Hang zur Praxis: Yildiz Gecimli im Porträt

Yildiz Gecimli, Laborleiterin bei Dracholin, einem regionalen Hersteller von Farben, Putzen und Wärmedämmverbundsystemen, muss Generalistin und Spezialistin zugleich sein. Eine Herausforderung, die sie gerne annimmt.

Yildiz Gecimli -

Warum Sie Chemieingenieurwesen studiert hat, kann Yildiz Gecimli gar nicht so genau sagen. „In der Schule waren Mathe, Chemie und Physik meine Fächer.“ Also habe sie sich auch in der Richtung umgesehen. Viele Berufe kenne man halt nicht, wenn man jung sei, erinnert sie sich. Und hinter Chemieingenieur konnte sie sich eine Industrie und konkrete Jobs vorstellen. Mathe und Physik, da habe sie nicht so genau gesehen, was da beruflich folgen solle.

Wichtig ist ihr auch der Zusatz Ingenieur, sie habe nicht klassische Chemie studiert. „Mir geht das Herz auf, wenn ich BASF, Höchst und ähnliche Namen höre. Diese Anlagen, diese Größe, das hat mir damals imponiert und das imponiert mir heute noch“, sagt sie. Sie ist Praktikern, das merkt man, wenn man mit ihr spricht. Nach dem Studium noch länger an der Uni bleiben, das sei für sie nicht infrage gekommen. „Ich wollte Arbeiten“, sagt sie.

Erfahrungen im Baustofflabor

Bevor sie bei Dracholin, ihrem heutigen Arbeitgeber, Laborleiterin wurde, ging es 1993 aber zunächst als Chemieingenieurin zur Firma Rohrbach Zement in Dotternhausen, das am Westrand der schwäbischen Alb liegt. Dort hatte sie schon während ihres Studiums in den Semesterferien gejobbt. „Da habe ich auch die Labore schon kennengelernt und Erfahrungen im Baustofflabor oder der Analytik gesammelt“, erzählt sie.

Dracholin Proben

Oberflächen zum anfassen bei der Firma Dracholin.

Zudem lag das Unternehmen günstig, ihre Eltern wohnten quasi nebenan und sie hatte immer vor, wieder in die schwäbische Heimat zurückzukehren. Sie hatte Deutschland mit 12 Jahren Richtung Istanbul verlassen und dort ihr Abitur und ihr Studium absolviert.

Bei Rohrbach Zement (heute Holcim) stieg sie dann nach kurzer Zeit zur Entwicklungsingenieurin für Werktrockenmörtel und Spezialbindemittel auf. Dennoch entschied sie sich nach einigen Jahren zu Dracholin zu wechseln. „Ich wollte noch mal was Anderes machen, Rohrbach war ja noch immer der erste Arbeitgeber“, erinnert sie sich. Zudem sei klar gewesen, dass es beim alten Arbeitgeber nicht mehr viele Entwicklungsmöglichkeiten gab. „Ich war noch Jung, da schaut man sich halt noch mal um. Ich wollte weiterkommen und mehr Verantwortung übernehmen“, erinnert sie sich.

Von A bis Z

Natürlich sei es eine Umstellung gewesen, ihr alter Arbeitgeber hatte über 200 Mitarbeiter, bei Dracholin sind es derzeit etwa 50. Dafür sei die Arbeit viel abwechslungsreicher. So muss sie einerseits Generalistin sein. „Wenn man ein Produkt entwickelt macht man alles von A bis Z“, sagt sie. Wenn dann irgendwo ein Problem aufkommt, gelte es jedoch Spezialistin zu sein. Überfordert fühlt sie sich deswegen nicht, ganz im Gegenteil. Problematisch sei es höchstens mal, dass nicht genug Zeit für alles zur Verfügung stehe. Das macht sich auch im Privatleben bemerkbar. Früher war sie im Kinderschutzbund aktiv, etwa beim Jugendtelefon. Heute sei das Engagement nur noch passiv.

Dracholin Eingang

Die Firma Dracholin aus Metzingen in Baden Württemberg stellt Farben, Putze und Wärmedämmverbundsysteme aus einer Hand her.

Bei Dracholin schätzt Yildiz Gecimli den Gestalltungsspielraum: „Ich weiß nicht, ob man in großen Unternehmen immer die Entscheidungen mittreffen kann oder sie nur ausführt.“ Außerdem sei man immer nah dran an der Materie und sitze nicht nur am Schreibtisch. Nur die Bürokratie funkt manchmal dazwischen. „Sie haben gerade ihre ganze Produktpalette umgestellt und da fällt denen wieder was Neues ein und dann steht man wieder am Anfang und fängt von vorne an.“, wundert sie sich.

Der Hang zur Praxis begleitet sie auch außerhalb der Arbeit: „Wenn ich irgendwo zu Besuch bin, muss ich immer heimlich die Wand abtasten. Was ist da drauf, kenne ich’s oder kenn ich’s nicht?“, erzählt sie und man hört ihr die Begeisterung förmlich an.

Technik ist weiblich

Auch wenn sich schon viel verändert hat, die Lackbranche in Deutschland ist nach wie vor eine Männerdomäne. Nicht so bei Dracholin: „Technik ist bei uns weiblich“, sagt Yildiz Gecimli. Das Segment Farben hat ebenfalls eine weibliche Laborleiterin (Siehe Farbe und Lack 3/2017, S. 114). Die technische Geschäftsführerin und Eigentümerin Dorothee Fritz ist ebenfalls eine Frau. Das habe sich aber einfach ergeben, es werde halt einfach immer die geeignetste Person eingestellt. So kennt sie es auch aus ihrer Universitätszeit in Istanbul. „Chemie ist in der Türkei schon sehr weiblich. Unter ihren Kommilitonen hatte sie sehr viele Frauen“, erinnert sie sich.

Mit den Kolleginnen steht Yildiz Gecimli in regem Austausch, etwa wenn es um Innovationen geht. „Die Produkte sind aufeinander abgestimmt. Wenn ich einen Putz mache, muss die Farbe darauf funktionieren“, sagt sie. Am meisten Spaß hat sie an Projekten, die das Thema kreatives Wohnen berühren. Hier kommt sie regelrecht ins Schwärmen und erzählt: „Wenn sie da mal drüber streichen. Die Haptik, dieses Feeling. Wenn die Leute begeistert sind, das ist was Schönes. Und wenn sie etwas mitentwickelt haben und man bekommt ein gutes Feedback, das ist toll.“

Von Jan Gesthuizen

Eventtipp:

Im Februar bietet das European Coatings Leading Womens Forum erstmals Frauen in Führungspositionen der weltweiten Farben- und Lackindustrie die Chance sich untereinander zu vernetzen. Interessentinnen können sich auf der Veranstaltungswebseite für einen der begrenzten Plätze bewerben.

Hersteller zu diesem Thema