Alte Wissenschaft hochmodern
Warum sind Sie genau die richtige Expertin zum Thema Rheologie?
Dr. Eva-Maria Kutschmann: Schon während meines Promotionsstudiums im Fach Physikalische Chemie beschäftigte ich mich an der Technischen Universität Berlin unter anderem mit dem rheologischen Verhalten disperser Systeme (Emulsionen und Dispersionen). Anschließend arbeitete ich sechs Jahre im technischen Vertrieb bei einem bekannten Messgerätehersteller in Karlsruhe. Als Produktspezialistin Rheometer war ich zuständig für die Schulung, Beratung und technische Unterstützung der weltweiten Kunden. Später übernahm ich die Verantwortung für das anwendungstechnische Kundenlabor, bevor ich dann in Hamburg bei Lehmann und Voss im Geschäftsbereich Oberflächentechnik als Produktentwicklerin anfing. Seit über zwanzig Jahren liegt mein Tätigkeitsschwerpunkt in der Neu- und Weiterentwicklung von Rheologieadditiven, die in Farben, Lacken, Druckfarben, Kleb- und Dichtmassen sowie in Baustoffen eingesetzt werden. Dabei liefern wir anwendungstechnische Unterstützung unserer internationalen Vertriebspartner und Kunden und helfen bei der Problemlösung.
Warum ist Rheologie so ein bedeutendes Thema in der Lackentwicklung?
Kutschmann: Rheologie trägt entscheidend zur Stabilisierung disperser Systeme bei, indem zum Beispiel das Absetzen von Füllstoffen und Pigmenten oder Phasentrennungen verhindert werden. Daneben können die Verarbeitungseigenschaften mit Hilfe geeigneter Rheologieadditive optimiert werden. Die Fließ- und Deformationseigenschaften von Beschichtungssystemen werden meist gezielt im Hinblick auf die jeweilige Applikationstechnik eingestellt. So muss ein Spritzlack oder ein Tauchlack andere rheologische Eigenschaften aufweisen als eine Dispersionsfarbe, die mit einem Pinsel oder einer Rolle aufgetragen werden soll. An Decklacke werden andere Anforderungen gestellt als an Grundierungen oder Zwischenschichten. Die Ablauf- und Verlaufseigenschaften auf dem jeweiligen Untergrund sollen kontrolliert werden. Jedoch spielen daneben Eigenschaften wie Glanz oder Mattierung, Schaumbildung, Trockungsverhalten, Wasseraufnahmevermögen, Filmhärte, UV-Stabilität, Haftung und vieles mehr eine wichtige Rolle bei der Beurteilung von Formulierungen. Diese Sekundäreigenschaften können ebenfalls durch Rheologieadditive beeinflusst werden.
Sie können sich online für das Seminar anmelden.
Auf welche besonderen Inhalte können sich die Teilnehmer freuen?
Kutschmann: Wir versuchen in unserem zweitägigen Workshop das Thema Rheologie so zu vermitteln, dass alle Teilnehmer unabhängig von ihren Vorkenntnissen und Erfahrungen neue Anregungen und Ideen für ihre tägliche Arbeit aus dem Seminar mitnehmen können. Es werden viele Beispiele mit Praxisbezug vorgestellt. Wir wollen u.a. zeigen, mit welchen Methoden bestimmte Fragestellungen untersucht werden können oder wie rheologische Parameter in Bezug zu anwendungstechnischen Eigenschaften gesetzt werden können. Neue Mess- und Prüftechniken werden ebenso erklärt wie die klassischen Methoden der Viskosimetrie und Rheometrie.
Welchen aktuellen Bezug hat das Seminar und warum ist es so wichtig, immer up to date zu bleiben?
Kutschmann: Durch den Einsatz neuer Technologien ändern sich die Anforderungen an Beschichtungssysteme und ihre Eigenschaften laufend. Schon heute werden bevorzugt lösemittelarme, lösemittelfreie oder wasserbasierte Formulierungen weiterentwickelt, für die geeignete neue Additive gefunden werden müssen. Geänderte gesetzliche Rahmenbedingungen regulieren und beschränken den Einsatz kennzeichnungspflichtiger Inhaltsstoffe, es werden Chemikalien mit guter Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit benötigt. Zudem verstärkt sich die Nachfrage nach Rohstoffen, die ressourcenschonend und möglichst klimaneutral beschafft werden können. Substanzen, die auf pflanzlicher Basis aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden können, stehen vermehrt zur Verfügung. Biologische Abbaubarkeit und Vermeidung von Umweltschadstoffen sind aktuelle Themen, die in nahezu jeder Entwicklung mehr in den Vordergrund rücken werden.