und so Wunden zu schließen oder Blutungen zu stillen. „Die Nanopartikel bilden austauschbare Bindungen zum Gewebe, die stark genug sind, um die beiden Gewebe zu vereinen,“ erklärt Leibler. Die mineralischen Nanopartikel können in nur zwei Minuten offene Hautwunden schließen oder medizinische Geräte an Gewebe und Organen verankern.

Von der Vision zur preisgekrönten Erfindung

Für die Erfindung der Vitrimere hat das Europäische Patentamt Ludwik Leibler mit dem Europäischen Erfinderpreis 2015 in der Kategorie „Forschung“ ausgezeichnet.

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