Mikroplastik aus Schiffsanstrichen – „eine unterschätze Quelle“

Eine Studie der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg hat ergeben, dass die meisten Mikroplastikpartikel in Wasserproben aus der südöstlichen Nordsee möglicherweise von Bindemitteln stammen, die in Schiffsanstrichen verwendet werden. Wir sprachen darüber mit Barbara M. Scholz-Böttcher, die die Studie zusammen mit Christopher Dibke und Marten Fischer durchgeführt hat.

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In der Nähe von Schifffahrt-Routen haben die Forscher auffällig hohe Anteile Mikroplastik gefunden Image source: Dottedyeti - stock.adobe.com

Hatten Sie vor der Studie den konkreten Verdacht, dass Bestandteile von Schiffsfarben für einen signifikanten Anteil von Mikroplastik verantwortlich sein könnten?

Barbara M. Scholz-Böttcher: Es gab immer wieder Veröffentlichungen, deren Ergebnisse darauf hinwiesen, dass bei den erfassten Mikroplastikpartikeln Lack- bzw. Farbpartikel eine auffällige Rolle spielen. Hier sind insbesondere Studien von Seen und Hafenbereichen zu nennen, in denen auch viele Schiffe angetroffen werden. Auch wir haben z.B. Partikel von Alkydlacken in Sedimenten der Warnow nachgewiesen.

Völlig überrascht hat uns in unserer neuen Studie, dass wir ungewöhnliche Signale von Kunststoffen weit außerhalb auf hoher See, in sehr küstenfernen Bereichen gefunden haben. Diese unterschieden sich in den untersuchten Wasserproben stark von typischen Verpackungskunststoffen wie Polyethylen, Polypropylen oder PET, die die Mikroplastikzusammensetzung in küstennahen Bereichen prägen.

Diese unerwartete Zusammensetzung der Mikroplastikfraktion in den von uns untersuchten Wasserproben hat uns dazu veranlasst, nach potentiellen Quellen außerhalb von typischem Plastikmüll zu suchen. Hierbei sind wir auf die kunststoffbasierten Bindemittel von Schiffsanstrichen als einem möglichen und plausiblen Interpretationsansatz gestoßen.

Ihre Studie gibt zum ersten Mal einen Überblick über die Massenverteilung von Mikroplastik in der südöstlichen Nordsee. Warum wurde dieser Ansatz gewählt?

Scholz-Böttcher: Es gibt gegenwärtig zwei Methoden, Mikroplastik in Umweltproben zu quantifizieren. Einmal als die partikelbezogene Analyse, die spektroskopische Verfahren nutzt. Diese Daten sind vor allem interessant für ökotoxikologische Betrachtungen. Je kleiner Partikel werden, desto relevanter sind sie für die Aufnahme durch Organismen.

Aber Partikelformen sind sehr unterschiedlich, haben unterschiedliche Größenverteilungen. Je kleiner Partikel werden, desto mehr werden es auch. Man hat also eine enorme Variationsbreite der Zählzahlen. Ein Datenvergleich auf Partikelbasis ist unglaublich schwierig. Die relative Verteilung von Kunststoffen auf Basis von Partikelhäufigkeiten spiegelt nicht deren tatsächliche Mengenverteilung wider.

Bei der massenquantitativen Analytik interessiert nicht, wie groß die Mikroplastikpartikel sind oder wie sie aussehen, sondern sie werden als Gesamtmasse eines jeweiligen Kunststoffes erfasst. So lassen sich ihre Frachten und die jeweiligen Verteilungsmuster der Proben ganz verschiedener Standorte und auch über eine zeitliche Skala vergleichen.

Die Betrachtung der Masse hat den Vorteil einer starken Vereinfachung, da sie sich nur auf die Kunststoffart beschränkt. Die Massenverteilungen der Kunststoffarten von Proben können dann verglichen werden. Diese Verteilungsmuster waren auch Anlass für unsere Veröffentlichung: Bei bestimmten Proben wurden sie von untypischen Kunststoffen wie z.B. Polyacrylaten bestimmt.

Beide genannte Ansätze sind wichtig in der Analyse von Mikroplastik und ergänzen sich grundlegend. Wir sprechen hier von einer komplementären Analytik.

Mit welchen Messmethoden haben Sie gearbeitet und was genau haben Sie herausgefunden?

Scholz-Böttcher: Die verwendete Methode heißt Pyrolyse-Gaschromatographie-Massenspektrometrie-Kopplung und ist ein thermisches Verfahren. Wir zersetzen die Probe und die in ihr enthaltenen Kunststoffe unter Sauerstoffausschluss bei hohen Temperaturen. Hierbei werden die Kunststoffe je nach Art in charakteristische Bruchstücke zersetzt. Von jedem Kunststoff haben wir im Vorfeld Indikatorbruchstücke bestimmt, die einen direkten Bezug zulassen. So können wir auch in komplexen Proben die einzelnen Kunststoffe zuordnen. Über die Intensitäten dieser Signale kann man dann auch eine entsprechende Quantifizierung durchführen.

Kunststoffe nicht im Detail unterscheidbar

Wir haben zehn relevante Kunststoffarten massenquantitativ bestimmt und zwar als reinen Kunststoff, z.B. Polystyrol. Mir ist wichtig zu sagen, dass wir keinerlei Möglichkeit haben, Kunststoffmischungen oder auch die Art wie sie angewendet wurden im Detail zu unterscheiden. Wir können z.B. nicht sagen, „das ist ein Acrylat, das als Anstrichfarbe verwendet worden ist, oder ein Polystyrol aus Isolationsmaterial“. Wir können nur von dem Vorkommen eines jeweiligen Kunststoff-Clusters sprechen, also z.B,, dass wir den Polystyrol- oder Polymethylmethacrylat-Custer gefunden haben.

Dieser Cluster fasst Kunststoffe gleicher Indikatormoleküle zusammen. So lassen sich Quantitäten am Ende vergleichen. Wir reden hier aber von Mikroplastik, das sich, da die zugrundeliegenden Partikel extrem klein sind, nicht mehr 1:1 einer Quelle zuordnen lässt. Das gemessene Signal kann auf Anstrichpartikel zurückzuführen sein, muss es aber nicht zwingend. Wir können nur über die Gesamtheit der Verteilungsmuster die Zusammensetzung der Kunststofffracht ableiten und interpretieren, indem wir kausale Zusammenhänge suchen.

Um welche Art von Bestandteilen handelt es sich?

Scholz-Böttcher: In auffälliger der Nähe von Schifffahrt-Routen haben wir u.a. besonders hohe Anteile von PMMA-Clustern gefunden, die sich mit Polyacrylat-haltigen Kunststoffen oder Bindemitteln in Verbindung bringen lassen, gefunden. Auch hohe PVC (Polyvinylchlorid)-Cluster Anteile haben uns am Anfang sehr irritiert. Aber sehr viele Chlorkautschuke werden in Schutzanstrichen (in Schwimmbädern, im Bausektor, aber auch für Schiffe) eingesetzt, weil ein hoher Korrosionsschutz erreicht wird. Den Polycarbonat-Cluster, der u.a. auch Epoxidharze einschließt, haben wir in vergleichsweise geringer Menge, aber ebenfalls konstant in diesen Proben gefunden.

Insgesamt sind Anstriche allerdings viel zu komplex und zu heterogen, um sie nur auf Basis ihres potentiellen Bindemittelsignals zu quantifizieren, aber das Bindemittel macht ihren Abtrag zu einem Bestandteil von Mikroplastik.

Sind Anteil und Zusammensetzung besorgniserregend?

Scholz-Böttcher: Es gibt ja schon eine lange Diskussion um die Belastung der marinen Umwelt durch Anti-fouling, insbesondere mit Fokus auf die beteiligten Metalle und Schwermetalle oder z.B. auf Organo-Zinn-Verbindungen. Wenn wir jetzt Anstriche als Mikroplastik nachweisen, ist dies praktisch eine andere Seite derselben Medaille, um diese Kontamination herauszustellen. Aber mit den Schiffsanstrichen ist eine Funktionalität verbunden, die aus einer Verbindung verschiedener Inhalts- und Wirkstoffe besteht. Deren jeweiliger Nachweis ist dann ein direkter Indikator dafür, dass eine entsprechende Belastung vorliegt. Man hat hier eine Kombinationsaussage, einen komplementären Hinweis darauf, dass diese Anstriche in die Umwelt gelangen und dies in einer relevanten, nachweisbaren Menge. Was die Mikroplastikfracht angeht, ist der mögliche Anteil an Farbpartikeln hieran, der für die maritime Umwelt eine entscheidende Rolle spielt, bisher noch nicht so klar herausgestellt worden.

Die Partikel sind kleine Vektoren, sie sind bioverfügbar, sie sind leachbar, sie enthalten die gesamte Wirkstoffpalette der Anstriche, und das wird bewusst in Kauf genommen.

„Wichtig: das Ausmaß klarzumachen“

Welche Schlüsse ziehen Sie aus Ihren Studienergebnissen und was erhoffen Sie sich von ihnen?

Scholz-Böttcher: Uns war erst einmal wichtig, das potentielle Ausmaß, mit dem Schiffsanstriche zur Mikroplastikfracht im Meer beitragen, zu verdeutlichen. Die Gesamtkonzentrationen bewegen sich im ppt- bis ppb-Rahmen, dies sind keine großen, aber gut nachweisbare Mengen. Schiffsanstriche sind eine Mikroplastikquelle, analog zum Reifenabrieb an Land, bei der bewusst die Partikelfreisetzung in Kauf genommen wird, um eine Funktionalität zu gewährleisten. Schifffahrt ist ja eine Verkehrsform, die in Zukunft durchaus noch zunehmen wird. Um diese Kontaminationsquelle für Mikroplastik und die darin enthaltenen Schadstoffe langfristig zu reduzieren oder zu unterbinden, sollten zeitnah alternative Schutzbeschichtungen entwickelt werden.

Wichtig ist uns, den Fokus dahin zu lenken, dass nicht nur Verpackungsmüll allein eine offensichtliche Quelle für Mikroplastik in der Umwelt ist. Bei Anstrichen und auch Reifenabrieb ist weitsichtige Kreativität gefragt. Welche Alternativen gibt es, wie lassen sich Anstriche modifizieren, um den Abrieb und damit diese Form der Belastung zu reduzieren?

Der nächste analytische Schritt für uns wird sein, noch systematischer Anstriche zu untersuchen, um unsere Hypothese noch besser untermauern zu können Hier gibt es noch viele, offene Fragen.

Warum haben Sie sich auf die südöstliche Nordsee konzentriert und planen Sie bzw. laufen schon Vergleichsuntersuchungen an anderen Stellen?

Scholz-Böttcher: Wir sind auch in anderen Projekten aktiv. In einem geht es z.B. um Quellen, Senken und den Transport von Mikroplastik im Verlauf der Weser. In einem weiteren sind vielfältige Probenahmen von Wasser, Luft und Sedimenten bis hinauf an die Nordspitze von Norwegen geplant. So können wir die Daten vergleichen, verdichten, verfeinern und ein konsistenteres Bild zu verschiedenen Aspekten und auch der „Bremsspur von Schiffen“ bekommen.

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