Interview: „Pulverlacke bleiben weiterhin unter Preisdruck

Pulverlacke locken mit ihren guten mechanischen Eigenschaften, einem meist geringen Preis und ökologischen Vorteilen. Dennoch gibt es Grenzen und Herausforderungen. Wir haben mit dem Experten Dr. Emmanouil Spyrou von Evonik einmal ganz grundsätzlich über das Thema Pulverlack gesprochen.

Eine große Herausforderung für Pulverlacke ist es -

Was sind aus Ihrer Sicht die relevantesten Anwendungsfelder für Pulverlacke?

Dr. Emmanouil Spyrou: Da müssen wir zwischen den reaktiven und den thermoplastischen Pulverlacken unterscheiden. Außerdem spielt es eine Rolle, welche Bindemittelbasis verwendet wird.

Die Vorteile der Pulverlacke liegen auf der Hand. Pulverlacke sind nicht nur lösemittelfrei und damit umweltfreundlich. Man erhält zudem Dickschichtsysteme mit hoher mechanischer Widerstandsfähigkeit für einen meist sehr erschwinglichen Preis. Natürlich eignen sich vor allem metallische Substrate, weil die elektrostatische Applikation hier besonders einfach ist und die typischen Einbrenntemperaturen unproblematisch sind. Die Anwendungsgebiete sind sehr vielfältig, beispielsweise Fassaden, Baumaschinen, Apparatebau, Haushaltswaren, Automobilkomponenten, z.B. Felgen, aber auch der Korrosionsschutz.

Können Sie sagen, welche Pulverlacksysteme derzeit die größte Rolle spielen?

Spyrou: Wenn wir zu den hochwertigen vernetzenden Pulverlacken schauen, überwiegen bei den wetterbeständigen Systemen hauptsächlich Polyesterformulierungen, die dann mit TGIC (Triglycidylisocyanurat) oder Hydroxyalkylamiden vernetzt werden. Dann gibt es noch die Nische der sehr gut verlaufenden und sehr wetterstabilen Polyurethansysteme, die hauptsächlich in den USA und Japan verbreitet sind.

Emmanouil Spyrou Evonik

Dr. Emmanouil Spyrou arbeitet als Director Innovation Management bei Evonik. Er wird im September ein Fachseminar Pulverlacke leiten, bei dem Teilnehmer einen umfassenden Einblick in das Thema bekommen.

Die Polyestersysteme, die mit TGIC vernetzt werden, sind in Europa allerdings nicht mehr so verbreitet, weil TGIC hier toxikologisch anders eingestuft wird, als in den USA oder in Asien. Man kann natürlich mutmaßen, dass in Zukunft auch dort ein Umdenkprozess stattfinden wird. Dagegen hat TGIC den großen Vorteil, dass es sehr dankbar gegenüber Ungenauigkeiten bei der Verarbeitung ist.

Wenn dort etwa die Temperatur etwas zu hoch oder zu niedrig ist oder die Mengen nicht so ganz genau eingehalten wurden, erhält man mit TGIC fast immer noch ein gutes Ergebnis. Ich hatte mal einen Kunden, der sagte, „wenn Gott einen Pulverlackvernetzer wählen müsste, würde er TGIC nutzen.“ Aber Gott ist halt auch unsterblich.

Jetzt haben sie über die vernetzten Pulverlacke gesprochenen, wie sieht es das bei den nicht vernetzten aus? Welche Systeme sind da am relevantesten?

Spyrou: Bei diesen thermoplastischen Systemen sind beispielsweise die Polyamidbasierenden Pulverlacke zu nennen, die normalerweise per Wirbelbettverfahren zur Beschichtung gebracht werden. Das nutzt man etwa für Supermarkteinkaufswagen und Waschkörbe für Geschirrspüler aus. Auch Rohre, Landmaschinen und Gehäuse für elektrisch isolierende Systeme werden mit thermoplastischen Pulverlacken beschichtet.

Sie hatten erwähnt, dass sich besonders metallische Substrate eignen. Können auch nicht-metallische Substrate beschichtet werden?

Spyrou: Ein Grund, warum Metall so häufig als Untergrundmaterial genutzt wird, ist dessen Temperaturunempfindlichkeit. Normale Pulverlacke werden bei Temperaturen zwischen 160 und 200 °C eingebrannt, da hier die Vernetzungsreaktion stattfindet. Daher sind temperaturempfindliche Untergründe wie beispielsweise Kunststoffe, Holz, MDF oder Karton nur bedingt geeignet. Da kann dann Vergilbung auftreten oder es tritt Wasser aus, was dann die Lackoberfläche oder den Untergrund schädigt.  

Es gibt auch Systeme, die auch bei geringeren Temperaturen ausgehärtet werden können. Die machen aber im Vergleich mit der Gesamtmenge an Pulverlacken nur eine relativ kleine Nische aus. 

Warum ist diese Nische noch so klein? Sind die Systeme noch nicht ausgereift?

Spyrou: Das ist eine Mischung aus verschiedenen Gründen. Schauen wir etwa die UV-Pulver-Technologie an, die vor 20 Jahren ihren Hochpunkt hatte. Damals dachte man, bald würden alle damit arbeiten.

Die Idee war, den Verlauf des Pulverlackes von der Vernetzung zu entkoppeln. Denn typische Pulverlacke verlaufen gleichzeitig zu der Vernetzungsreaktion, was zu einem Unzureichenden Verlauf und damit zu einer gestörten Oberfläche wie dem Orangenhauteffekt führen kann. Diese UV-Pulver-Systeme werden dagegen zunächst aufgeschmolzen, können dann in Ruhe verlaufen und werden anschließend per Knopfdruck vernetzt, wenn das UV-Licht angeschaltet wird. Das ermöglicht sehr schöne Oberflächen, bringt aber auch andere Probleme mit sich, die man sich einhandelt.

Da wäre zum einen das physikalische Problem der Stabilität des Pulvers. Solche Systeme sind, weil sie eben bei niedrigen Temperaturen verlaufen, nicht so blockfest. Das heißt, die Partikel neigen dazu, zu agglomerieren und lassen sich dann nicht mehr aufsprühen. Da muss man dann dafür sorgen, dass die Lagertemperatur im Sommer beispielsweise nicht über 35 °C steigt.  

Zum anderen sind solche UV-härtenden Pulverlacke um einiges teurer als die herkömmlichen Systeme. Und bei Pulverlacken spielt der Preis eben eine große Rolle.

Man könnte allerdings argumentieren, dass niedrige Vernetzungstemperaturen Energiekosten einsparen.

Spyrou: Die Energiekosten durch die Vernetzung spielen meist nicht so eine riesige Rolle. Im Regelfall liegen die bei 10 bis 15 % der Gesamtkosten. Der entscheidende Punkt ist, neben der Möglichkeit temperatursensible Untergründe zu beschichten, eher die Produktivität. Das ist ein Vorteil, der bei UV-Pulver sicherlich gegeben ist. Es gibt also einen Markt für Niedrigtemperaturpulverlacke, vor allem für Holz und MDF, der ist aber verglichen mit dem Gesamtmarkt für Pulverlacke eher gering.

Sie erwähnten Anfangs, dass Pulverlacke gern dort eingesetzt werden, wo höhere Schichtdicken gewünscht sind. Nun kostet Material ja auch Geld. Gibt es Bestrebungen, Schichtdicken zu reduzieren?

Spyrou: Ja das ist eine Einsparmöglichkeit. Eine normale Flüssiglackierung hat Schichtdicken um die zwanzig Mikrometer, bei Pulverlacken kommen wir auf fünfzig bis hundert Mikrometer, also ein Vielfaches der flüssigen Systeme. Das führt zu weit besserer mechanischer Beständigkeit der Pulverlacke, was man zum Beispiel gerne für Fahrräder nutzt. Für industrielle Anwendungen wäre man natürlich froh, gerade nur so viel Pulverlack aufzubringen, wie man tatsächlich benötigt.

Dazu braucht es natürlich zum einen eine geringere Partikelgröße und natürlich auch die richtigen Sprühbedingungen, damit tatsächlich nur die niedrigere Schichtdicke zum Tragen kommt.

Spielen eigentlich auch moderne Funktionalitäten eine Rolle bei den Pulverlacken?

Spyrou: Die gibt es schon, aber wie bereits erwähnt, befinden wir uns üblicherweise im niedrigeren Preissegment. Und wenn die Kosten im Vordergrund stehen, sind die Erwartungen an solche Leistungen eher gering. Natürlich gibt es Anwendungen wie Anti-Graffiti oder Transferdruck, die durchaus sehr hochwertig sind. Aber man kann das nicht so ganz mit dem großen Bereich der Lösemittel- und wasserbasierenden Systeme vergleichen.

Welche Trends und Entwicklungen sehen sie sonst im Moment, die man im Blick haben sollte?

Spyrou: Da ist die Automatisierung gerade ein großes Thema, da es viele Schritte gibt, die immer gleich sind und das Potenzial bieten, menschliche Arbeitskraft einzusparen. Außerdem wird die Anpassung an den Auftraggeber immer wichtiger. Vor 20 Jahren konnte man aufgrund der Herstellungsmethoden nur sehr große Mengen von mehreren Tonnen Pulverlack abnehmen, um einen ordentlichen Preis zu bekommen.

Gerade in Asien spezialisieren viele Pulverlackhersteller darauf, für einen kleineren Kunden auch kleinere Mengen zur Verfügung zu stellen, die genau deren Anforderungen entsprechen.

Wie sieht es mit Trends im Bereich neuer Rohstoffe aus?

Spyrou: Die anfangs erwähnte Substitution von TGIC wird langfristig ein Thema sein. Es gab bereits Ersatzprodukte, die chemisch ähnlich gestrickt waren, aber die sind mittlerweile aus den gleichen toxikologischen Gründen unter Beschuss geraten. 

Da gibt es den Bedarf etwas zu finden, was diese Lücke schließt. Das wird zum Teil durch Hydroxyalkylamidanbieter auch geschafft. Aber auch die haben natürlich ihre Grenzen. Gerade bei dicken Schicht kommt es zu Nadelstichen, da hier Wasser bei der Vernetzung abgespalten wird. Die werden also nicht für alle Anwendungen eine Lösung sein. Polyurethansysteme bieten hier eine Alternative.

Sie werden im Oktober auch ein Seminar zum Thema Pulverlacke geben. Was dürfen Teilnehmer erwarten, die das Seminar besuchen?

Spyrou: Das ist die Frage, die ich immer am Anfang des Seminars zu klären versuche. Pulverlacke umfasst ein sehr breites Gebiet, von physikalischen Grundlagen, chemischen Härtungsmechanismen, über Rohstoffe zu Herstellverfahren und Applikationstechniken. Die Teilnehmer erwartet eine einführende Übersicht aller relevanten Themen, die für diese Anwendung entscheidend sind.

Wobei es natürlich immer Teilnehmer gibt, die sind nur an bestimmten Themen interessiert, etwa Additive oder thermoplastische Systemen. Das kläre ich daher gerne zu Beginn, um dann die Schwerpunkte passend für die Teilnehmer zu legen.

Das Interview führte Jan Gesthuizen

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