Historischer Rückblick: Blei, Blei, Blei sind alle meine Farben
Der leicht gelbstichige, warme Weißton und das hohe Deckvermögen in Leinölfirnessen machten Bleiweiß zum idealen Weißpigment zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Die Herstellung war zu der Zeit recht langwierig und auch ein wenig kurios. Um 1910 etwa unterschied man zwischen drei Verfahren: das holländische, das deutsche und das französische.
Beim holländischen Verfahren bedeckt man den Boden einer Grube mit frischem Pferdemist, stellt eine Lage Gefäße mit Blei darüber, deckt das Ganze mit Pferdemist ab und das in mehreren Lagen. Die Gärung sorgt für die nötige essig- und kohlensaure Atmosphäre und wandelt damit in vier bis sechs Wochen das Blei um. Das entstandene Bleiweiß hat allerdings einen größeren Gelbstich als bei der deutschen Methode. Dafür bedampfte man Bleibleche, die auf Latten in einem geschlossenen Raum liegen, über einen Zeitraum von fünf bis sechs Wochen, mit einer Mischung aus Essig- und Kohlensäure. Das gebildete Bleiweiß oder auch Bleicarbonat fiel nach unten in Auffangwannen, wurde gewaschen und vermahlen. Das französische Verfahren nutzt schon essigsaures Blei, das bei einigen industriellen, chemischen Reaktionen als Nebenprodukt anfällt. Allerdings hat dieses Material nicht das Deckvermögen der anderen beiden Varianten.
Bleimennige ist das rot-orange, geglühte Bleiweiß oder Bleioxid. Diese Pigmente fanden ihren Einsatz vor allem in Eisenschutzfarben. Dies ist einer der Gründe, warum Grundierungen heute noch gerne in rot/rostbraun gefertigt werden – man hat sich einfach an den Farbton gewöhnt.
Alle bleibasierten Pigmente haben gemein, dass sie gleichzeitig auch sikkativierend auf ölbasierte Farben wirken. Das liegt an den vorhandenen Metallionen, die durch ständige Oxidation und Reduktion Radikale bilden. Diese Eigenschaft nutze man für die Trockenstoffe. Zur Herstellung wird Bleiglätte (Bleioxid) erhitzt mit zum Beispiel Leinöl. Dabei entsteht Bleioleat. Im Gegensatz zum Kobaltoleat trocknet das Bleisikkativ den Film von unten nach oben, verhindert also in dickeren Schichten Hautbildung und damit nicht durchtrocknende Lacke. Manganoleat verhält sich ähnlich, kann aber aufgrund der Farbe nicht in hellen Lacken eingesetzt werden.
Verbot von Blei
Diese guten Lackeigenschaften machte man sich bis 1921 uneingeschränkt zu Nutzen. Zu diesem Zeitpunkt wurde ein Verbot für die Verwendung in Innenanstrichen erlassen, aber erst seit 1989 ist Blei in Beschichtungen komplett verboten. Bis dahin waren chronische Bleivergiftungen eine häufige Berufskrankheit von Malern und Lackierern – auch wenn bereits 1905 ein Blei-Merkblatt ausgegeben wurde, in dem genaue Anweisungen, wie Staubvermeidung beim Schleifen und kein Einarbeiten von Bleiweiß per Hand, beschrieben waren.
Diese Maßnahmen gelten noch heute – 30 Jahre nach dem Verbot – für den Umgang mit Altanstrichen. Sollten diese Blei enthalten, dürfen sie nicht ohne hohen persönlichen und organisatorischen Arbeitsschutz bearbeitet werden. In den USA sollten Lackhersteller sogar an den Kosten für die Bearbeitung und Entsorgung der bleihaltigen Farben per Gerichtsurteil beteiligt werden. Dies wurde in letzter Instanz 2008 abgelehnt.
Blei ist also inzwischen abgelöst von ungiftigeren Alternativen, meist ohne Qualitätseinbußen, zum Wohle aller.
Von Nina Musche