Interview: „Siegeszug als alternativlose Verbindungstechnik

Der Klebstoff-Markt bewegt sich weltweit auf hohem Niveau, sagt Dr. Jürgen Wegner, Geschäftsführer von ChemQuest. Im Interview erklärt er außerdem, warum sich die Grenzen zwischen Lacken und Klebstoffen weiter aufweichen und gibt Einblicke in die Funktionalitätstrends bei Klebstoffen.

Klebstoffe: Siegeszug als "alternativlose" Verbindungstechnik: Quelle: pholidito_Fotolia.com -

Warum weichen die Grenzen zwischen Lacken und Klebstoffen immer mehr auf?

Dr. Jürgen Wegner: Beide Produktkategorien unterscheiden sich formulierungstechnisch häufig nur im Detail und es ist daher schon allein aufgrund der engen stofflichen Verwandtschaft naheliegend, hier bei der jeweiligen Produktdefinition die Grenzen zwischen beiden fließend zu halten. Es geht also um den sich permanent sogar vergrößernden Überlappungsbereich zwischen den Kategorien. Denn untrennbar verbunden sind die rapide Zunahme immer neuer, innovativer Funktionalitäten, die oft genug genau auf dieses Grenzgebiet zielen, und hierdurch Leistungs-Optimierungen bei gleichzeitig oft günstigerer ökologischer Bilanz und Rationalisierungs-Effekten echten Zusatznutzen ermöglichen. Hinzu kommen Fortschritte in der Polymertechnik, der zunehmende Einsatz von Formulierungs-Komponenten mit nachwachsenden Rohstoffen oder die Weiterentwicklung von Beschichtungs-, Dosier- und Auftragstechnik.

Wie würden Sie den Markt für Kleb-und Dichtstoffe zurzeit beschreiben?

Wegner: Der deutsche Klebstoff-Markt bewegt sich analog zu Europa und weltweit auf hohem Niveau etwa 20 bis 30% oberhalb des jeweiligen BIP. Die Gründe hierfür sind vielfältig und liegen nicht allein darin begründet, dass die Grenzen zum Anstrich permanent an Schärfe verlieren. Eine bedeutende Rolle spielt der wichtige Substitutionsprozess, der Kleb- und Dichtstoffe gegenüber anderen Fügeverfahren bevorzugt. Begünstigt durch Trends wie neue Hochleistungs-Werkstoffe, leichtgewichtige Multimaterial-Komponenten, rapide steigende Anforderungen an Material- und Energie-Effizienz und mehr wird die Klebeverbindung ihren Siegeszug als „alternativlose“ Verbindungstechnik nicht verlieren.

Wo liegen die Trends bei Funktionalitäten?

Jürgen_Wegner

Dr. Jürgen Wegner

ChemQuest

Wegner: Hierbei muss genau zwischen Klebstoff-Art und Anwendungs-Segment unterschieden werden. Ein Universalkleber ist bestenfalls eine gute Marketingidee aber technisch eine reine Illusion. Sehr genaue Detailkenntnis sind Grundvoraussetzung, um im ganz überwiegend technischen Bereich für jeden speziellen Einzelfall eine Systemlösung zu erarbeiten, die nicht nur Fragen der künftigen Beanspruchung und der ganz spezifischen Kundenerwartungen einbezieht, sondern eben auch jeden Einzelschritt bei der Produktmontage berücksichtigt, regulatorische Auflagen, das gesamte Gebiet von Normanforderungen, von Arbeits- und Konsumentenschutz, von Umwelt-, Lebenserwartungs-, Reparatur- und Recycling-Auflagen. Klebstoffe tragen zwar oft mit deutlich unter einem Prozent zu den Gesamt-Herstellkosten eines Produktes bei, können aber zu Leistungssteigerungen und Rationalisierungs-Effekten führen, die signifikant über diese 1%-Grenze hinausreichen. Gelingt es etwa, einen sehr Lohnkosten-intensiven Arbeitsschritt durch eine entsprechende Funktionalität Qualitäts-neutral einzusparen, ist dem industriellen Klebstoff-Verarbeiter sehr geholfen. Im Elektronik-Bereich gewinnen Klebstoffe, die elektrisch leitfähig sind und damit Lötprozesse ersetzen, immer mehr an Bedeutung. Physikalisch sehr widersprüchliche Funktionalitäten sind daher eine echte, aber durchaus lösbare Herausforderung. Die oft gemiedene Transparenz im Zusammenspiel von Klebstoff-Herstellern und -Verarbeitern zahlt sich nach meiner festen Überzeugung in jedem Einzelfall aus und befeuert so ganz sicher den gesamten Innovationsprozess!

Sie interessieren sich für die Formulierung von Kleb-und Dichtstoffen? In unserem Seminar „Kleb-und Dichtstoffe formulieren“ am 07.11.2017 in Essen gibt Referent Dr. Matthias Popp vom Fraunhofer IFAM in Bremen unter anderem Einblicke in die Chemie hinter Dispersionsklebstoffen, die Prüfung von Klebstoffen und wie gezielt Eigenschaften in der Formulierung gesteuert werden können.

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