Neuartige Herstellungsmethode für geschwungenes Betondach
Das Dach gehört zu der Wohneinheit „Hilo“, die auf dem Forschungsgebäude Nest der Empa im schweizerischen Dübendorf errichtet werden soll. Wissenschaftler der ETH Zürich wollen dort neue Leichtbauweisen erproben und sie mit intelligenten und adaptiven Gebäudesystemen kombinieren.
Mehrere Schichten
Das selbsttragende und doppelt gekrümmte Schalendach besteht aus mehreren Schichten. Auf der inneren Betonlage kommen die Heiz- und Kühlschlangen zu liegen sowie eine Isolationsschicht. Gegen außen schließt eine weitere Betonschicht das Dach ab, auf welcher Dünnschicht-Solarzellen angebracht werden. Dank dieser Technologie und einer adaptiven Solar-Fassade soll die Wohneinheit dereinst mehr Energie generieren, als sie verbraucht.
Im Maßstab 1:1 erprobt
Die Konstruktionsmethode für das Dach wurde von Forschern zusammen mit einem Architekturbüro entwickelt und an einem Prototyp im Maßstab 1:1 erprobt. Der Prototyp, der bereits wieder rückgebaut wurde, um zukünftigen Experimenten Platz zu machen, war siebeneinhalb Meter hoch und hatte eine Fläche von 162 m². Die Dicke des Betons variierte zwischen 3 cm an den Rändern des Dachs und 12 cm an den Auflageflächen.
Netz aus Stahlseil
Anstatt auf herkömmliche Schalungen aus Holz oder Kunststoff, setzten die Forscher auf ein Netz aus Stahlseil, das in einer Gerüstkonstruktion aufgespannt wird. Auf dieses Netz kommt ein Textil aus Polymer zu liegen, das dem Beton als Schalung dient. So können die Wissenschaftler nicht nur massiv Baumaterial sparen, sondern auch Lösungen für die wirtschaftliche Herstellung neue Design-Formen bereitstellen. Ein weiterer Vorteil dieser Methode ist, dass bereits während des Betonieren des Daches die Fläche darunter frei bleibt und somit Bauarbeiten im Gebäudeinnern zeitgleich stattfinden können.
Algorithmen berechnen Form
Das Drahtseil-Netz ist so konzipiert, dass es unter dem Gewicht des nassen Betons die gewünschte Form annimmt. Dies gelingt dank einer Berechnungsmethode, die Block und seine Gruppe im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts Digitale Fabrikation weiterentwickelt haben. Die Algorithmen sorgen dafür, dass sich die Kräfte in jedem einzelnen Stahlseil richtig verteilen und das Dach exakt die vorbestimmte Form annimmt. „Wenn wir die Geometrie richtig berechnen, dann gewinnen wir die Stabilität primär aus der Geometrie und nicht aus dem Baumaterial“, sagt Forscher Philippe Block. Das Kabelnetz wiegt nur 500 kg, das Textil 300 kg. Es handelt sich also um insgesamt nur 800 kg Material, die 20 t nassen Beton tragen.
Die richtige Betonmischung
Der Bau des Dachs wäre ohne die Hilfe modernster Computer- und Herstellungstechniken nicht denkbar. Bauroboter kamen dennoch nicht zum Einsatz, Spezialisten haben den Beton mit einer eigens dafür entwickelten Methode aufgespritzt. Sie mussten darauf achten, dass das Textil dem Druck jederzeit standhalten konnte. Gemeinsam mit Holcim Schweiz definierten die Wissenschaftler die richtige Betonmischung, die flüssig genug sein musste, um aufgespritzt werden zu können und zähflüssig genug, um auch an den vertikalen Stellen haften zu bleiben.
Bewiesen, dass es funktioniert
Den Prototyp haben die Wissenschaftler innerhalb von sechs Monaten gebaut. Er stellt einen wichtigen Meilenstein für das Projekt dar. „Wir haben bewiesen, dass es möglich ist, ein leichtes und flexibles Schalungssystem für Beton zu bauen und dass komplexe Betonstrukturen ohne großen Materialaufwand möglich sind“, sagt Block.
Vier Jahre bis zum Prototyp
Vom Projektstart bis zum fertigen Prototyp dauerte es vier Jahre. Dies auch, weil Block die zahlreichen Industriepartner eng in die Entwicklung des Prototyps einbeziehen wollte. Nächstes Jahr will Block das Dach in acht bis zehn Wochen auf dem Nest-Gebäude neu bauen. Die einzelnen Komponenten der Dachkonstruktion lassen sich beliebig oft wiederverwenden. Das Drahtseilnetz lässt sich in wenige Teile zerlegen, die innerhalb kurzer Zeit wieder zusammengefügt und neu aufgehängt werden können.
Energie produzieren für die Nachbarn
Die Einheit Hilo besticht nicht nur durch die außergewöhnliche Dachkonstruktion, sondern auch durch ein neuartiges Bodensystem in Leichtbauweise und eine Gebäudetechnik mit positiver Energiebilanz. Im Gebäude wird Energie zwischen den einzelnen Units ausgetauscht. Die Einheit ist angehalten, mehr Energie zu produzieren als sie verbraucht. Hier setzt die Arbeit von ETH-Professor Arno Schlüter an. Der Professor für Architektur und Gebäudesysteme wird ein Gebäudesystem mit Sensoren entwickeln, dass die Wärme bei tiefen Temperaturen nutzt, um ein angenehmes Raumklima zu schaffen. Dazu nutzt er die Bauteile des Tragwerkes, auch des Daches, die thermisch aktiviert werden.