Porträt: Ruhig ein bisschen mehr

Als Kind baute Dr. Matthias Glätzle von Adler jeden Chemiebaukasten von Kosmos in der väterlichen Hobby-Werkstatt groß auf und versuchte sich an sämtlichen Experimenten. Porträt von Bettina Hoffmann

Dr. Matthias Glätzle leitet die Zentrale Forschung und Entwicklung bei Adler in Schwaz.

Ein Ereignis blieb Glätzle besonders in Erinnerung: er ließ Salzsäure offen stehen und fand am nächsten Wochenende die metallischen Maschinenteile in der Werkstatt rotbraun überzogen vor. Zum Glück war der Rost „schnell“ abgeschliffen und es entstand die Neugier, Versuche aufzubauen und daraus etwas abzuleiten. Für den experimentierfreudigen Jungen hieß das auch zu testen, was nicht in der Anleitung stand: „Es könnte ja funktionieren!“

Seit Ende 2019 leitet Dr. Matthias Glätzle aus Innsbruck die Zentrale Forschung und Entwicklung bei Adler in Schwaz. Die Abteilung besteht aus über dreißig Mitarbeiter:innen in drei Gruppen: Qualitätssicherung, Labor und HSE. Der promovierte Chemiker ist seit 2016 im Unternehmen und seiner Heimat Tirol treu geblieben.

Nach der Matura studierte Glätzle Chemie. Das Studium machte ihm so viel Spaß, dass die Promotion der logische nächste Schritt war. Er wählte, inspiriert durch die Forschungsgruppe von Univ.-Prof. Dr. Hubert Huppertz, die Synthese und Charakterisierung von Seltenerd-Verbindungen als Thema. Er schwärmt: „Es war faszinierend, mit so wenig Material zu arbeiten und zu wissen, dass jede Probe womöglich eine weltweit einzigartige Verbindung ist, die noch niemand vor sich hatte.“ Bei den abschließenden Versuchen stieß er auf besonders interessante Ergebnisse und beschloss, sie zu publizieren. Doch der Austausch mit anderen Forschungseinrichtungen und die Analysen für die Dissertation nahmen weitere Zeit in Anspruch, während die offizielle Finanzierung für das Doktorat auslief.

Er sah sich um und neben einer Stelle beim Land Tirol weckte die Position als Chemiker bei Adler seine Aufmerksamkeit. Die Firma war ihm über Kommilitonen schon bekannt und fast selbstverständlich fügt der Österreicher hinzu, dass die Eltern die Produkte auch schon gekauft hätten. Der ortsansässige Farbenhändler „führte seine Adlerprodukte“ und „man wusste, die funktionieren einfach“. Das Bewerbungsverfahren lief so angenehm ab, dass er sofort die Zusage gab: „Ich habe für mich einfach das Entwicklungspotenzial gesehen.“ Es waren die Verbindlichkeit und der Blick auf die Zukunft, die das Gespräch prägten und Glätzle war gepackt.

Der Naturliebhaber und passionierte Wanderer hat aus seiner Zeit an der Universität in Innsbruck und zehn Jahren in einer Wohngemeinschaft neben handwerklichen Fähigkeiten das Hobby Kochen mitgenommen. „Da geht es auch um die richtige Formulierung und Zubereitung, nur sind die Kreationen aus dem Labor weniger bekömmlich!“ Mit Rezepten seiner Mutter wagte sich der Student damals an die traditionelle Küche und heute bietet die Zeit am Herd mit seiner Verlobten am Wochenende etwas Entspannung.

Berufseinstieg legt Dissertation auf Eis

Über den Einstieg bei Adler spricht der selbsterklärte Optimist ebenso amüsiert wie enthusiastisch: von hohen Anforderungen und den vielen neuen Eindrücken. An die Fertigstellung seiner Dissertation war nicht zu denken, weil er sich voller Tatendrang in die Arbeit stürzte. „Das war zu Beginn etwas unrealistisch. Nur einige der Paper für die Veröffentlichung habe ich vor meinem Start noch geschrieben.“ Er lobt die intensive Einarbeitung aber gesteht, dass er erst nach anderthalb Jahren wieder den Blick auf sein akademisches Werk richtete.

Jeden Abend und am Wochenende schrieb er an der Dissertation und erwähnt dankbar die Unterstützung seiner Verlobten, die ihn je nach Stimmung angetrieben oder beruhigt hat. „Man selbst und das Umfeld müssen viel Geduld aufbringen, wenn neben einer Vollzeitstelle noch so ein großes Projekt ansteht.“

Nach einigen Jahren im Unternehmen war der Chemiker also angekommen und die Dissertation abgeschlossen. Im Zuge einer Pensionierung ergab sich die Chance, die Abteilung Zentrale Forschung und Entwicklung zu übernehmen. Der heimatverbundene Tiroler ergriff  die Chance auf den Traumjob, wie er heute dazu sagt, und konnte dank der Unterstützung von CTO Dr. Albert Rössler und seinen Gruppenleitern auch mit wenig Berufserfahrung die Aufgabe gut meistern. Der neue Leiter spricht mit Kollegen, lässt sie ihre Aufgaben nach ihren Vorstellungen erledigen und will nicht jedes Detail vorschreiben. „Das ist wohl das Gegenteil der Helikoptermethode, wo man viel Staub aufwirbelt und dann weiterfliegt.“ Glätzle arbeitet lieber mit seinem Team und betont, dass er gerade am Anfang nicht bei allen Themen den Durchblick hatte. Umso mehr schätzte er die unterschiedlichen Kolleg:innen mit ihrer eigenen Expertise und tut dies bis heute.

Fotografie mit fachlicher Prüfung

Seine große Leidenschaft neben der Chemie ist die Fotografie, die der Österreicher in seiner Freizeit im eigenen Studio betreibt. Sein Vater, der selbst Physik studiert hatte, führte ihn mit der analogen Voigtländer Bessamatic an die Materie heran. Als die Entwicklung in Richtung Digitalfotografie ging, war ihm die Qualität zu schlecht, bis er sich eine digitale Spiegelreflexkamera kaufte.

Mit der ihm eigenen Intensität widmete er sich dem Thema und verschlang während des Studiums neben den Chemiebüchern auch solche über Fotografie. Man muss dazu wissen, dass der Beruf Fotograf bis 2013 in Österreich gesetzlich reglementiert war, und man benötigte einen Qualifikationsnachweis für die Gewerbeanmeldung. Als sich die Anfragen häuften und es über bloße Liebhaberei hinausging, entschied Glätzle, sich 2012 auf die Meisterprüfung vorzubereiten. Das Gewerbe wurde 2013 kurzfristig freigegeben aber der Tiroler wollte die Module trotzdem noch abschließen. So hat er heute die skurrile Anekdote zu erzählen, dass er die fachliche Prüfung absolviert hat, ohne jemals den Meisterbrief zu erhalten.

Der Hobbykoch ist nicht nur der Fotografie zugetan, sondern genauso der Musik. Er begann als Sechsjähriger mit dem Klavierunterricht und erlernte ebenfalls Trompete. Mittlerweile steht sein Klavier neben dem Schreibtisch und wird für kreative Denkpausen genutzt. Zu Feiertagen begleitet er im heimischen Reutte als Organist den Kirchenchor. Früher hat er manchmal abwechselnd im Trompetenquartett und an der Orgel unterstützt. „Mir macht das nichts aus, wenn es mal ein bisschen mehr ist“, offenbart Glätzle. „Das beflügelt mich und da fühle ich mich in meinem Element.“ Man merkt eindeutig, dass der Chemiker mit seiner Persönlichkeit gut zu Adler passt.

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