Interview: „Der Begriff ’spannend‘ ist für Beton mehr als passend“

Beton umgibt uns nahezu ständig und ist nicht wegzudenken, sagt Dr.-Ing. Owe-Karsten Lorenz vom Sachverständigenbüro für Baustofftechnologie und -chemie. In unserem Interview beschreibt er seine Faszination für dieses Material, nennt die umwelttechnischen Vorteile und erklärt, was es bei der Beschichtung von Beton zu beachten gilt.

Mit Beton lassen sich moderne Bauwerke realisieren. Quelle: 290712 – stock.adobe.com
Mit Beton lassen sich moderne Bauwerke realisieren. Quelle: 290712 – stock.adobe.com -

Beton galt ja bisher als nicht gerade „spannender“ Baustoff. Wodurch kommt der Image-Wandel, der aktuell zu beobachten ist?

Dr.-Ing. Owe-Karsten Lorenz: Der einleitende Satz Ihrer Frage lässt mich stutzen, denn gerade der Begriff spannend ist für Beton mehr als passend: Viele filigrane Bauwerke aus Beton sind gerade wegen der integrierten, auf Spannung gesetzten Stahlverstärkung realisierbar. Denken Sie nur an die faszinierenden Brückenbauwerke, die mit Spannbeton errichtet werden. Als ich Anfang der 1990er Jahre mit dem Baustoff Beton erstmals beruflich in engen Kontakt kam, lief gerade die Image-Kampagne „Beton – es kommt darauf an, was man draus macht“. Diese Aussage stimmt für mich vollkommen, abgesehen davon, dass dieser Satz wenig weiblich anmutet. Dabei werden die Vorzüge dieses Baustoffs auch bei Architektinnen geschätzt. Ich habe da beispielsweise das Heydar Center in Aserbaidschan oder das Phaeno in Wolfsburg vor Augen. Beide repräsentierenden Bauwerke wurden von der leider zu früh verstorbenen Zaha Hadid entworfen. Der Image-Wandel hat längst stattgefunden. Die technokratischen „Betonsünden“ im Wohnungsbau und in Zweckbauten der 70er Jahre sind meiner Ansicht nach längst überstanden. Beängstigende Unterführungen aus Beton sind attraktiven Fußgängerbrücken gewichen. Beton umgibt uns alltäglich, ohne dass wir diesen wichtigen Baustoff überhaupt noch wahrnehmen. Er ist umgibt uns nahezu ständig und ist nicht wegzudenken.

Was ist für Sie persönlich das Faszinierende an diesem Material?

Lorenz: Beton ist so vielseitig und universell einsetzbar. Durch die Entwicklung hochwirksamer Additive und angepasster Zemente wurden neuartige Bauverfahren und Einsatzgebiete für Beton ermöglicht. Das heutige Knowhow in der Betontechnologie erlaubt Bauwerke aus Beton und Stahlbeton zu errichten, die nahezu allen Einwirkungen dauerhaft standhalten. Der Einsatz reicht von ultraleichten Bauteilen, die sogar schwimmen können, über brandsichere Räume sowie chemisch sehr widerstandsfähige Behältnisse im Wohnungs- und Industriebau bis hin zu ultrahochfestem Beton, mit dem sich sehr dünnwandige Baukörper realisieren lassen. Mit selbstverdichtenden Frischbetonmischungen werden beispielsweise makellose Wandflächen und Fassaden aus Sichtbeton ermöglicht, die kaum noch sichtbare Poren aufweisen

Welche Eigenschaften machen Beton auch gerade mit Bezug auf die Klimadiskussion so interessant?

Lorenz_Betoninterview

Dr.-Ing. Owe-Karsten Lorenz wird auf der FARBE UND LACK Konferenz das Tutorium halten.

Lorenz: Betonbauteile sind sehr robust und leistungsfähig. Ich erinnere nur an die historischen Bauwerke der Römer. Heute errichtete Bauwerke aus Stahlbeton sind auf eine Standzeit von mindestens 50 Jahre bemessen. Das bedeutet aber nicht, dass diese Bauwerke dann bereits baufällig sind. Bei gutem Monitoring und planmäßiger Instandhaltung erfüllt ein modernes Ingenieurbauwerk aus Beton seine Aufgaben über weitaus längere Zeiten. Diese Tatsache ist dem nicht von der Hand zu weisendem Umstand gegenüber zu stellen, dass das Herstellen von Zementklinker aus kalkhaltigem Gestein unabdingbar das Treibhausgas CO2 freisetzt. Jedoch kein anderer Baustoff ist mit fachgerechter Zusammensetzung in so unterschiedlichen Umgebungsbedingungen dauerhaft beständig. Mit einem Gehalt von nur ca. 25 Vol.-% Zementstein kann Beton beispielsweise den aggressiven Angriff in Abwasserführungen über Jahrzehnte ausgezeichnet überstehen. Beton hält neben den mechanischen auch die Belastungen durch wiederkehrenden Frost und Taumittel auf Fahr- und Landebahnen aus. Weil Beton sehr wasserdicht hergestellt werden kann, sind bewohnbare Kellerräume auch im Grundwasserbereich realisierbar. Selbst Häuser aus Holz werden auf Betonfundamenten errichtet und erhalten fast ausnahmslos Treppenhauskerne und Aufzugschächte aus Beton. Diese Aufzählung nutzbringender Anwendungen von Beton kann nahezu endlos fortgesetzt werden.

 

Mehr über neue Entwicklungen bei Zusatzstoffen für Beton, Betonbeschichtungen und umweltfreundlichen Lösungen erfahren Sie auf der FARBE UND LACK // KONFERENZ „Vielseitig, aber anspruchsvoll – der Baustoff Beton“ am 26. und 27. November 2019 in Kassel.

 

Moderne Zementarten entwickelt

Um die inzwischen auch kostenrelevanten Emissionen von CO2zu senken, wurden in den letzten Jahrzehnten moderne Zementarten entwickelt, die deutlich weniger Klinker enthalten, ohne dass die Leistungsfähigkeit der damit produzierten Bauteile leidet. Zukunftsmusik sind noch alternative Betonsorten, die auf ganz neuartigen mineralischen Bindemitteln beruhen und mit weitaus geringeren Energieaufwand produziert werden sollen. Die Gleichwertigkeit zu konventionellen Zementen auf Basis von Portlandzementklinker wäre aber noch nachzuweisen.

Aktuell wird mit großer Intensität zudem daran gearbeitet, Betone zu entwickeln, die mit recyclierten Gesteinskörnungen hergestellt werden. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass einerseits der Bauschutt einen Löwenanteil des hiesigen Abfallaufkommens bildet und andererseits die Verfügbarkeit an natürlichem Kies und Sand dramatisch knapp wird. Was viele nicht ahnen: sogar weltweit.

Was gilt es bei der Beschichtung von Beton zu beachten?

Lorenz: Das Beschichten von Betonoberflächen erfordert eine genaue Kenntnis der baulichen Konstellation und der Beschaffenheit der Betonrandzone. Neben den offensichtlichen Beanspruchungen, denen die zu beschichtende Fläche ausgesetzt wird, muss sorgfältig geprüft werden, welche zusätzlichen, singulären Belastungen möglich sein könnten. Als Schadensgutachter habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass bei der Planung oft extremere Einwirkungen übersehen werden, die etwa durch Nachlässigkeiten bei der Inbetriebnahme oder Nutzung verursacht werden können.

Außer der Exposition des zu beschichtenden Bauteils, muss die bauphysikalische Situation berücksichtigt werden. Beispielsweise kann eine wasserdampfdichte Beschichtung auf einer Betondecke, die einen Feuchtraum abschließt, durch Diffusionsvorgänge zum Versagen der Beschichtung führen. Sachkundige Bodenleger und Beschichter prüfen zunächst immer die Restfeuchte eines Estrichs bzw. eines Betonbauteils bevor eine den Wasserdampf sperrende Beschichtung aufgebracht wird.

Problem: aufsteigende Feuchte

Ein häufig auftretendes Problem ist insbesondere im Bestand, aber auch an neu errichteten Betonbauten die in den Kapillaren des Zementsteins aufsteigende Feuchte, die im direkten Kontakt zu feuchtem Erdreich eindringt. Meistens fehlt in diesen Fällen eine wirksame Abdichtung des Bauteils unter Geländeniveau. Selbst sehr wasserdichte Betonsorten, mit denen weiße Wannen hergestellt werden, zeigen – zwar vergleichsweise wenig – mitunter aber doch augenfälliges Versagen von Anstrichen in Sockelbereich. Feuchte steigt im Kapillarporensystem empor und schleppt Salze mit, die im Verdunstungshorizont ausgeschieden werden. Durch den Kristallisationsdruck platzt der Anstrich ab. Auch diffusionsoffene Silikatanstriche sind davor nicht gefeit. Um diese optischen Schäden zielsicher zu vermeiden, muss der Zutritt von Feuchte aus dem Erdreich durch geeignete Beschichtungen oder bauliche Maßnahmen ausgeschlossen werden.

Welche neuen Entwicklungen beobachten Sie bei der Beschichtung von Beton?

Lorenz: Ich halte Beschichtungen für innovativ und zukunftsweisend, die das Erzeugen von photovoltaischer Elektrizität ermöglichen. Ich bin gespannt, wie und ob sich diese Entwicklungen durchsetzen. Ferner kann ich mir vorstellen, dass Beschichtungen von Architekten angenommen würden, die ihre Färbung elektrisch gesteuert wechseln. 

                                                                                                                                                                           Das Interview führte Kirsten Wrede

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