Interview: „Generell ist Greenwashing ein Problem“
Wie bewerten Sie die derzeitige Lage für Naturfarben im Markt?
Dr. Markus Lettau: Der Trend nach Farben, die aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden, wächst deutlich. Erkennbar ist dies an konkreteren Kundennachfragen nach der Provenienz der Rohstoffe in Naturfarben. Über alle Altersgruppen unserer Kunden sieht man, dass sich diese kritischer mit den Produkten auseinandersetzen. Diese Beobachtung kann man auch auf moderneren Informationsplattformen wie z.B. Instagram oder Facebook sehen, auf denen solche Produkte mehr und mehr in den Vordergrund gerückt werden. Umweltbewusstsein wandelt sich vom individuellen Lifestyle zur gesellschaftlichen Bewegung. Nachhaltigkeit liegt nunmehr nicht mehr nur im Trend, sondern wird Teil eines Phänomens, welches als Megatrend bezeichnet werden kann. Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind somit keine Nischenthemen mehr.
Inwiefern wächst das Bewusstsein für nachhaltigere Lösungen in der Lieferkette?
Lettau: Auch unsere Zulieferer haben erkannt, dass „bio“ nicht mehr nur in Emissionswerten bzw. Lösemittelfreiheit von Rohstoffen bemessen wird, sondern echte Biomasse in den Produkten gefragt ist. Inzwischen haben viele Zulieferer Programme gestartet, um einen biobasierten Anteil an Kohlenstoff in Rohstoffen zu etablieren. Momentan laufen diese Programme noch auf recht kleinem Niveau, da die konventionell produzierende Branche noch sehr danach tickt, wie teuer ein Rohstoff eingekauft wird, und wie sich ein Rohmaterial im Produktpreis niederschlägt. Durch angepasste oder gar neue Produktionsprozesse und gleichzeitig kleinerem Produktionsvolumen, sind viele neue biobasierte Rohstoffe derzeit noch teurer als die vergleichbaren petrochemischen Analoga. Erst wenn die Verbreitung dieser Rohstoffe steigt, und damit auch die Produktionsmengen, ist damit zu rechnen, dass Preise auf Dauer sinken und dann stabil bleiben.
Welche Vorteile ergeben sich bzw. welche Nachteile zeigen sich?
Lettau: Vorteil der höheren Kundennachfrage ist eine gesteigerte Bewusstheit zum echten biobasierten Produkt. Es wird mehr und mehr hinter die Deklaration eines Produktes geschaut und gezielter nachgefragt, was sich genau an Rohstoffen im Produkt befindet und woher diese stammen. Leider ist es für den Kunden sehr schwer erkennbar, ob ein Produkt tatsächlich biobasiert ist. Wir setzen bei all unseren Produkten auf eine Volldeklaration der Rohstoffe, die zusätzlich auf der Homepage mittels einer Rohstoffkunde für den Kunden transparent gemacht wird. Bei konventionellen Produkten finden Sie meist keine Erklärungen zu den eingesetzten Rohstoffen oder es können keine Rückschlusse auf das Material oder dessen Provenienz gestellt werden. Letztendlich ist nicht einmal ein Rückschluss auf die Materialklasse möglich.
Bei anderen Herstellern finden sich teils kryptische Umschreibungen für Inhaltsstoffe, die eine petrochemische Herkunft verschleiern. Das Produkt wird oft mit wohngesund oder einem ähnlichen Attribut beworben, was sicher nicht immer falsch ist, aber das mit synthetischen Rohstoffen gearbeitet wird, wird nicht beschrieben.
Generell ist Greenwashing ein Problem, da der Kunde ja streng genommen nur „gesunde“ Produkte am Markt findet, obwohl derzeit noch mehr als 98 % aller Farben konventionell produziert werden. Insofern ist Greenwashing oder eine gezielte Werbung hinsichtlich Nachhaltigkeit oder Emissionsfreiheit von konventionell produzierten Farben und Lacken ein Problem für die Naturfarbenbranche.
Was muss passieren, damit Greenwashing eindeutig zu erkennen ist?
Dr. Markus Lettau: Eine eindeutige Unterscheidung für den Endkunden kann nur mittels einer klaren Deklaration oder Kenntlichmachung der Herkunft der Rohstoffe erfolgen. Wird im Bereich der Lebensmittel auf eine Ampel zur Kennzeichnung verwiesen, so könnte man bei Farben und Lacken einen ähnlichen Weg gehen. Wenn wir aber sehen, wie schwer sich die Politik mit solchen Kennzeichnungssystemen tut, ist es zweifelhaft, ob diese kurzfristig eingeführt werden. Zudem es momentan auch im Lebensmittelbereich eher freiwillige Lösungen für die Industrie gibt.
Auch derzeit vorhandene Label oder Zertifikate machen es dem Kunden nicht einfacher, sich für eine echte Naturfarbe zu entscheiden. Denn auch hier existieren neben offiziellen Labeln viele selbst kreierte Label, die einem Produkt bescheinigen, bestimmte Kriterien hinsichtlich der Nachhaltigkeit zu erfüllen. Selbst in einschlägigen Magazinen, die eine hohe Glaubwürdigkeit genießen, gewinnen derzeit eher konventionelle Produkte als wahre Naturfarben.
Der beste Weg, den der Kunde momentan gehen kann, ist es, sich die Firmengeschichte eines Herstellers anzusehen, um dort zu erkennen, dass eine große Erfahrung auf der Formulierung nachhaltiger Farben vorliegt. Dies ist eine große Vertrauensbasis!
Wo liegen die derzeit Hürden für Naturfarbenhersteller?
Lettau: Obwohl in Summe die Formulierung von leistungsfähigen Farben und Lacken in der jüngeren Vergangenheit etwas leichter geworden ist, liegt die größte Hürde in der schon genannten Verfügbarkeit neuer biobasierter Rohstoffe für die Formulierung. In den wenigsten Fällen kann sich ein Farbenhersteller selbst helfen, wie wir es im Bereich der Bindemittel mit der Eigenentwicklung „Replebin“ gemacht haben.
Damit die Versorgung mit diesem Bindemittel gesichert ist, wird dieses in einer eigenen Produktionslange in Braunschweig produziert. Während in einer Farbe über das Bindemittel der größte Teil der Biomasse in die Formulierung hineingebracht wird, ist dies bei Additiven noch nicht immer auf dem gleichen Niveau. Zwar gibt es Produkte, aber diese müssen sich in der entsprechenden Formulierung in der Farbe auch einsetzen lassen und verträglich sein. Die Versorgungslage wird besser, so dass immer weniger Kompromisse eingegangen werden müssen.