Wenn der Zahn der Zeit am Stahlbeton nagt
Stahlbeton, das zeigen Erfahrungen sowie zahllose Studien weltweit, ermöglicht zwar architektonisch großartige Bauten, doch setzen Umwelteinflüsse wie CO2 und vor allem Tausalz dem Material zu. Über die Jahre dringen Chloride aus dem Salz in den Beton ein, bis diese schließlich die Stahlbewehrung erreichen und die Armierungseisen anfangen zu rosten.
Risiko steigt mit zunehmendem Alter
Um Schädigungen frühzeitig zu erkennen und Korrosion zu verhindern, werden Stahlbetonbauten regelmäßig überprüft. Denn je älter die Bauten werden, desto höher ist das Risiko, dass der Bewehrungsstahl im Beton korrodiert. Durch den Einsatz von Tausalzen, die Brücken, Straßen und Tunnel im Winter eisfrei halten, steigt über die Jahre der Chloridgehalt im Beton, dessen Mischung aus Zement, Wasser und Gesteinsstücken von Natur aus alkalisch ist und dank seines hohen pH-Werts den Stahl in seinem Inneren eigentlich vor Rost und Korrosion schützt.
Herausforderung für Industrieländer
„Korrosion verursacht bis zu 90 Prozent der Schäden an Stahlbetonbauten“, erläutert Ueli Angst, Professor am Institut für Baustoffe der ETH Zürich. „Allein in der Schweiz könnte deren Sanierung zwischen 4,36 und 17,43 Mrd. EUR kosten“. Die Schweiz ist mit diesem kostspieligen Problem aber nicht allein. Die meisten Industrieländer stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Schließlich ist Beton das weltweit am meisten verwendete, vom Menschen produzierte Material. In den USA wurde schon vor Jahren ermittelt, dass die Kosten durch Korrosion etwa bei 3 bis 5 Prozent des Bruttosozialproduktes liegen – indirekte Kosten durch Staus oder Produktionsausfälle nicht mitgerechnet.
Kritische Schwelle bei 0,4 Prozent
Mit Blick auf die hohen Kosten und die große Anzahl an Bauten ist es ausgesprochen wichtig, korrekt zu beurteilen, in welchem Zustand sich ein Stahlbetonbauwerk befindet und ob bzw. wann eine Sanierung nottut. Neben der visuellen Begutachtung und zerstörungsfreien Untersuchungsmethoden spielt bei der Beurteilung die Entnahme von Betonproben eine wesentliche Rolle, erläutert Bernhard Elsener: „Im Labor wird die Chloridkonzentration in den Proben ermittelt. Überschreitet sie nicht nur nahe der Oberfläche, sondern bis in die tieferen Schichten des Betons hinein die kritische Schwelle von 0,4 Prozent bezogen auf das Zementgewicht, ging man bisher davon aus, dass bald Korrosion einsetzen könnte und eine Sanierung notwendig ist.“
Schlussfolgerungen oft falsch
Diese kleinen Proben von typischerweise 5 bis 20 cm sind praktisch, weil sie im Labor leicht zu handhaben sind. Eine aktuelle Studie der beiden ETH-Professoren zeigt jedoch, dass die Schlussfolgerungen aus den Untersuchungen in vielen Fällen falsch sind. „Wir haben bei unserem Forschungsprojekt Stahlbetonprüfkörper von unterschiedlicher Größe untersucht und festgestellt, dass im Labor die korrosionsauslösende Chloridkonzentration in kleinen Proben deutlich höher ausfällt und größeren Schwankungen unterliegt als bei größeren Prüfkörpern“, erklärt Angst.
Neue Formel – neuer Grenzwert
„Beton ist kein homogener Werkstoff. Der Größeneffekt der Korrosion kann direkt durch diese Inhomogenitäten erklärt werden“, erläutert Angst. „Nur die Analyse eines größeren Probenstücks von beispielsweise einem Meter Länge ermöglicht eine realitätsnahe Beurteilung des Zustands.“ Da dies aus praktischen Gründen schwierig ist, haben die beiden Baustoffexperten eine mathematische Formel entwickelt, die den kritischen Grenzwert einer bestimmten Probegröße in eine beliebige andere Größe umrechnen lässt – und damit den bislang fixen kritischen Grenzwert von 0,4 Prozent ersetzt.
Auch Sensoren betroffen
Die Ergebnisse der ETH-Studie betreffen aber nicht nur Laboruntersuchungen von Betonproben. Die Erkenntnisse wirken sich auch auf den Einsatz von Sensoren aus, die zur Überwachung von Korrosion in Stahlbetonbauten eingebaut werden. Diese Sensoren sind meist klein und lieferten dadurch eventuell zu optimistische Daten. Für präzisere Aussagen seien mehr oder grössere Sensoren notwendig.
Hochlegierten Stahl als Alternative
Um künftig Schäden durch Korrosion ganz zu vermeiden, bleibe, so die Wissenschaftler, ansonsten nur die Alternative auf teureren, hochlegierten Stahl für Bauten umzusteigen. „Dieser kostet etwa zehnmal so viel wie normaler Bewehrungsstahl“, sagt Elsener, „doch mit Blick auf die Folgekosten durch regelmäßige Inspektionen und Sanierungen könnte er auf die Dauer günstiger sein.“ Zumal zunehmend Mischzemente mit noch wenig bekannten Dauerhaftigkeitseigenschaften verwendet werden um den CO2-Ausstoss zu verringern.