Interview: „2021 werden Deals in großer Anzahl zum Abschluss gebracht“
Sie gehen davon aus, dass durch Covid-19 die Konsolidierung in ausgesuchten Chemie-Branchen angetrieben wird. Inwiefern ist die Farben- und Lackbranche betroffen?
Dr. Otto Schulz: Die Farben- und Lackbranche ist innerhalb der Chemieindustrie schon sehr auffällig. Sie ist sehr mittelständisch geprägt und es gibt nur wenige große, multinationale Konzerne. In Summe ist der Verschuldungsgrad in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Dies sind die Ingredienzien, die zu einer verstärkten M&A-Aktivität führen. Auf der einen Seite stehen potenzielle Aufkäufer und ein Szenario, in dem die Industrie vor einem „Endspiel“ steht. In einem solchen Szenario konsolidiert sich die Industrie immer weiter, weil sich die Marktführer verstärken, um Wachstum zu generieren und Kosten zu senken. Auf der anderen Seite steht eine große Anzahl an Übernahmezielen in dieser Industrie, die selbst nicht mehr genügend Ertragskraft hat. Wir haben die gesamte Chemieindustrie analysiert und die Farben- und Lackbranche ist da ganz weit oben vertreten. Die Branche belegt den zweiten Platz als wahrscheinlichstes Segment für Übernahmen in der Chemie.
Wie wirkte sich die Konsolidierung in 2020 aus?
Dr. Schulz: Covid-19 ist ein Beschleuniger von Trends. Wer jetzt schon weniger Wasser unterm Kiel hat, der wird mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einem Übernahmeziel. Wir sehen im Markt auch einen Anlagedruck. Wir haben viele Firmen, die bereit sind zuzugreifen. Dies gilt sowohl für große Firmen aus der Branche als auch für Investoren.
Für letztere kann es vier Zukaufsszenarien geben. Erstens, man übernimmt einen Lackhersteller, um ein solches Unternehmen zu halten. Zweitens, man will das Asset nach dem Kauf und Verbesserung der Ertragskraft an einen größeren Lackhersteller weiterverkaufen. Drittens, um weitere Unternehmen zu konsolidieren und anschließend diese größere Firma an die Börse zu bringen. Oder viertens, um einen Trade-Sale zu vollziehen, sprich das erworbene Unternehmen an ein weiteres Private Equity Unternehmen zu verkaufen. Soweit eine Branche eine Konsolidierungsdynamik entwickelt, arbeiten die Private Equity Firmen also häufig wie ein Schmierstoff.
Wenn man sich die letzten Krisen anschaut, sieht man das typischerweise in Krisen die Bewertungen fallen. Damit kann man als Investor oft ein gutes Geschäft machen, teilweise unabhängig welche Qualität die einzelne zu erwerbende Firma hat. Insofern glauben wir, dass es wegen Covid-19 zu einer weiteren Beschleunigung von M&A-Aktivitäten kommen wird.
Welche Faktoren begünstigen die Konsolidierung?
Dr. Schulz: Nach der Sommerpause hat das Akquisitionsgeschäft wieder stark angezogen. Die Deals werden jetzt vorbereitet. Mit Ausbruch der Pandemie haben Unternehmen zuerst vorsichtig agiert, da alles sehr unsicher war. Man hat zunächst auf Mitarbeiter und das laufende Geschäft fokussiert. Liquidität war ebenso ein Thema. Im zweiten Halbjahr gab es dann mehr Klarheit und es konnte stärker darauf geschaut werden, ob man konsolidiert oder ob man die auf Eis gelegten Deals aus dem ersten Halbjahr weiter fortsetzt. Wenn man Geldbedarf hat, wird darüber nachgedacht, sich von Randbereichen zu trennen. Gleichzeitig niedrige Zinsen und verfügbare Liquidität für die Übernahmefinanzierung befeuern das Geschäft.
Es ist insgesamt ein großer Trend im Chemiebereich sich von Randbereichen zu trennen und auf Kerngeschäfte zu fokussieren. Das hat auch in der Farben- und Lackbranche in letzter Zeit stattgefunden. Man stellt sich in den Spezialitätenbereichen jetzt mehr nach Kundenindustrien auf und nicht mehr nach Technologien. Das sind dann auch Konsolidierungstreiber. Daher gibt es auch kaum noch Farben und Lackhersteller, die Teil großer Chemiekonzerne sind. Das gilt immer mehr auch für wesentliche Inhaltsstoffe, wie z.B. Pigmente.
Welche Konsolidierungsszenarien halten Sie für wahrscheinlich?
Dr. Schulz: Ich glaube, dass die Industrie schließlich zum Szenario „Endspiel“ kommt, wo starke Akteure die Industrie dominieren. Sie werden auf Kundenbranchen bezogen sein und nicht auf sich ergänzende Technologien. Man wird sich auf einzelne Kundensegmente fokussieren, z.B. Holz, Automotive, etc. Bei den Rohstofflieferanten können sich Full-Service-Provider entwickeln. Je stärker diese Commodities sind, desto eher gibt es Pure Player. Hier dient etwa Titandioxid als Beispiel.
Private Equity Firmen spielen im nächsten Schritt eine große Rolle, als Schmiermittel oder Zwischeneigentümer, jedoch mit kurzer Haltezeit. Wenn die großen Industrieunternehmen jetzt ihr Geld zusammenhalten, können Investoren gute Assets kaufen und diese dann später an die Konzerne verkaufen, mit der Hoffnung auf höhere Bewertungen. Daher kommen die hohen Money-Multiplier nach der Krise. Man kann billig einkaufen und teuer verkaufen. Weiterhin wird es aber auch Transaktionen zwischen den Unternehmen geben. In der Theorie zahlt ein Industrieunternehmen immer einen höheren Preis, da diese Firmen auch Synergien erzielen können. In der Praxis sind aber eben gerade Mittelständler eher risikoavers. In Deutschland achten diese Firmen besonders auf hohe Eigenkapitalquoten, um unabhängiger von den Banken agieren zu können. Das spricht dafür, dass risikofreudigere Unternehmen jetzt eher zugreifen.
Welche Entwicklung erwarten Sie für 2021?
Dr. Schulz: In 2021 werden Transaktionen in größerer Anzahl zum Abschluss gebracht werden. Der Trend bei den abgebenden Unternehmen ist es, sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren. Ist ein Unternehmen in verschiedenen Industrien unterwegs, erfolgt häufig eine Konzentration auf die Industrie mit den besseren Aussichten und daher auch der besseren Bewertung.
In der Chemie haben die Industriegase derzeit die höchsten Bewertungs-Multiples. Da ist der Markt schon stark konsolidiert und das Geschäftsmodel ist stark auf langfristige stabile Partnerschaften mit Kunden ausgerichtet. Die börsennotierten Lackriesen sind auch bereits relativ hoch bewertet. Daher erwarten wir einen entsprechenden Investorenfokus. Die letzten Preise, die bezahlt wurden, waren ziemlich ordentlich.
Tipp
Das Thema Konsolidierung in der Lackindustrie ist auch das Thema der ersten Folge unseres neuen englischsprachigen European Coatings Podcast.