Wenn‘s doch passiert: Arbeitsunfälle ab 2024 elektronisch melden
Ziel der Prävention im Arbeitsschutz ist, Unfälle zu vermeiden. Dennoch ereigneten sich im Jahr 2022 insgesamt knapp 788.000 meldepflichtige Arbeitsunfälle, in der chemischen Industrie waren es laut BG RCI etwa 15.000. Meldepflicht bedeutet: Unternehmer müssen Unfälle beim zuständigen gesetzlichen Unfallversicherungsträger anzeigen, wenn Beschäftigte mehr als drei Tage arbeitsunfähig sind oder wenn Versicherte getötet werden.
Die Verordnung über die Anzeige von Versicherungsfällen in der gesetzlichen Unfallversicherung (UVAV) wurde neu geregelt. Sie fordert zukünftig eine elektronische Übermittlung der Daten und ist seit 01.01.2024 in Kraft. Unternehmen können die Chance nutzen, Unfälle systematisch zu erfassen und Kennzahlen zum Unfallgeschehen abzuleiten.
Was ist ein Arbeitsunfall?
Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Als Arbeitsunfall definiert das SGB VII Gesetzliche Unfallversicherung „Unfälle von Versicherten infolge einer versicherten Tätigkeit“, also z.B. auch die Instandhaltung von Arbeitsgeräten, die Teilnahme am Betriebssport, an Betriebsausflügen oder an einer Betriebsfeier sowie Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit (Wegeunfälle).
Die ISO 45001 für SGA-Managementsysteme führt den Begriff „Vorfall“ ein. Die Unfallpyramide setzt Häufigkeit und Schwere von SGA-Vorfällen ins Verhältnis. Das Modell, das im Auftrag von ConocoPhilipps 2003 erstellt wurde, beinhaltet z.B. (von der Basis zur Spitze):
- Unsicheres Verhalten
- Beinaheunfälle (Near Misses)
- Nicht meldepflichtige und meldepflichtige Unfälle
- Tödliche Unfälle
Auf 30.000 Fälle von unsicherem Verhalten ereignet sich nach diesem Modell 1 tödlicher Unfall.
Unfallschwerpunkt beim Herstellen und Formulieren von Lacken und Farben ist elektrostatische Aufladung und deren Folgen: Bei mangelnder Erdung kann ein Entladungsfunke entstehen. Besonders beim Umgang mit Lösungsmitteln mit niedrigem Flammpunkt besteht dann Brand- und Explosionsgefahr. Vor allem beim Umfüllen und Rühren dürfen daher nur ableitfähige und geerdete Behälter verwendet werden, auch Schläuche und Zapfventile müssen berücksichtigt werden. Branchenübergreifend gehören Unfälle durch Stolpern, Stürzen und Rutschen zu den häufigsten Unfallarten nicht nur in der Produktionshalle, sondern auch auf dem Weg von und zur Arbeit, im Außendienst oder auf Freiflächen in Unternehmen. Insbesondere im Herbst und Winter besteht wegen Dunkelheit, Regen, Nässe, Glätte, Schnee erhöhte Unfallgefahr.
Geltende Vorschriften
Arbeitgeber müssen Unfälle dann anzeigen, wenn Beschäftigte mehr als drei Tage arbeitsunfähig sind oder wenn Versicherte getötet werden (§ 193 SGB VII). Die Anzeige muss innerhalb von drei Tagen, nachdem der Unternehmer von dem Unfall Kenntnis erlangt, erstattet werden. Tödliche Unfälle oder Ereignisse, bei denen mehr als zwei Personen so verletzt werden, dass sie ärztliche Behandlung benötigen, müssen sofort gemeldet werden.
Bei Arbeitsunfällen besteht Versicherungsschutz durch den zuständigen Unfallversicherungsträger (UV-Träger), z.B. die zuständige Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse. Der UV-Träger prüft zunächst, ob der Unfall in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis steht. Ist dies geklärt, übernimmt er z.B. die Kosten für ärztliche Behandlung, erforderliche Heilmittel, Aufenthalt in Krankenhaus oder Reha-Einrichtung.
Pflichten des Arbeitgebers
Die neu geregelte Unfallversicherungs-Anzeigeverordnung (UVAV) legt u.a. fest, dass seit 01.01.2024 Unfallanzeigen elektronisch übermittelt werden müssen. Die Unfallversicherungsträger müssen dafür einen elektronischen Zugang zur Verfügung stellen, den einige bereits eingerichtet haben, z.B. das Extranet der BG RCI.
Bis 31.12.2027 gilt eine Übergangsfrist: Bis dahin dürfen noch die bisher verwendeten Muster-Formulare verwendet und an den UV-Träger übermittelt werden.
Die UVAV regelt auch, welche Daten übermittelt werden müssen: Allgemeine Daten (§ 3) beziehen sich auf den Beschäftigten. Zusätzliche Daten (§ 4) beinhalten u.a. Angaben zu Ort und Zeitpunkt des Unfalls, Schilderung des Hergangs, Art der Verletzung und verletzte Körperteile sowie evtl. Zeugen.
Die Unfallmeldung bei nicht meldepflichtigen Unfällen dient im Gegensatz zur Unfallanzeige grundsätzlich zum internen Gebrauch. Die Form der Unfallmeldung ist nicht vorgeschrieben. Unternehmen können eigene Vorlagen erstellen oder bestehende Formulare nutzen.
Hinweis: Auch die Anzeige von Berufskrankheiten legt die UVAV fest. Zusätzliche Daten fordert § 5.
Umsetzung in der Praxis
Zusätzlich zur Anzeigepflicht und der elektronischen Übermittlung der Daten bei meldepflichtigen Unfällen, muss bei Auftreten von Unfällen und Beinaheunfällen die Gefährdungsbeurteilung aktualisiert werden. Erkannte Risiken und Gefahren fließen ein, geeignete Maßnahmen können abgeleitet werden. Auch unsicheres Verhalten und Beinaheunfälle sollten analysiert werden.
Die Analyse von Unfällen – meldepflichtigen und nicht meldepflichtigen – erfolgt idealerweise in 6 Schritten:
- Unfalluntersuchung: Informationen sammeln, u.a. Fotos, Unfallskizzen, Messungen, Beschreibungen des Unfallverlaufs, Auswertungen, Nachweise
- Fakten zusammenstellen: Liste aller bekannten Fakten
- Ursachen ermitteln: z.B. mit Fehler (Ursachen)baum, Fehler-Möglichkeits- und Einfluss-Analyse (FMEA)
- Lösungen erarbeiten, damit die Gefährdung zukünftig verhindert wird.
- Maßnahmenplan: Wer, was, bis wann, womit
- Wirksamkeitskontrolle: Sind die festgelegten Maßnahmen umgesetzt und wirksam?
Aus den erhobenen Daten können Unfallschwerpunkte ermittelt werden. Wichtige Kennzahlen im betrieblichen Unfallgeschehen sind u.a. Unfallhäufigkeiten, Unfallarten, Arten der Verletzung sowie AU-Tage pro 1.000 Beschäftigte.
Bedeutung von unsicherem Verhalten bzw. Beinaheunfall
Unsicheres Verhalten erfolgt, u.a. wenn Beschäftigten die entsprechenden Kenntnisse fehlen oder sie sich widersprechende Ziele erfüllen sollen. Aus unsicheren Zuständen und Handlungen könnte ein Schaden entstehen, wenn keine Abhilfe geschaffen wird.
Beim Beinaheunfall (Near Miss) entstehen keine schwerwiegenden Personen- oder Sachschäden, sie hätten jedoch passieren können. Aus Beinaheunfällen können Unternehmen und Beschäftigte gefahrlos lernen: Sie geben wichtige Hinweise auf Gefährdungen und ermöglichen Verbesserungsmaßnahmen für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten.
Mögliche Arbeitshilfen
Gesetzliche Unfallversicherungsträger bieten Muster-Formulare und elektronische Zugänge für Unfallanzeigen. Wollen Unternehmen jedoch alle SGA-Vorfälle systematisch erfassen und auswerten, ist eine Software besser geeignet als unterschiedliche Listen: Relevante Daten können erfasst, der Gefährdungsbeurteilung zugeordnet und wichtige Kennzahlen ermittelt werden. Diese Anforderungen erfüllt zum Beispiel die webbasierte HSEQ Software von QUMsult.
Fazit
Arbeitgeber müssen zukünftig meldepflichtige Arbeitsunfälle elektronisch bei ihrem UV-Träger anzeigen. Sie können die Chance nutzen, alle SGA-Vorfälle systematisch zu erfassen. Geeignete Software kann Unternehmer unterstützen, aus SGA-Vorfällen zu lernen und so Arbeits- und Gesundheitsschutz zu verbessern. Ziel ist, Häufigkeit und Schwere von Unfällen zu senken (Vision Zero).