Lieferkette: Keine Frage des „ob“, sondern des „wann“

Laut einer Studie des Bundesverbands Materialwirtschaft verzeichneten 77 Prozent der befragten Unternehmen in den vergangenen zwölf Monaten mindestens eine Unterbrechung in der Lieferkette. Software kann bei Risiken alarmieren und so Schäden vorbeugen. Auch Lackhersteller Hesse Lignal setzt auf Supply Chain Risk Management.

Lieferkette: Keine Frage des „ob“
Lieferkette: Keine Frage des "ob" -

Von Sabine Ursel

Die Zahlen der Studie sind eindeutig: Die Mehrheit der Unternehmen (77 Prozent) verzeichnete in den vergangenen zwölf Monaten mindestens eine Unterbrechung in der Lieferkette. 37 Prozent berichten von mehr als fünf Störungen, die den Geschäftsablauf beeinträchtigt haben – eine Steigerung von 42 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Herausgefunden haben das der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME; Eschborn) und riskmethods (München), ein Marktführer im Bereich Supply Chain Risk Management (SCRM). Beide Partner haben das Thema zum zweiten Mal im Rahmen einer Umfrage analysiert. Danach hat jede fünfte Lieferkettenunterbrechung einen Schaden von einer Million Euro und mehr zur Folge. Aber warum haben dann erst 24 Prozent der befragten Unternehmen systematische Maßnahmenpläne zur Krisenreaktion etabliert?

Aufwand relativiert sich schnell

Viele Unternehmenschefs setzen ihr Geschäft durch mangelnde Vorsorge fortwährend latenten Gefahren aus. „So manches Unternehmen, das noch keinen gravierenden Krisenfall zu bewältigen hatte, neigt dazu, die Bedeutung von proaktivem Risikomanagement zu unterschätzen“, sagt Jan-Henner Theißen, Gründer von targetP (Berlin). Er kennt auch das immer wieder ins Feld geführte Argument, dass Risikomanagement schließlich auch Geld koste. „Ja, das ist in der Tat der Fall. Vor allem dann, wenn man sich über händisch-gepflegte fehleranfällige Excel-Tabellen hinaus professionell aufstellen will“, so Theißen. Aber: „Der Aufwand relativiert sich schnell angesichts drastischer wirtschaftlicher Auswirkungen von Schäden“, wie auch riskmethods-Geschäftsführer Heiko Schwarz betont.

Von Millionen Quellen profitieren

Manager wiegen sich oft in trügerischer Sicherheit. Ein Beispiel: ein lokales Unwetter in Indien mit sintflutartigen Regenfällen. Von den Lieferantenmanagern (in Deutschland) wurde eine in der Unwetterregion befindliche Produktionsstätte als „sicher“ kategorisiert, weil sie auf einer Anhöhe gebaut wurde. Dieser vermeintliche Vorteil bringt allerdings nichts, wenn Zufahrts- und Transportwege tagelang überschwemmt sind. Die Meldung vom Maschinenstillstand geht im Headquarter erfahrungsgemäß erst ein, nachdem die Stopp-Knöpfe im Werk gedrückt wurden. Wertvolle Zeit ist vergangen. Ziel wäre in diesen Fall gewesen, anhand des regionalen Wetterberichts von der nahenden und unausweichlichen Bedrohung im Vorfeld zu erfahren, um zeitnah geordnet geeignete Maßnahmen einzuleiten zu können, etwa die Aktivierung eines Alternativlieferanten. Warnmeldungen dieser Art lassen sich freilich nur systemgestützt generieren. Die KI-basierte riskmethods-Lösung greift auf Millionen von Quellen zu, darunter auch lokale Medien auf allen Kontinenten. Folge: Der Nutzer gewinnt wertvolle Zeit zum Handeln und hat einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Ein Hauptrisiko: Lieferanteninsolvenzen

BMW verzeichnet rund 50 Lieferanteninsolvenzen pro Jahr. Zehn Experten sind im Risiko- und Krisenmanagement bestrebt, die gesamte Event-Palette im Auge und Auswirkungen in Grenzen zu halten. Die Risk-Manager können bei Gefahr im Verzug auf Knopfdruck vordefinierte Maßnahmen anstoßen. Bei vielen anderen Unternehmen führt ein Krisenfall hingegen zur Schockstarre. Verzögerte Reaktionen haben zuweilen ebenso bittere Konsequenzen wie wirres Agieren. Ist ein wichtiger Supplier plötzlich und unerwartet insolvent, kommt es nicht selten zum Stillstand der eigenen Produktion – und damit zur Unterbrechung der Lieferkette bis zum Kunden. Das hat in vielen Fällen deftige Vertragsstrafen zu Folge. Bei einem kleinen Mittelständler kann der Ausfall eines wichtigen Lieferanten gar die Existenz bedrohen. Gründe genug, umgehend Risiken aller Art zu identifizieren, das mögliche Ausmaß berechenbar zu machen und belastbare Schlachtpläne mit personellen Verantwortungsbereichen unmissverständlich zu definieren.

Puzzleteil: Predictive Maintenance

Der Alltag der Supply Chainer ist von vielen „kleinen Katastrophen“ geprägt. So stehen etwa im Automotive-Sektor mehrfach in der Woche Bänder still, weil es irgendwo im Prozess hakt, und das trotz Automatisierung und Digitalisierung. Bei Maschinen und Anlagen halten viele Unternehmen an der reaktiven Instandhaltung fest. Damit bringen sie sich und nachgelagert ihre Kunden unnötig in Bedrängnis. „Ein wirklich betriebswirtschaftlich orientierter Einkauf setzt nicht auf die billigste Lösung, sondern auf die preiswerteste“, sagt Peter Mühlberger. Der Vorsitzende des Verbands Technischer Handel (VTH; Düsseldorf) meint damit: „Innovative Produkte und Dienstleistungen, die Instandhaltungszyklen vergrößern, Stillstandszeiten minimieren – und damit die Produktivität maximieren“. Der Verband rät zur vorbeugenden Instandhaltung nach vordefinierten Zeit- oder Leistungsintervallen. In der 2018 erschienenen VTH-Broschüre „Was ist Predictive Maintenance?“ wird diese vorausschauende Methode als Baustein von Industrie 4.0 beleuchtet. Sie ist zugleich ein Puzzleteil in Sachen Risikomanagement.

Auch für kleine Unternehmen

Professionelle Maßnahmen sind freilich nicht nur „Pflicht“ für Große. „Auch kleine Unternehmen sollten intern Aufmerksamkeit für die Problematik schaffen und sich nach adäquaten Tools umsehen“, meint Risk-Experte Jan-Henner Theißen. Ein Berater sei dabei nicht in jedem Fall zwingend. Sein Rat: „In kleinen Schritten Erfahrung sammeln.“ Wichtig: Transparenz, Übersichtlichkeit, laufende Fortschreibung, Abbildung von Trends, Alerts – hinterlegt mit exakt formulierten Ableitungen von Maßnahmen, Prozessschritten und Personenzuweisung. Denn: Ist der Schaden erst einmal eingetreten, zählt jede Minute.

Risikomanagement bei Hesse Lignal

Hesse Lignal beliefert Kunden, darunter Global Player, weltweit mit „intelligenten“ Lacken und Beizen. Die Supply Chain des 1910 gegründeten Mittelständlers erstreckt sich über alle Kontinente. Spektrum: Möbel- und Türenindustrie, Metallbeschichtung, Kinderspielzeug, Innenausbau von Schiffen und Hotels. „SCRM soll das gesamte Unternehmen schützen“, sagt Materialwirtschaftsleiter Stefan Papenberg. Seit Anfang 2019 implementiert er im Rahmen des neuen Risikomanagementprozesses die riskmethods-Lösung. Die Geschäftsführung war schnell bereit, in die Sicherung der eigenen Unternehmensperformance zu investieren, schließlich ist die Bandbreite der Bedrohung groß: geo- und wirtschaftspolitische Risiken, Lieferantenrisiken, Cyberrisiken, Naturkatastrophen, Streiks. „Die Software verschafft uns erstmals maximale Transparenz. Wir können durch Vorausschau beispielsweise verhindern, dass der Ausfall eines Lieferanten die komplette Produktion lahmlegt.“ Der Mehraufwand sei überschaubar. Man erhalte dafür nahezu in Echtzeit rund um die Uhr wertvolle Informationen und obendrein bessere ERP-Daten. Weiterer wichtiger Aspekt laut Papenberg: „Es gibt keine Ausreden mehr. Jeder sieht schon im Vorfeld, was droht und welche finanziellen Auswirkungen das jeweilige Ereignis haben wird. Aussitzen ist keine Option mehr.“ Hesse Lignal trifft belastbare Entscheidungen und kann ungeplante Kostensprünge vermeiden.

Über einen Algorithmus gelingt die minutengenaue Überwachung Millionen weltweiter Datenquellen – also quasi in Echtzeit –, darunter Online-Medien, Datenbanken und eine Vielzahl Drittanbieter-Risikodaten. Die intelligente Risikoerkennung gleicht mit vordefinierten Relevanzkriterien ab und generiert ab einem definierten Schwellenwert (Risk Score) Alerts, die dann umgehend auf den PCs und Handys der eingebundenen Nutzer erscheinen – bei Hesse Lignal sind das der strategische Einkauf von Rohstoffen und die Geschäftsleitung. Wenn z.B. der Risk Score eines gefährdeten Risikoobjekts, etwa ein Lieferantenstandort, auf 75 von 100 steigt, bedeutet das: „Umgehend aktiv werden!“ Stefan Papenberg: „Richtig gut wird es, wenn Sie vor Ihrem Lieferanten wissen, dass er ein Problem hat. Ich bin nicht böse, wenn keine Alerts kommen, aber wenn etwas passiert, dann möchte ich der erste sein, der es weiß.“

Risk Radar, Impact Analyzer, Action Planner

Im Mai 2019 hat Hesse Lignal die riskmethods-Produkte „Risk Radar“ und „Impact Analyzer“ als erste Schritte integriert. Damit lässt sich jetzt schon mal die Supply Chain für ein wichtiges Produkt komplett abbilden; weitere Lieferketten folgen. Hesse kann die Produktion an allen Standorten, alle Zulieferer (bis Tier 2, teilweise tiefer) sowie alle Logistikwege verfolgen – wohlgemerkt inklusive verschiedener Umfeldeinflüsse. Die so gewonnenen Daten werden um die interne Sicht erweitert. Das Papenberg-Team fügt als Bypass eigene Erfahrungen etwa zu Liefertermintreue und Compliance-Verhalten hinzu. Das System wächst mit jeder neuen Info und verdichtet die Erkenntnisbasis für alle Beteiligten. Nächster Schritt ist die Implementierung des dritten Produktes „Action Planner“, das beim Maßnahmenmanagement unterstützt. Hesse Lignal wird das SCRM-Tool auch im Vertrieb einsetzen. Die Lösung generiert viele nutzwertige Informationen auch über Kunden, die der Hesse-Verkaufsmannschaft neue Erkenntnisse und somit Argumente für Kundengespräche bieten.

Quelle:
Umfrage „Supply Chain Risk Management – Herausforderungen und Status quo“
veröffentlicht am 7. Mai 2019 vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) und riskmethods

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