Interview Bauchemie: „Formulierungen werden immer komplexer“

Megatrends wie Urbanisierung, Klimaschutz und Nachhaltigkeit verlangen der Bauchemie einiges ab. Im Interview erklärt Axel Giesecke, Produktmanager für Silikone bei Dow, wie sich die Trends bei der Entwicklung neuer bauchemischer Materialien bemerkbar machen.

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Herr Giesecke, was sind derzeitige Trends bei bauchemischen Materialien?

Axel Giesecke: Megatrends wie Urbanisierung, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit sind Motoren der modernen Architektur und für die Anforderungen, die Gebäudeeigentümer stellen. Daher wirken sich diese Megatrends auch auf Entwicklungstendenzen und Innovationen bei bauchemischen Materialien aus. Das, was heute als ‚Standardlösung‘ für die Formulierung von Baustoffen gilt, könnte den Anforderungen von morgen schon nicht mehr entsprechen. Wir werden Baustoffe mit verbesserten Leistungsmerkmalen und im Hinblick auf bauchemische Zusätze immer komplexere Formulierungen sehen, sodass beständig wachsende Anforderungen erfüllt werden können.

Das heißt, nicht nur die Eigenschaften und Merkmale einzelner Zusätze bedürfen der Weiterentwicklung, um zukünftigen Bedürfnissen gerecht zu werden, auch die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen bauchemischen Materialien oder Technologien in einer Formulierung müssen gut verstanden und gesteuert werden. Lösungen könnten beispielsweise die folgenden chemischen Zusammensetzungen umfassen: Silikone, Latexpulver, Celluloseether und/oder Acryl-Polymere.

Axel Giesecke Dow

Axel Giesecke, Global Product Manager Silicones, Dow Building & Construction

In welchem Umfang können bauchemische Materialien die notwendigen Eigenschaften für umweltfreundliche Gebäude wie Niedrigenergiehäuser bieten?

Giesecke: Modernste, auf Anwendungen im Bauwesen zugeschnittene chemische Stoffe müssen eine hohe Effizienz aufweisen und bei niedrigen Zugabemengen sehr leistungsfähig und zuverlässig in ihrer Wirkung sein. Niedrigenergiehäuser oder umweltfreundliche Gebäude bauen meist auf thermisch effizienten, gut gedämmten Gebäudehüllen auf. Wasser beispielsweise ist ein großer Feind von thermischer Effizienz und Dämmung. Zum einen, da Wasser die Qualitätsverschlechterung von Baumaterialien beschleunigt und damit die Haltbarkeit verringert, und zum anderen, da die Wasser- oder Feuchtigkeitsaufnahme von Dämmstoffen zu einer Zunahme der Leitfähigkeit und demzufolge zu einem Verlust der Dämmeigenschaften führt.

„Wasser ist ein großer Feind von thermischer Effizienz“

Innovative, Silikon-basierte, eingebaute wasserabweisende Zusätze in einer Zugabemenge von 0,5% und darunter können die Wasseraufnahme von Baustoffen abhängig vom Material und von der Formulierung um bis zu 80% und mehr senken. Das ist sehr eindrucksvoll, nicht nur in technischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht: der Leistungsgewinn ist weit höher als die zu übernehmenden Kosten. Moderne bauchemische Zusätze sind zweifellos die Wegbereiter für die Entwicklungstendenzen in der Bauindustrie von heute und die sich daraus ergebenden Leistungsanforderungen.

Wie definieren Sie Nachhaltigkeit und wo in der Branche der Bauchemie erkennen Sie die Umsetzung?

Giesecke: Nachhaltigkeit besteht im Zusammenfließen von hauptsächlich drei Elementen, die oft auch als die drei Säulen der Nachhaltigkeit bezeichnet werden: Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft. So betrachtet ist Nachhaltigkeit ein sehr komplexes und breit gefasstes Thema, das verschiedene Aspekte einschließt und verschiedene Facetten hat. Themen, an die man bei nachhaltigen Gebäuden zuerst denkt, sind Haltbarkeit, aber auch Energieeffizienz, Umweltauswirkungen und der CO2-Fußabdruck. Hier drängt sich wieder das Beispiel von Wasser und dessen negativer Wirkung auf die Haltbarkeit und Energieeffizienz auf, aber man denkt auch an die Umweltauswirkungen von Baustoffen.

„Die Leistung muss sehr beständig sein“

Intelligente bauchemische Materialien können die Wasseraufnahme von Baustoffen und deren negative Auswirkungen auf die Haltbarkeit und Energieeffizienz stark einschränken und zu einem nachhaltigeren Bau führen. Bricht man die Definition von Nachhaltigkeit bis auf die Ebene des bauchemischen Zusatzes selbst herunter, würde das meiner Meinung nach heißen, dass die Leistung sehr beständig sein muss (lange Haltbarkeit) und dass die Energieeinsparung, zu der der Zusatz über seine erwartete Lebensdauer hinweg beiträgt, die in den Zusatz eingeflossene Energie übersteigen sollte. Aus wirtschaftlicher Sicht hieße das, dass der dem Gebäude innewohnende Wert die Anfangsinvestition (Kosten des bauchemischen Zusatzes) übersteigen sollte. Innovative bauchemische Materialien können solche Erwartungen erfüllen.

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