Halten antibakterielle Beschichtungen was sie versprechen?

Auch wenn die Pandemie durch ein Virus getragen wird, auch antibakterielle Beschichtungen erfreuen sich dank ihr wachsender Beliebtheit. Aber ist das überhaupt sinnvoll? Reinhard Berghofer-Guem und Mario Bortolotti von der Adler Werk Lackfabrik beantworten diese Frage in diesem Gastbeitrag.

Holz Corona
Die Coronapandemie hat zu deutlich mehr Aufmerksamkeit für antibakterielle und antivirale Beschichtungen geführt. Ob sich solche Beschichtungen lohnen Bildquelle: Ines Meier - adobe.stock.com

Spätestens seit der Corona-Pandemie stoßen antibakterielle Beschichtungen auf reges Interesse. Mittlerweile gibt es unterschiedlichste Produkte mit antibakterieller Ausrüstung: vom Fußboden bis zu Möbeln in Küche, Bad und Kinderzimmer sollen uns diese Beschichtungen vor den unsichtbaren Gefahren schützen.

Bakterien sind allgegenwärtig: Mehr als 150 Arten von Bakterien besiedeln alleine die Handfläche des Menschen. Diese wissenschaftlich belegte Aussage könnte in marktschreiender Weise dazu genutzt werden, antibakterielle Beschichtungen zu bewerben.

Antibakterieller Beschichtungen nicht immer sinnvoll

Dennoch haben wir von Adler uns gegen die Entwicklung und Herstellung von antibakteriellen Möbelbeschichtungen entschieden. Und das nicht grundlos. So verursacht die überwiegende Mehrzahl der Bakterien keine Krankheiten. Manche Stämme behindern sogar die Ausbreitung anderer Erreger.

Auch wirkt eine Beschichtung gegen Bakterien meist nicht gegen Viren. Gleiches gilt für andere Krankheitserreger wie Pilze oder Parasiten. Dem Virus SARS-CoV-2 als Auslöser von COVID-19 ist so also nicht beizukommen.

Hohe Hürden für antibakterielle Beschichtungen

Produkte mit antibakteriellen Eigenschaften unterliegen der europäischen Biozidprodukteverordnung 528/2012 und sind somit genehmigungspflichtig. Bei Adler greifen wir nur dann in die Kiste mit den bioziden Zusatzstoffen, wenn es funktionsbedingt unumgänglich ist, z.B. in Holzschutzmitteln. Bei Beschichtungen, die im Innen- und Wohnbereich eingesetzt werden, ist eine besonders gründliche Abwägung notwendig, ob der Einsatz biozid wirksamer Stoffe gerechtfertigt ist. Für eine starke Wirkung antibakterieller Beschichtungen – im Idealfall bis zu einer „Desinfektion“ der Oberfläche durch Abtötung von Krankheitserregern – ist eine äußert hohe Konzentration an Bioziden erforderlich, die in einem medizinisch bedenklichen Bereich läge.

Auch das häufig beworbene Nanosilber gilt als Umweltgift, das bereits bei Zusatz von Kleinstmengen – also in großer Verdünnung – den Aufdruck „Schädlich für Wasserorganismen, mit langfristiger Wirkung“ im Sicherheitsdatenblatt des Produktes auslöst. Will man diese Stoffe wirklich in seinem Lebensumfeld haben, noch dazu, nachdem nachgewiesen werden konnte, dass Nanopartikel im menschlichen Körper abgelagert werden?

Irreführende Angaben

Manche Beschichtungen werben mit einer bestätigten antibakteriellen Wirkung von 99,9 %. Das suggeriert hohe Wirksamkeit. Allerdings wird dieser Wert auch oft von Lackoberflächen ohne biozide Ausrüstung erreicht wird. Grund dafür ist die strukturarme, glatte Oberfläche sowie die Vernetzungsdichte, die moderne Lackfilme aufweisen. Dadurch haben Bakterien auf sauberen lackierten Flächen keine Grundlage für eine rasche Zellteilung.

Sind Möbel mit antibakteriellen Lacken beschichtet, kann das den Konsumenten in falscher Sicherheit wiegen und dazu verleiten, es mit Hygiene und Reinlichkeit nicht mehr so genau zu nehmen, die das Um und Auf zur Erhaltung der Gesundheit bilden.

Auch muss man bedenken, in Krankenhäusern, Arztpraxen und anderen medizinischen Einrichtungen erspart der Einsatz von antibakteriellen Beschichtungen nicht die regelmäßige Flächendesinfektion laut der festgelegten Hygienepläne, da die Desinfektion gegen eine Vielzahl verschiedenster Erreger wirken muss: bakterizid, tuberkulozid, levurozid und viruzid.

Kein Mangel an Innovationen

In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche Innovationen in der Entwicklung von Lacksystemen. Insbesondere sind – bedingt durch das Angebot neuer Rohstoffe – unterschiedlichste Beschichtungen mit Zusatzeigenschaften auf den Markt gekommen: Lacke mit Anti-Fingerprint-Eigenschaften, selbstheilende Beschichtungen oder Pigmentlacke mit sehr hoher Ringfestigkeit.

Es ist durchaus sinnvoll, auf der Suche nach neuen Absatzmöglichkeiten auch Nischenprodukte für spezielle Anwendungsbereiche am Markt zu positionieren. Vor der Entwicklung eines entsprechenden Produkts gilt es jedoch stets, die Vorteile, die Anwendungsmöglichkeiten und Einsatzbereiche zu klären und vor allem die Frage nach der Notwendigkeit, ja sogar Sinnhaftigkeit eines solchen funktionalen Lacks zu stellen.

Aktuell werden Möbellacksysteme mit antibakteriellen Eigenschaften häufiger nachgefragt. Wir haben diese Thematik bei Adler intensiv diskutiert und uns letztendlich entschieden, keine antibakteriellen Möbellacke auf den Markt zu bringen. Wir verzichten auf den Einsatz von Umweltgiften zugunsten eines Produktes mit sehr beschränktem Nutzen, zumal Beschichtungen aus hochwertigen Möbellacken bereits ohne antibakterieller Ausrüstung den Bakterien keinen Nährboden für die Vermehrung bieten.

FAQ

Was sind Krankheitserreger?

Krankheitserreger sind Stoffe oder Organismen, welche in anderen Organismen gesundheitsschädigende Abläufe verursachen. In der Medizin wird diese Eigenschaft als „Pathogenität“ bezeichnet. Krankheitserreger können Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten oder Prionen sein.

Antibakterielle Stoffe wirken definitionsgemäß nur gegen eine Gruppe von Krankheitserregern – die Bakterien. Eine Wirksamkeit gegenüber Viren und andere Erreger ist nicht, gegenüber Pilzen nur eingeschränkt gegeben.

Welche Arten von Krankheitserregern gibt es?

Viren sind kleinste Krankheitserreger. Sie bestehen nur aus Erbmaterial (DNA oder RNA), das von einer schützenden Eiweißhülle umgeben ist. Das Virus hängt sich an eine Zelle an, dringt in sie ein und schleust damit sein Erbgut in das Erbgut der Wirtszelle ein, sodass diese gezwungen ist, neue Viren zu produzieren. Viren besitzen keinen Stoffwechsel und sind daher nicht in der Lage, sich selbst zu vermehren. Beispiele für virusbedingte Krankheiten sind Masern, Grippe, Corona-Infektionen, Mumps, Windpocken, Hepatitis, Röteln, Herpes und HIV.

Prionen (v. engl. Proteinaceous Infectious Particle) sind Proteine, die im menschlichen oder tierischen Organismus sowohl in normalen (physiologischen) als auch in anormalen und dann krankmachenden (pathogenen) Strukturen vorliegen können. Sie enthalten keine DNA. Die Gefahr durch pathogene Prionen besteht darin, dass sie in der Lage sind, die physiologischen, nicht pathogenen Prionen in pathogene umzuwandeln. Beispiele für Prionen-bedingte Krankheiten: Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, BSE (Rinderwahn).

Pilze sind chlorophyllfreie Pflanzen, es gibt weltweit ca. 200 000 Arten.

Man unterscheidet sogenannte „Makromyzeten“, das sind Speisepilze / giftige Pilze, sowie „Mikromyzeten“, das sind mikroskopisch kleine Arten anderer Herkunft. Bei empfindlichen Menschen können Pilze Allergien auslösen. Weiters bilden bestimmte Pilze (Schimmelpilze) giftige Stoffwechselprodukte (Mykotoxine). Davon betroffene Lebensmittel können Vergiftungen hervorrufen. In der Innenraumluft können sie Atemwegserkrankungen bis hin zu Asthma hervorrufen.

Bakterien sind Mikroorganismen, die aus einer einzigen Zelle bestehen. Im Gegensatz zu Viren können sich Bakterien selbst vermehren, indem sie sich teilen und dann wieder zu eigenständigen Bakterien wachsen. Beispiele für bakterienbedingte Erkrankungen: Harnwegsinfekte, Scharlach, Herzmuskelentzündungen, Meningitis (Hirnhautentzündung) usw.

Was versteht man unter Desinfektion bzw. Sterilisation?

Unter Desinfektion versteht man das Abtöten pathogener (krankmachender) Erreger bzw. Keime. Man unterscheidet dabei zwischen Händedesinfektion, Flächendesinfektion, Gerätedesinfektion usw.

Unter Sterilisation versteht man das Abtöten sämtlicher (also auch nicht krankheitserregender) Keime. Das ist etwa im medizinischen Bereich in Form von Gerätesterilisation üblich.

Im klinischen Bereich sind zur Vorbeugung der Ausbreitung von Krankheiten Desinfektionspläne definiert. Diese Desinfektionspläne stützen sich auf Anforderungswerte in Abhängigkeit des zu erwartenden Infektionsrisikos. Die laufende Desinfektion erfolgt dabei mehrmals täglich, die zu verwendenden Desinfektionsmittel sind in sogenannten Desinfektionsmittellisten vermerkt. Die Verwendung antibakterieller Beschichtungen im klinischen Bereich ersetzt nicht die laufende Desinfektion.

Wie wirken antibakterielle Beschichtungen?

Bakterien können sich selbst vermehren, indem sie sich teilen und dann wieder zu eigenständigen Bakterien wachsen. Antibakterielle Beschichtungen greifen meist in diese Funktion ein: Durch die spezielle Beschaffenheit antibakterieller Beschichtungen werden die Bakterien am Wachstum gehindert bzw. es werden wichtige Transportsysteme zur Versorgung der Zelle von Bakterien in ihrer Funktion gehindert. Dies geschieht z.B. durch die Mitverwendung von nanoskaligen Silberionen. Silber wirkt in feinstverteilter Form bakterizid (wirksam gegen Bakterien).

Bei Mitverwendung von Silber in der Beschichtung werden über sehr lange Zeit kleinste Dosen an Silberionen freigesetzt. Dieses „Silber“ blockiert Enzyme und unterbindet deren lebensnotwendige Transportfunktionen in der Bakterienzelle, beeinträchtigt die Zellstrukturfestigkeit und schädigt die Bakterienoberfläche. Dadurch wirkt die Beschichtung „antibakteriell“.

Silberionen besitzen auch eine begrenzte Wirkung gegen Pilze: Das Pilzwachstum von einigen Schimmelpilzarten wird gehemmt, die Pilze werden aber nicht abgetötet.

Wo werden antibakterielle Beschichtungen eingesetzt?

Antibakterielle Beschichtungen kommen in den unterschiedlichsten Bereichen – teils schon seit vielen Jahren – zum Einsatz.

Im medizinischen Bereich werden – z.B. bei Kathedern oder anderen medizinischen „Verweilprodukten“ – antibakterielle „Oberflächenbehandlungen“ seit Langem erfolgreich angewandt.

Ein weiteres Einsatzgebiet von antibakteriellen Filmen sind Innenbeschichtungen z.B. von Aufbewahrungsbehältnissen für Lebensmittel (Kunststoffbehälter). Die Verwendung von Nanosilber ist dabei umstritten, in Kühlschrankinnenbeschichtungen ist es inzwischen verboten.

Im privaten Bereich hat sich die antibakterielle Oberflächenbehandlung von Möbeln, Tischplatten, Einrichtungen etc. hingegen kaum bewährt. Der Bedarf ist einerseits durch die nur bedingte und verzögerte Wirksamkeit gegenüber Bakterien beschränkt; andererseits fehlt die Wirkung gegenüber andersartigen Krankheitserregern wie Viren, sodass Infektionen bei einer Vielzahl von Krankheiten nicht verhindert werden.

Als mögliche Einsatzbereiche antibakterieller Beschichtungen sind aus heutiger Sicht mäßig beanspruchte, öffentlich zugängliche und stark frequentierte Bereiche wie Altenwohnheime, Kindergärten oder Schulen denkbar. Ob die Beschichtung dabei – oder auch im privaten Bereich –  tatsächlich einen Nutzen bringt, sei dahingestellt.

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