Endokrine Eigenschaften von bioziden Wirkstoffen

Derzeit kommt es verstärkt zu Verzögerungen und Problemen durch das Bewerten der endokrinen Wirksamkeit (Endokriner Disruptoren (ED)) bei Genehmigungen biozider Wirkstoffe und Zulassung von Biozidprodukten.

Wie sieht es derzeit bei Biozidprodukten aus? Bildquelle: MQ-Illustrations – stock.adobe.com

Die Bewertung der endokrinen Eigenschaften ist im Bereich der Biozidprodukte-Verordnung (BPR) eine große Herausforderung. Bereits in der Vergangenheit war, durch die unterschiedlichen Wirkweisen in verschiedenen Organismen und zum Teil nicht aussagekräftige Testsysteme, eine klare Bewertung der endokrin-schädigenden Eigenschaften schwierig.

Auswirkungen auf das Hormonsystem

Endokrine Disruptoren (ED) haben das Potenzial, das natürliche Hormonsystem von Mensch und Tier zu stören, mit negativen Folgen für Gesundheit und Entwicklung. Die Möglichkeiten, wie sich ein Stoff negativ auf das Hormonsystem auswirkt, sind dabei vielfältig und teilweise schwer nachzuweisen. Im sog. ED-Assessment werden die östrogenen, androgenen, thyroiden und steroidogenen Wirkungsweisen (EATS) eines Stoffes bewertet. Ein wesentlicher und herausfordernder Teil der Bewertung ist es, eine plausible biologische Verknüpfung zwischen der endokrinen Aktivität und einem schädlichen Effekt herzustellen. In vielen Fällen ist die endokrinschädliche Wirkung dabei nicht sofort zu erkennen, sondern erst nach chronischer Exposition oder sogar erst in den nachfolgenden Generationen. Ein weiteres Problem bei ED ist, dass sie häufig schon in sehr geringen Konzentrationen wirksam sind und es zu additiven Effekten mit bereits in der Umwelt vorhandenen ED kommen kann. Da sich die hormonellen Systeme verschiedener Spezies erheblich unterscheiden, kann ein Stoff, der für Säugetiere kein ED ist, erhebliche Effekte bei anderen Spezies wie bspw. Fischen oder Insekten auslösen.

Verzögerungen in regulatorischen Prozessen durch das ED-Assessment

Seit 2018 müssen alle bioziden Wirkstoffe, die sich bis zu diesem Zeitpunkt noch im Überprüfungsprogramm für Altwirkstoffe befanden, nach speziellen Kriterien gemäß der Leitlinie „Guidance for the identification of endocrine disruptors in the context of Regulations (EU) No 528/2012 and (EC) No 1107/2009“ bewertet werden, um eine Aussage zur endokrinschädlichen Wirkung treffen zu können. Durch unklare Vorgaben und

eine diffuse Datenlage führte diese Ergänzung im laufenden Überprüfungsprogramm zur Verzögerung von Genehmigungen biozider Wirkstoffe. Bis heute konnten erst 42 % aller bioziden Wirkstoffe vollständig überprüft werden, obwohl das Überprüfungsprogramm 2024 abgeschlossen sein soll. Seit der Einführung des ED-Assessments wurden 31 Wirkstoffe im Ausschuss für Biozidprodukte diskutiert. Bei 19 dieser Wirkstoffe konnte anhand der vorliegenden Daten kein abschließendes Fazit getroffen werden, ob es sich um einen ED handelt oder nicht.

Neben der Überprüfung der Wirkstoffe muss darüber hinaus für die Zulassung biozider Produkte ein ED-Assessment aller enthaltenen Beistoffe vorgelegt werden – unabhängig von ihrer Konzentration im Produkt. Dies führt ebenfalls zu Problemen bei der Bewertung, da die Hersteller von Biozidprodukten nicht immer alle Bestandteile ihres Produktes in seiner 100%igen Zusammensetzung kennen.

Keine abschließenden Bewertungen

Seit der Einführung des ED-Assessments konnte für eine ganze Reihe biozider Wirkstoffe, trotz aufwändiger Untersuchungen, keine abschließende Bewertung getroffen werden. Ein aktuelles Beispiel ist die Bewertung zweier Formaldehyd-abspaltender Wirkstoffe für die Topfkonservierung (PT 6): Die für die Bewertung zuständige Behörde in Österreich führte ein ED-Assessment anhand der vorliegenden Daten zu Formaldehyd durch, konnte jedoch keine abschließende Bewertung vornehmen. Durch die zahlreichen toxischen Eigenschaften von Formaldehyd

(u. a. H314 ätzend, H341 vermutlich mutagen, H350 krebserregend), die sich schon bei geringen Konzentrationen zeigen, war es nicht möglich, eine sekundäre endokrine Wirkweise von den anderen bekannten toxischen Wirkweisen abzugrenzen und zweifelsfrei zu belegen. Darüber hinaus ist Formaldehyd Teil des natürlichen Stoffwechsels und daher auch unabhängig vom Einsatz als biozider Wirkstoff im Organismus vorhanden. Die Dosierung des Stoffes muss bspw. niedrig genug sein, um die bekannten nicht-endokrinen Wirkweisen nicht auszulösen, aber hoch genug, um sich von den endogenen Formaldehydkonzentrationen zu unterscheiden. Dies stellt insbesondere im aquatischen Bereich, z. B. in Fischstudien, ein großes Problem dar.

Für die beiden Wirkstoffe konnten anhand des ED-Assessments keine Aussagen über die Erfüllung der Ausschlusskriterien nach Art. 5 der BPR getroffen werden. Im Fall von Formaldehyd ist dieser Punkt bereits durch andere toxische Eigenschaften erfüllt. Wie in anderen Verfahren mit unklaren Ergebnissen im ED-Assessment umgegangen wird, ist nach wie vor ungeklärt.

Erfahrungen berücksichtigen

Das Verständnis über die Bedeutung von ED für die menschliche Gesundheit und die Umwelt hat durch intensive Forschungsarbeit in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Der Vorstoß der EU, in Zukunft endokrinschädliche Eigenschaften von Stoffen gesondert einzustufen, ist daher als ein wichtiger Schritt hin zu einem sichereren Umgang mit Chemikalien anzusehen. Allerdings kommt es seit der Einführung des ED-Assessment 2018 in einen laufenden regulatorischen Prozess zu enormen Verzögerungen und Problemen bei der Genehmigung biozider Wirkstoffe und der Zulassung von Biozidprodukten. Bei der Einführung der Kennzeichnung endokrinschädlicher Substanzen im Zuge der CLP-Anpassung sollten daher zwingend die Erfahrungen aus dem bioziden ED-Assessment bei der ECHA und der Kommission berücksichtigt werden. Nur durch klare Vorgaben können in Zukunft Verzögerungen im Rahmen von Genehmigungen biozider Wirkstoffe und Zulassungen von Biozidprodukten verhindert werden.

Hersteller zu diesem Thema