Biobasierte und umweltverträgliche Beschichtungen
Die Nachhaltigkeitsdebatte ist auch in der Beschichtungsindustrie angekommen. Zählte bis vor einigen Jahren vor allem Performance und Rentabilität einer Beschichtung, wird heute auch eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Konsequenzen einer Technologie für Umwelt und Ressourcen erwartet. Im Zuge dieser Nachhaltigkeitsdebatte haben sich sowohl neue Verfahren als auch neue Materialien etabliert. Am Winterthurer Oberflächentag 2018 wurden in acht Vorträgen aus Industrie und Hochschule zur Thematik „Nachhaltigkeit in der Beschichtungsindustrie“ die neusten Trends vorgestellt. Eingeladen hatte das Institute of Materials and Process Engineering (IMPE) der ZHAW School of Engineering im Rahmen des alljährlich durchgeführten Winterthurer Oberflächentages.
Nachhaltigkeit in der Beschichtungsindustrie
Im ersten Vortrag gab Martin Winkler (IMPE, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) einen Überblick über den aktuellen Stand der Technik und zeigte auf, was in Bezug auf Nachhaltigkeit und Ökologie in der Lackindustrie bereits erreicht wurde und wo Potenziale für die Zukunft liegen könnten. Zum einen sind das die Vermeidung von organischen Lösemitteln (VOC) durch die Verwendung von Wasser oder durch lösemittelfreie Systeme wie Pulverlacke oder UV-vernetzende Lacke, zum anderen sind das die Steigerung der Effizienz durch Anlagentechnik, Energieeinsparungen oder Recycling. Biogene Rohstoffe wurden dann angesprochen. Es ist möglich aus Bioabfall Synthesegas herzustellen, aus dem dann die Palette der Rohstoffe erzeugt werden kann. Auch können die Grundstoffe der Lackchemie, wie beispielsweise Lösemittel, Fette und andere Plattformchemikalien, direkt aus der Biomasse gewonnen werden. Einige Beispiele wie die Verwendung von Sojaöl als Ausgangstoff für Alkydharze oder Cashew-Nussschalenflüssigkeit für Epoxy- oder Polyurethanbeschichtungen rundeten das Thema ab. Dann wurde das Instrument der Ökobilanzierung zur Beurteilung der Nachhaltigkeit von Beschichtungen vorgestellt. Von der «Wiege bis zum Grab» d.h. von der Gewinnung der Rohstoffe über die Nutzungsdauer der Beschichtung bis zur Entsorgung wird genau über Energieverbrauch, Ressourceneinsatz und Umweltbelastung Buch geführt, um bestimmen zu können wie ökologisch / nachhaltig die verwendete Beschichtung ist. Dies kann in ein darauf basierendes Umweltlabel umgesetzt werden.
„Cradle to Cradle“-Innovations
Im Gegensatz zur Life Cycle Analysis, einem linearen Ansatz von der «Wiege zur Bahre» nimmt der Cradle-to-Cradle Ansatz die Natur zum Vorbild, erläuterte Albin Kälin (Environmental Protection Encouragement Agency EPEA Switzerland GmbH). Er beruht auf einem Kreislaufansatz. Dieses Konzept kommt sozusagen ohne Abfalleimer aus, in dem problematische Stoffe entsorgt werden. Dies kann auf zwei Arten geschehen: Der biologische Kreislauf, in dem die Stoffe immer wieder verwendet werden können und aus Abfall Nährstoffe entstehen, und der technische Kreislauf, in dem nach Erfüllung der Funktion die Abfälle zu «technischen Nährstoffen» wiederverwertet werden. Der Benutzer nimmt nur noch die entsprechende Dienstleistung in Anspruch, die Materialien bleiben im Kreislauf. Verschiedene Labels werden vergeben, von Basic bis Platinum, mit denen die Produkte zertifiziert werden. Das Konzept wurde anhand von Beispielen aus dem täglichen Leben verdeutlicht., So kamen beispielsweise Bürostühle, Textilien und Plastikflaschen, als auch beschichtungsrelevante Aspekte zur Sprache, wie etwa problematische Chemikalien in Druckfarben für Joghurtbecher und Mineralölrückstände in Beschichtungen für Lebensmittelverpackungen. Diese Problematik wurde z.B. durch einen Druckfarbenhersteller gelöst. Dafür wurde das Produkt mit dem Label «Gold», also ausgesprochen nicht-toxisch, ausgezeichnet.
Zellulosefibrillen in Beschichtungen
Tina Künniger (EMPA) sprach über nanofibrillierte Zellulose (NFC), die aus Holzzellstoff gewonnen wird. Das Holz wird in mehreren energieintensiven Prozessen aufgeschlossen und kleingemahlen. Die NFC kommt als 2.3%ige wässrige Paste zum Einsatz. Die wichtigsten Materialeigenschaften sind: Hydrophiler Charakter, hohe Zugfestigkeit, hohe Steifigkeit, hohe Oberflächenreaktivität (Aufgrund der OH-Gruppen der Zuckereinheiten) und hohe optische Transparenz. Als Zusatz zu Beschichtungen kann NFC folgende Funktionen erfüllen: Rheologie-Additiv (Thixotropierung), Mattierungsmittel, Armierung und Trägersubstanz für Additive. NFC steigert somit die Produktqualität und verbessert die Performance. Wird sie lokal (z.B. in der Schweiz) zu fairen Arbeitsbedingungen produziert, ist ihre soziale Nachhaltigkeit gegeben. Das toxische Potential der NFC ist als gering einzustufen. Durch Nutzung nachwachsender Rohstoffe und wegen ihrer Rezyklierbarkeit ist NFC ökologisch sinnvoll, allerdings fällt der hohe Energieverbrauch der mechanischen Zerkleinerung negativ ins Gewicht. Als Beispiel wurde NFC als Trägersubstanz für UV-Absorber und Radikalfänger in Holzschutzbeschichtungen vorgestellt. Die Freibewitterung von Testformulierungen mit NFC auf dem Dach der EMPA Dübendorf zeigt nach 4 Jahren positive Resultate bei geringerem Verbrauch an Additiven.
Einsatz nachwachsender Rohstoffen bei Bindemittelentwicklung
Zur Nachhaltigkeit gehört nicht nur der Aspekt der Umwelt, sondern auch der der Gesellschaft und der Ökonomie,erläuterte Dr. Toine Biemans (Worlée-Chemie GmbH). Alle drei Aspekte sind bei nachhaltiger Wirtschaft im Einklang. Dies wurde am Beispiel von Leindotteröl für die Alkydharzherstellung verdeutlicht. Die «Tank versus Teller»-Debatte wird darin versucht aufzulösen. Das Projekt wurde in Kooperation mit der Leuphana Universität Lüneburg durchgeführt. Es wurde untersucht, wie Leindotter, eine ölproduzierende Pflanze, nachhaltig angebaut werden kann. Zwei Strategien wurden verfolgt. Einerseits kann die Ölpflanze als Zwischenfrucht angepflanzt werden, das heisst, dass die Lücken in der Fruchtfolge (z.B. die Winterlücke) ausgenützt werden, und andererseits kann Mischfruchtanbau durchgeführt werden. Beispielsweise können Erbsen und Leindotter zusammen angebaut und nach dem Ernten getrennt aufbereitet werden. Die ökologischen Vorteile sind: Keine Konkurrenz zur Lebensmittelherstellung (keine zusätzliche Ackerfläche), Erbsen nutzen Leindotter als Rankhilfe, weniger Unkrautdruck, Reduktion der Pflanzenschutzmittel, Stärkung der biologischen Vielfalt. Als einziger Nachteil des Mischfruchtanbaus wird das etwas schwierigere Säen und Pflegen angesehen. Weitere Vorteile: Die Produktion kann regional erfolgen und es gibt keine langen Transportwege. Ebenfalls wurden Formulierungen mit Leindotteröl als Ersatz für andere Öle positiv getestet. Ausblick: Die Testanbaufläche soll in den kommenden Jahren erweitert werden.
Energiekosten und Materialeinsparung durch frühzeitige Prozesskontrolle
Einen Praxisbericht lieferte Andor Bariska (Winterthur Instruments AG). Der «Coat Master» von Winterthur Instruments ermittelt Beschichtungsdicken schnell und berührungslos und kann deshalb in der Produktionsüberwachung eingesetzt werden. Er basiert auf der Messung von Wärmestrahlung, die durch die Beschichtung je nach Dicke unterschiedlich absorbiert wird. Früher wurde eher zu viel Beschichtungsmaterial eingesetzt, damit man auf der sicheren Seite lag. Durch die nun mögliche on-line Überwachung kann Lack eingespart werden. Das Sparpotential liegt bei Pulverlackbeschichtungen auf Aluminium bei etwa 30%. Durch die vollautomatisierte Schichtdickenmessung wird weniger Ausschuss produziert, weil Fehler sofort registriert und behoben werden können. Der Referent schätzte den Minderverbrauch an zu beschichtenden Elementen auf etwa 10%. In einem Anwenderbeispiel, ebenfalls Aluminiumteile, wurden dadurch ¼ der Menge des in der Schweiz rezyklierten Aluminiums eingespart. Nachhaltigkeit ist also auch wirtschaftlich.
Thomas Kowalik (Fraunhofer IFAM) sprach über die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen als Klebstoff oder Beschichtungsmaterial. Als Beispiel diente Birkenpech, das schon in der Steinzeit als Klebstoff verwandt wurde. Diese Idee wurde im vorgestellten ValorPlus Projekt verfolgt. Es beinhaltet die Weiterverwendung von als Abfall anfallender Lignocellulose, für die es bislang keine sinnvolle Verwendung gibt. Aus ihr können Lignin, Hemicellulose und Glycerin gewonnen werden, die dann zu Lackrohstoffen weiterverarbeitet werden. Das Potential von Lignin liegt in seinen vielen Hydroxygruppen, die leicht chemisch modifiziert werden können. In einem ersten Schritt wird Lignin mit Butanon extrahiert und am Extrakt werden mittels Infrarotspektroskopie die Hydroxygruppen quantifiziert. Dann werden diese chemisch funktionalisiert und zu Lacken verarbeitet. Zwei vielversprechende Systeme wurden identifiziert, ein Polyisocyanat- und ein Epoxysystem. Das Epoxysystem zeigt ähnliche Haftung wie konventionelle Lacke, eine verbesserte Elastizität, vergleichbare Korrosionsschutzeigenschaften und eine verbesserte Wasserbeständigkeit. Nachteilig sind der schwächere Glanz und die Braunfärbung des Produkts. Lignin basierte Bindemittel haben ein hohes Potential zur Verwendung in der Formulierung von Beschichtungen und möglicherweise Klebstoffen. Allerdings müssen noch einige Hürden überwunden werden, wie beispielsweise eine ökonomische Zugänglichkeit der Rohstoffe und die Kompatibilität zu konventionellen Rohstoffen.
Nachhaltigkeit in der Klebstoffindustrie
In diesem umfangreichen Referat von Hartmut Henneken (Jowat SE) kamen viele Beispiele vor, die von Projekten im Klebstoffbereich handelten, die mit nachwachsenden Rohstoffen von der Firma Jowat durchgeführt wurden. Die Motivation, biobasierte Rohstoffe zu verwenden ist einerseits unsere Umwelt zu erhalten und andererseits die veränderte Rohstoffsituation: Es wird erwartet, dass ab 2025 zwar mehr Ethylen produziert werden wird, jedoch weniger für die Klebstoffindustrie relevantes Propylen, Butadien und Benzol. Exemplarisch sollen hier zwei Beispiele aus dem Referat beschrieben werden. Holz im Automobilbau wird auf der Forschungsebene zurzeit intensiv untersucht und die Klebetechnik spielt dabei eine Schlüsselrolle. Dach- und Türkonstruktionen, Crashboxen und Sitzrückwandverstärkungen sollen aus Holz statt Stahl gefertigt werden, weil Holz ein um 70% niedrigeres Gewicht bei gleicher Funktion besitzt. Ausserdem ist die CO2-Bilanz bei Holz deutlich besser als bei Stahl. Das zweite Projekt handelt von Ölpalmholz, einem Werkstoff mit ungenutztem Potential. Üblicherweise werden Ölpalmstämme heute verbrannt, nur das Palmöl ist von Interesse. Das durch Erneuerung der Plantagen alle 25 Jahre in grossen Mengen verfügbare Holz soll in vermarktungsfähigen Produkten mit hoher Wertschöpfung, wie z.B. Möbel, Bausysteme und Bauteile für Häuser eingesetzt werden. Viele Forschungsergebnisse in den letzten Jahrzehnten scheiterten in Asien an der kommerziellen Umsetzung. Hier setzt Jowat mit seinen Partnerfirmen hier an.
Wasserbasierte Stärkeester-Dispersionen für Aluminiumbeschichtungen
Stärke wird weltweit in einem Massstab von 80 Millionen Tonnen pro Jahr produziert, über die Hälfte davon für Nahrungsmittel. Das Ziel des vorliegenden Projekts ist laut Christina Gabriel (Fraunhofer IAP) die Herstellung eines amphiphilen/hydrophoben Filmbildners basierend auf Stärkederivaten. Hier wurde Stärke chemisch zu verschiedenen Estern (Acetat, Propionat, Butyrat, Hexanoat) umgesetzt und die rheologischen und andere, lackrelevante Eigenschaften untersucht. Dann wurden Aluminiumsubstrate mit den neuen Filmbildnern beschichtet, und es wurde gefunden, dass die Stärkeester sehr gut haften. Die Wasserbeständigkeit der mit Isocyanat vernetzten Schichten wurde untersucht, und es wurde gezeigt, dass die Wasserbeständigkeit mit dem Substitutionsgrad (der Anzahl der veresterten OH-Gruppen) und der Kettenlänge zunimmt. Mögliche Anwendungsfelder für die Aluminiumbeschichtungen sind im Innenbereich: Fensterrahmen, Türhenkel, Computergehäuse und anderes mehr. Auch eignen sich die Stärkeester für temporäre Beschichtungen wie den Schutz von Werkstoffen vor Transportschäden. Die Ergebnisse zeigen, dass die synthetisierten Stärkeester das Potential haben könnten, eine Alternative zu erdölbasierten Filmbildnern in Farben und Lacken zu sein.