Rheometer und Auslaufbecher im Vergleich

Oft wird die Viskosität von Farben und Lacke mit einem Auslaufbecher bestimmt. Diese wird dann in Auslaufsekunden angegeben. Doch kann man diesen „Viskositätswert“ mit den Ergebnissen, die man mit einem Rheometer erhält, vergleichen? Ein Auslaufbecher kostet wenige Euro, ein Rheometer jedoch das Tausendfache oder mehr. Was ist also der Mehrgewinn bei einer Messung mit einem Rheometer? Insbesondere die Relevanz für die Praxis soll in diesem Artikel untersucht werden.

Messverfahren der Viskosität

Die Viskosität beschreibt die innere Reibung einer Flüssigkeit. Sie ist also überall dort relevant, wo Flüssigkeiten gefördert, gepumpt, verstrichen oder versprüht werden. Außerdem kann man mit einer rheologischen Untersuchung Aussagen darüber treffen, wie sich eine Farbe nach dem Auftrag verhält und welche Oberflächenstruktur sich bildet, wenn sie trocknet.

Auslaufbecher

Ein Auslaufbecher ist ein Behälter mit einem Loch mit definiertem Durchmesser. Das Loch wird zunächst verschlossen und der Behälter voll Flüssigkeit gefüllt. Sobald das Loch geöffnet wird und die Flüssigkeit ausläuft, beginnt die Zeitmessung. Gestoppt wird die Zeit bis der Strahl der auslaufenden Flüssigkeit abreißt.

Die Flüssigkeit läuft auf Grund des hydrostatischen Drucks aus. Die Auslaufgeschwindigkeit der Flüssigkeit ist also nicht nur durch die Viskosität und den Füllstand sondern auch durch die Dichte der Flüssigkeit bestimmt. Es wird also in diesem Fall immer die kinematische Viskosität ν bestimmt, die der Quotient aus dynamischer Viskosität η und der Dichte ρ der Flüssigkeit ist.

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Rotationsrheometer

In einem Rotationsrheometer rotiert ein Messkörper in einem mit Probe gefüllten Messbecher, vgl. Prinzipskizze in Abb. 1. Aus der Rotationsgeschwindigkeit und der Kenntnis der geometrischen Verhältnisse kann die Schergeschwindigkeit berechnet werden. Diese beschreibt, wie stark die Probe im Messspalt geschert wird. Gemessen wird das Drehmoment (die Kraft), das notwendig ist, um die Rotation mit konstanter Geschwindigkeit aufrecht zu erhalten. Unter Kenntnis der geometrischen Verhältnisse von Messkörper und Messbecher wird hieraus die Schubspannung berechnet. Die Schubspannung ist also ein Maß dafür, welche Kraft die Probe der Scherung entgegensetzt.

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Die Viskosität ist definiert als Verhältnis von Schubspannung und Schergeschwindigkeit.

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Oszillationsrheometer

In einem Oszillationsrheometer befindet sich die Probe in einem Messsystem wie beim Rotationsrheometer, vgl. Prinzipskizze Abb. 1. Jedoch bewegt sich der Messkörper oszillierend um die Nulllage. Die Auslenkung dieser Oszillationsbewegung soll so klein gewählt werden, dass die Struktur der Probe bei der Messung nicht zerstört wird, die Probe also nicht ins Fließen kommt.

Gemessen wird ebenso wie im Rotationsrheometer das Drehmoment, also die Kraft, mit der die Probe die aufgezwungene Bewegung hemmt. Vergleicht man nun den zeitlichen Verlauf der Auslenkung des Messkörpers und des gemessenen Drehmoments, ergibt sich, dass das Maximum der Auslenkung und das Maximum des gemessenen Drehmoments zeitlich versetzt sind. Außerdem stellt man eine Dämpfungswirkung der Flüssigkeit fest.

Durch umfangreiche Berechnungen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, erhält man die beiden Schubspannungsmodule G‘ und G“, den Verschiebungswinkel δ und die komplexe Viskosität η*. Die Erörterung der weiteren berechneten Größen soll hier nicht erfolgen.

Die Schubspannungsmodule G‘ und G“ (in Pa) beschreiben den elastischen und viskosen Anteil der Flüssigkeit. Der Verschiebungswinkel δ ist durch das Verhältnis der beiden Schubspannungsmodule bestimmt. Der Betrag der komplexen Viskosität η* wird berechnet aus den Schubmodulen und der Kreisfrequenz der Schwingung.

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Auslaufbecher und Rotationsmessung

Mit jedem der beschriebenen Messverfahren wird eine Art „Viskosität“ bestimmt. Doch in wie weit sind diese vergleichbar? Und welche Aussage erhält man durch die Messung für die Verarbeitung, Lagerung und Applikation von Farben und Lacken?

Die Messung mit einem Auslaufbecher ist schnell und einfach durchzuführen. Geht man davon aus, dass sie fehlerfrei durchgeführt wird (Reinigung des Bechers und vor allem der Düse, Zeitmessung von Hand!) gibt sie ein Maß für die Zähigkeit der Probe. Zur Qualitätskontrolle bei der Produktion unterschiedlicher Chargen mag dies ausreichend sein, um festzustellen, ob die Produkte annähernd gleich viskos sind. Darüber hinaus spielt die persönliche Beurteilung des Mitarbeiters beim Ziehen der Probe und bei der Beobachtung des Auslaufens, z. B. der Tropfenbildung eine große Rolle. Aus Erfahrung weiß man, wie das auszusehen hat und was zu tun ist, um das gewünschte Ergebnis zu erhalten. Diese Erfahrungswerte sind jedoch nicht quantifizier- und dokumentierbar.

Bei der Messung mit einem Rotationsrheometer wird oft eine Einpunktmessung (Messung bei einer Drehzahl) durchgeführt. Im Bereich der Farben und Lacke ist eine Schergeschwindigkeit von 1000s-1 üblich. Sinnvollerweise wird eine Farbe oder Lack jedoch durch eine Fließkurve charakterisiert, d. h. es werden Messwerte bei verschiedenen Scherraten aufgenommen und diese in einem Schubspannungs- Schergeschwindigkeitsdiagramm aufgetragen, vgl. Abb. 2. Außerdem stellt man fest, dass die Viskosität keine Konstante ist, sondern mit steigender Schergeschwindigkeit in einem Bereich von 20.000 mPas bei einer Scherrate von 0,01 s-1 bis auf ca. 700 mPas bei einer Scherrate von 1000 s-1 abnimmt.

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Für die Anwendung bedeutet dies, dass die Probe bei unterschiedlichen Prozess- oder Applikationsschritten unterschiedliche Viskosität aufweist. Abb. 4 zeigt einen Überblick über die Scherbelastung einer Probe bei unterschiedlichen Verarbeitungsschritten.

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Wenn eine Probe unterschiedliche Viskosität bei verschiedenen Scherraten aufweist, liegt die Frage nahe, bei welcher Scherrate wird die Probe in einem Auslaufbecher gemessen. Um die Schergeschwindigkeit abschätzen zu können, wird die maximale Fließgeschwindigkeit in der Düse benötigt. Nach Hagen-Poisseulle kann diese berechnet werden mit:

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Unter Berücksichtigung, dass die Druckdifferenz in der Düse des Auslaufbechers bestimmt ist durch den hydrostatischen Druck, kann die Schergeschwindigkeit bei der Messung mit einem Auslaufbecher näherungsweise berechnet werden kann durch:

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Beispiel der Berechnung der Schergeschwindigkeit für einen Auslaufbecher DIN4 (r = 2 mm, L = 4 mm, h = 75 mm) unter der Annahme einer Viskosität von ca. 0,2 Pas und einer Dichte von 1g/cm3:

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Die Schergeschwindigkeit nimmt allerdings durch den verminderten hydrostatischen Druck während der Messung kontinuierlich ab. Damit steigt die Viskosität gleichzeitig an, was beides zu einer Verminderung der Schergeschwindigkeit beiträgt, bis der Durchfluss durch die Düse zum Stehen kommt. Damit repräsentiert die Auslaufzeit einen kumulierten Wert über die Viskositäten zwischen 20.000 und ca. 1000 mPas.

Beeinflusst wird die Messung außerdem dadurch, dass die Flüssigkeit in der Regel nicht vollständig auslaufen wird, da Farben und Lacke oft eine Fließgrenze haben. Diese kann durch eine entsprechende Messung rotationsrheologisch gemäß DIN bestimmt werden.

Vergleicht man die Viskositätskurve, die mit einem Rotationsviskosimeter aufgenommen wurde, mit dem einen Zahlenwert, den man durch die Messung mit dem Auslaufbecher erhält, ist klar, dass es unterschiedliche Fließkurven geben kann, die die gleiche Auslaufzeit im Auslaufbecher ergeben. Das Fließverhalten bei unterschiedlichen Applikationen kann mit der Messung im Auslaufbecher nicht beschrieben werden. Darüber hinaus wird das Fließverhalten bei höheren Scherraten, z. B. beim Applizieren, nicht bei der Messung mit einem Auslaufbecher berücksichtigt.

Vergleich Oszillation und Rotation

Bei einer Oszillationsmessung werden die Schubmodule G‘ und G“ bei verschiedenen Frequenzen ermittelt. Die Messung erfolgt zerstörungsfrei, d. h. nicht im Fließen.

Die Oszillationsmessung ist die Art der Viskositätsmessung, bei der der elastische und viskose Anteil im Fließverhalten getrennt gemessen werden kann. Dies spielt eine Rolle z. B. beim Verhalten der Flüssigkeit beim Verlaufen oder Tropfenbildung. Abb. 4 zeigt das Ergebnis einer Oszillationsmessung der gleichen Probe, die auch in den Fließkurven dargestellt war.

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Der Betrag der komplexen Viskosität |Eta*| ist abhängig von der Frequenz und bewegt sich in diesem Messbereich zwischen 20.000 und 3.500 mPas, ähnlich wie bei der Rotationsmessung. Die Zuordnung der entsprechenden Viskosität zu konkreten Applikations- oder Verarbeitungsschritten, z. B. beim Fördern in einer Rohrleitung ist jedoch schwierig.

Ein frequenzabhängiger paralleler Anstiegt der Schubspannungsmodule G‘ und G“ lässt auf eine teilvernetzte Probe schließen. Eine wichtige Aussage ist, dass der viskose Anteil der Schubspannung (G“) in diesem Messbereich immer deutlich über dem elastischen Anteil (G‘) liegt. Die scheinbare Annäherung von G‘ und G“ resultiert aus der logarithmischen Darstellung des Diagramms.

Interessant ist die Oszillationsmessung also zur Bestimmung innerer Strukturen und für Aussage über die Lagerstabilität unter Berücksichtigung der Temperatur oder Transportwege.

Alles zu seiner Zeit

Zusammenfassend kann man sagen, dass jede Art der Viskositätsmessung Vorteile und Grenzen hat.

Die Messung mit dem Auslaufbecher ist schnell und kostet wenig. Sie kann jedoch keine Aussage über das Verhalten der Probe bei unterschiedlichen Verarbeitungs- oder Applikationsbedingungen. Dadurch entsteht die Situation, dass es durchaus sehr unterschiedliches Fließverhalten geben kann, das bei der Messung mit dem Auslaufbecher zu dem gleichen Ergebnis führt.

Durch die Messung einer Fließkurve mit einem Rotationsrheometer können unterschiedliche Applikationsbedingungen nachgestellt und das Fließverhalten der Probe vorhergesagt werden. So kann z. B. die Frage beantwortet werden, wie lange eine Probe in einer Ringleitung umgepumpt werden darf, bis sie sich nachhaltig verändert hat, oder ob es möglich ist sie durch eine kleine Düse zu sprühen und wie sie sich nach dem Sprühen regeneriert.

Die Rotationsmessung gibt jedoch keine Auskunft über die Elastizität der Probe, was bei der Frage der Tropfenbildung ein wesentlicher Aspekt ist. Fragen der Belastung der Probe während Lagerung und Transport sind mit Oszillationsrheologie zu beantworten.

Die Entscheidung über die Art der Viskositätsmessung ist also abhängig von der Fragestellung. Es ist also zunächst die Fragestellung zu klären und dann die Messmethode zu wählen. Dann ist es jedoch unverzichtbar die entsprechende Methode auch einzusetzen.

Jutta Gehm Lothar & Jutta Gehm GbR Sachverständigenbüro für Rheologie Am Seeberg 14a 61352 Bad Homburg www.Rheologie.de

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