Lufthülle lässt Schiffe leichter durchs Wasser gleiten
Eine Luftbeschichtung, die den Reibungswiderstand von Schiffen reduziert, entwickeln Forscher aus ganz Europa im Projekt AIRCOAT. Dabei nutzen sie den am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erforschten Salvinia-Effekt, der es erlaubt, unter Wasser eine Luftschicht dauerhaft zu halten. Die Europäische Kommission fördert AIRCOAT mit insgesamt 5,3 Millionen Euro; davon erhält das KIT rund eine Million Euro. Die wissenschaftliche Koordination liegt bei dem Physiker und Nanotechnologie-Experten Professor Thomas Schimmel am KIT.
Passive Luftschmiertechnologie
Das Projekt ist am 1. Mai 2018 gestartet und läuft drei Jahre. Als Projektkoordinator fungiert das Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen CML in Hamburg. AIRCOAT (Air Induced friction Reducing ship COATing) zielt darauf, eine passive Luftschmiertechnologie für Schiffe zu entwickeln, die zum Schutz der Meere und der Atmosphäre beiträgt. Eine auf den Schiffsrumpf aufgebrachte selbstklebende Folie erzeugt eine dünne Lufthülle, die den Reibungswiderstand wesentlich verringert und gleichzeitig als physikalische Barriere zwischen Rumpfoberfläche und Wasser wirkt. Dadurch lassen sich Kraftstoffverbrauch und Abgasausstoß des Schiffs beträchtlich reduzieren. Die Luftschicht vermindert auch die Abstrahlung von Schiffslärm. Überdies verhindert sie die Ansiedlung von Meeresorganismen am Schiffsrumpf, das sogenannte Fouling, sowie die Freisetzung von bioziden Substanzen aus darunterliegenden Beschichtungen ins Wasser.
Selbstklebendes Foliensystem nach Vorbild der Natur
Bei der innovativen Luftbeschichtung handelt es sich um eine bionische Anwendung – die Technik ist von der Natur abgeschaut. AIRCOAT basiert auf dem Salvinia-Effekt, den der Botaniker Professor Wilhelm Barthlott von der Universität Bonn und der Physiker Professor Thomas Schimmel vom KIT gemeinsam entdeckt haben. Dieser Effekt ermöglicht es bestimmten Pflanzen wie den Schwimmfarnen (Salvinia) auch unter Wasser zu atmen. Dazu halten sie eine dünne Luftschicht auf der Oberfläche ihrer Blätter, die haarartige Strukturen aufweist und extrem wasserabweisend ist. Das AIRCOAT Projekt setzt diesen Effekt, der die Haltung von Luftschichten auf Oberflächen unter Wasser ermöglicht, nun technologisch auf einem selbstklebenden Foliensystem um.
Früher Prototyp nach wie vor bedeckt
Der wissenschaftliche Koordinator von AIRCOAT, Professor Thomas Schimmel, der am Institut für Angewandte Physik (APH), am Institut für Nanotechnologie (INT) sowie am Centrum für Funktionelle Nanostrukturen (CFN) des KIT tätig ist, erforschte mit seiner Arbeitsgruppe den Salvinia-Effekt in dem von Bundesforschungsministerium geförderten Projekt ARES, an dem das KIT sowie die Universitäten Bonn und Rostock beteiligt waren, sowie in einem von der Baden-Württemberg Stiftung geförderten Projekt. „Nachdem wir den Salvinia-Effekt verstanden hatten, erkannten wir das enorme ökonomische und ökologische Potenzial einer technischen Umsetzung“, berichtet Thomas Schimmel. „Wir entwickelten eine Methode zur Herstellung einer künstlichen Oberfläche, die den Effekt im Labor nachahmt. Ein früher Prototyp, den wir vor mehr als fünf Jahren unter Wasser gesetzt haben, ist immer noch mit einer dauerhaften Luftschicht bedeckt!“
Optimierung der neuen Technologie
Das AIRCOAT Konsortium optimiert die neue Technologie und untersucht die Oberflächeneigenschaften experimentell und numerisch. Anschließend demonstrieren die Forscher die Effizienz und die industrielle Machbarkeit im Labor, auf Forschungsschiffen und auf Containerschiffen. Ein umfassender Validierungsprozess wird den Nutzen für Wirtschaft und Umwelt nachweisen. In AIRCOAT arbeiten Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen – von der angewandten Physik über Nanotechnologie, experimentelle und numerische Strömungsmechanik sowie Bionik bis hin zu Schiffstechnik und Schiffsemissionsmodellierung – mit Industrieexperten aus den Bereichen Schiffsbeschichtung, Ökotoxikologie und Selbstklebefolientechnologie sowie Containerschiffsbetreibern zusammen.
Kooperation von zehn Einrichtungen
Insgesamt sind an dem von der Europäischen Kommission im Rahmen des Programms Horizon 2020 geförderten Projekt zehn Partner beteiligt: neben dem Fraunhofer CML und dem KIT auch die Hochschule Bremen und die HSVA Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt GmbH sowie Avery Dennison Materials Belgium, PPG Coatings Europe B.V. (Niederlande), Danaos Shipping (Zypern), die AquaBioTech Gruppe (Malta), das Finnische Meteorologische Institut und Revolve Water (Belgien).