Trocknen Lacke von alleine?
Deit Beginn der industrialisierten Lackapplikation müssen sich Lacksysteme und deren Trocknung an die neuen Verhältnisse anpassen. Der Bedarf an schnelleren Prozessen und damit schnelleren Bändern geben nun die Geschwindigkeiten vor.
Es reicht nicht mehr die Anbauteile einer Kutsche in der Scheune zu streichen und über Nacht oder sogar über mehrere Tage trocknen zu lassen. Die industrielle Taktung erfordert schnelleres Entwickeln der Eigenschaften und schnellere Weiterverarbeitung. Dazu müssen einerseits die Lacke anders formuliert und der Trocknungsprozess angepasst werden.Der Trocknungsprozess, beziehungsweise das Verdunsten der Lösemittel (später auch Wasser) beschleunigt sich mit zwei Faktoren: Wärme und niedrige Beladung der Luft mit dem Lösemittel.
Auswahl an Wärmequelen
Wobei es bei den Wärmequellen einige verschiedne technische Möglichkeiten gibt. Konvektionsöfen blasen zum Teil stark erwärmte Luft über das zu trocknende Teil, bei Coil Coatings sogar bis zu 400 °C. Dafür ist eine große Menge Energie nötig. Dank Explosionsschutz wird diese Methode auch heute noch für lösemittelhaltige Lacke genutzt. Bei schwer erreichbaren Stellen an 3D-Objekten kann die erwärmte Luft direkt an die kritischen Stellen geblasen werden.
Infrarot (IR)-Trockner transportieren ihre Wärme über Strahlung in den Lackfilm hinein und trockneen ihn von innen nach außen. Dies verhindert Haut- und Blasenbildung. Ein Ventilator hilft die Wärme gleichmäßiger und schneller zu verteilen. Die umgewälzte Luft befördert lösemittelangereicherte Luft von der Oberfläche. Getrocknete, und damit wieder aufnahmefähige Luft strömt nach. Diese kann das Lösemittel effizient ableiteten. Wässrige Systeme trocken mit „trockener Luft“ bei Standardtemperatur circa eine Stunde schneller als mit Konvektion allein.
NIR für empfindliche Substrate
Die geschickte Kombination aus Konvektion mit vor- und nachgeschalteter IR-Anlage kann den Trocknungsprozess optimieren. Kurzwellinges IR-Licht (NIR) erwärmt Lackschichten sehr schnell und stark. Solche Strahler nutzt man zum Beispiel um Pulverlack innerhalb von Sekunden auf temperaturempfindlichen Substraten wie MDF auszuhärten.
Meine eigene Diplomarbeit beschäftigte sich 1998/99 mit einer Trocknungsmethode, die bis dahin nur in Küchen zu finden gewesen war – Mikrowellen (MW). Dieser kleine Kasten, der mir in meiner Studentenzeit die leckere Suppe von Oma in Null-Komma-Nix aufgewärmt hatte, sollte jetzt auch im industriellen Maßstab genutzt werden. Egal ob in der Suppe oder im Lack: Reibung erzeugt Wärme. Die Di-Pole der Moleküle geraten durch die MW-Frequenz in Schwingungen. Die entstehende Reibung auf molekularer Ebene erzeugt Wärme. Di-Pole finden sich nicht nur im Wasser, sondern auch in einigen Lösemitteln und Fettsäuren, damit kann diese Methode sehr effizient sein.
Etablierte Technik Mirkowelle
Meine Diplomarbeit ist damals in den Kinderschuhen hängengeblieben – mangels einer industriell nutzbaren, explosionsgeschützer MW. Aber das Prinzip ist inzwischen etabliert und, vor allem bei wässrigen Systemen, im Einsatz. Hier trickst die MW die geringere Verdunstungsgeschwindigkeit von Wasser aus.
Die verschiedenen Möglichkeiten der Lacktrocknung existieren nebeneinander und kombiniert. IR-Abdunstung mit Konvektionstrockenofen zum Beispiel. Anlagen werden für jede Anwendung individuell angepasst. Es muss nur vor der Installation geplant und entschieden werden. Da liegt der Unterschied zur Wäsche, bei der wir jedesmal neu überlegen können: Leine oder Trockner.
Nina Musche