Interview: Hochschulen kämpfen mit Problemen bei Praktika

Prof. Michael Groteklaes, Hochschule Niederrhein, und Dr. Oliver Seewald, Universität Paderborn, berichten über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Studium der angehenden Lackingenieure und -ingenieurinnen.

Die Durchführung von Praktika an den Hochschulen gestaltet sich derzeit schwierig. Prof. Michael Groteklaes Quelle: s_l -stock.adobe.com
Wie stellt sichdie Situation der angehenden Lackingenieure und -ingenieurinnen an IhremInstitut coronabedingt dar?

Groteklas: Unser Problem ist, dass die Praktika nur halb besetzt werden können, wodurch ein Stau entsteht. Wir versuchen das durch erweiterte Öffnungszeiten zu begrenzen, aber wir schieben einen Berg vor uns her. Unsere Hochschule ist aber insofern tolerant, als wir überhaupt Praktika anbieten dürfen. Unser Argument: Es gibt wahrscheinlich in der ganzen Hochschule keine besser gelüfteten Räume als bei den Chemiepraktika und unsere Lackpraktika lassen sich, wie viele andere Chemiepraktika auch, nicht sinnvoll digital durchführen.

Michael GroteklasEs sind ein paar Sperrungen aufgehoben worden, aber die Situation ist unbefriedigend. Wir sind zwar voll ausgelastet im Fachbereich, aber die Schwerpunkte wissen praktisch nicht, wie viele Studierende sie haben. Wenn ich nur nach den Personen in den Praktika gehe, sind es beim Bachelorstudium im Lackingenieurwesen ca. zehn, etwas weniger als sonst. Im Master, dem eigentlichen Lackstudium, haben wir zurzeit sechs, sieben Leute statt der üblichen zehn und mehr. Viele Studierende machen ihre Abschlussarbeiten aktuell im Labor, weil in der Industrie gerade wenig möglich ist. Das betrifft auch Absolventen, die schon einen Arbeitsvertrag hatten und ihre Papiere wieder abholen mussten. Sie haben zwar nach der Corona-Zeit gute Chancen, wieder genommen zu werden. Aber das nützt ihnen im Moment wenig.

Die Hochschule ist offiziell geschlossen. Für alle Chemie-Erstsemester an der Hochschule haben wir im vergangenen Jahr hybride Grundlagenveranstaltungen angeboten, d.h. die Gruppen wurden geteilt. Ein kleinerer Teil durfte in den Hörsaal, die anderen schauten per Internet zu. Das hat sich aber nur teilweise bewährt. In den höheren Semestern lief alles online. Die Studierenden bevorzugen aberPräsenzveranstaltungen, v.a. in den Schwerpunkten. Es macht so gerade beiden Seiten keinen großen Spaß und ist eine Notlösung. Für die Studierenden ist es schlimm, sie sind unglücklich ihnen fehlt der soziale Kontakt. Sie können bei den Klausuren auch keine älteren Semester fragen. Das wirkt sich auf die Qualität der Arbeiten aus.

Seewald: Die Vorlesungen wurden sowohl im Sommer- als auch im Wintersemester digital als Videokonferenz angeboten. Dieses wird auch im Sommersemester 2021 so sein. Da die Studierenden online auch gut mitarbeiten, mindert dieses nicht die theoretische Ausbildung.Viel gravierender stellt sich dieses in den Praktika dar.

Dr. Oliver Seewald, Fachgruppe Prof. Bremser, Coating, Materials & Polymers, Universität PaderbornIm Sommersemester 2020 wurden universitätsweit im ersten Lockdown alle Praktika zu Ausbildungszwecken geschlossen. Die Versuche fanden „theoretisch“ statt. Hierzu wurden im Bachelorstudiengang „Chemie und Technologie der Beschichtungsstoffe“ einige Versuche bzw. Versuchsteile, wie z.B. wichtige Schritte bei der Emulsionspolymerisation, gefilmt und anschließend ein Versuchsprotokoll ausgehändigt.

Die analytischen Ergebnisse, z.B. Bestimmung der Mindestfilmbildetemperatur der Dispersion, Analyse der Teilchengröße der Dispersionspartikel durch dynamische Lichtstreuung und REM, AFM-Aufnahmen des Lackfilms wurden den Studierenden als Ergebnis zur Diskussion gegeben. Dieses ersetzt natürlich nicht das Experiment und die Analytik im Labor. Zum Glück konnte das Praktikum „Applikationstechnologie“ als Block im Sommer, als sich die Corona-Situation erstmal entspannte, nachgeholt werden.

Die Praktika im Wintersemester wurden zunächst mit weniger Belegschaft im Labor begonnen, fanden dann aber nach dem erneuten Lockdown im November größtenteils wie im Sommersemester zuvor statt. Die Semesterferien wurden genutzt, um in Kleinstgruppen unter Einhaltung des Sicherheitskonzeptes einige Versuche wie Bindemittelsynthese, Lackformulierung und Lackprüfung zu beenden.

Wir hoffen, in diesem Sommersemester 2021 zumindest essentielle Teile der Praktika in Kleinstgruppen durchführen zu können. Nachdem die Chemie ein eigenes Sicherheitskonzept erstellt hatte, waren die Labore ab Juni 2020 immerhin zu Forschungszwecken, zur Bearbeitung von Projekten und zur Durchführung von Studien- und Abschlussarbeiten wieder zugänglich, jedoch mit halber Belegung, mit Sicherheitsabstand sowie Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung und im „Schichtbetrieb“. Dadurch konnten die Absolventinnen und Absolventenimmerhin ihre Bachelor- und Masterarbeiten anfertigen bzw. beenden.

Hat sich die Pandemie auf die Anzahl der Studierenden ausgewirkt?

Groteklaes: Wir hatten im letzten Herbst genauso viele Studierende wie vorher. Aber ich weiß von anderen Chemie-Fachbereichen, dass das nicht die Regel ist. Wir haben ja hier inKrefeld eine ganz große Bandbreite innerhalb der Chemie und sind daher wahrscheinlich weniger anfällig für Schwankungen als andere Hochschulen.

Seewald:Im Vergleich zum Vorjahr sind die Zahlen der Erstsemester im Studiengang Chemie sowohl im Wintersemester 2020/21 als auch im Sommersemester 2021 um 30 bis 40 %eingebrochen.

Da erst im fünften Semester eine Spezialisierung auf den Bachelorstudiengang „Chemie und Technologie der Beschichtungsstoffe“ erfolgt, werden wir diesen Einbruch zeitversersetzt auch merken.

Wie schätzen Sie die Jobaussichten für die aktuell Studierenden ein?

Groteklaes: Es wird ein Riesenloch für die Arbeitgeber geben. Leute scheiden aus, Lücken entstehen, die schon vor Corona schwer zu füllen waren. Jetzt verzögert sich das Studium um ein, zwei Semester. Ich denke, dass die Arbeitsmarktlage ab Herbst besser wird. Die Automobillackhersteller haben, soweit ich höre, zurzeit Probleme, aber sie machen ja nur einen Teil des Marktes aus. Insbesondere bei den Bautenfarben, aber auch bei den Industrielacken sieht es ganz anders aus. Ich mache mir keine Sorgen, dass die Lack-Absolvierenden Probleme haben werden.

Seewald:Ich sehe die Jobaussichten für unsere Absolventen positiver als dieses vielleicht für andere Fachrichtungen der Fall ist. Uns erreichen auch weiterhin Anfragen nachAbsolventen. Die coronabedingten Defizite in der praktischen Ausbildung versuchen wir auszugleichen, indem Studierende mit SHK- oder WHB-Verträgen in Forschungsprojekten mitarbeiten.

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Hören Sie zudiesem Thema auch den FARBE UND LACK Podcast mit Prof. Georg Meichsner von der Hochschule Esslingen aus dem August 2020.

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