„Digitalisierung ist mehr, als das schwarze Brett durch einen Bildschirm zu ersetzen“

Um die Digitalisierung der deutschen Industrie ist es garnicht so schlecht bestellt. Das sagen zumindest Jeppe Hau Knudsen und Jochen Carle von der Unternehmensberatung Executive now. Im Interview erklären sie warum und worauf Unternehmen achten müssen.

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Teilen Sie den Eindruck mancher Marktteilnehmer, die meinen, dass es um die Digitalisierung in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern ziemlich schlecht bestellt ist?

Carle: Das denken wir eher nicht. Ich bin überzeugt, dass diesbezüglich hierzulande sehr viel getan wird, man aber dazu neigt, nicht überschwänglich darüber zu berichten, solange man nicht fertig ist. Am wichtigsten ist, dass alle verstanden haben, dass man was tun muss. Allerdings ist sehr viel Unsicherheit vorhanden. Die Unternehmer fragen sich: „Was genau müssen wir tun? Wie genau, womit genau und ist das nicht sehr teuer und am Ende völlig sinnlos?“

Es ist wie immer: wenn man sich mit einem Thema beschäftigt, das relativ komplex ist, dann erscheint es ziemlich undurchschaubar, aber wenn man sich einmal intensiv damit befasst hat, dann wird man feststellen, dass die Thematik dann doch nicht so kompliziert ist. Man muss das Ganze im Prinzip nur einmal konsequent zu Ende denken.

Vor allem muss man sich mit der Frage beschäftigen: Welche Lösungen gibt es denn, die man aus dem ‚Regal‘ nehmen kann, um damit direkt Verbesserungen im Unternehmen zu erzielen. Außerdem muss man akzeptieren, dass man für die anstehenden Aufgaben engagierte Mitarbeiter braucht. Dazu gehört es, dass man diesen Mitarbeitern die Freiheit gibt, Dinge auszuprobieren. Es sollten auch kontrollierte Versuche mit klaren Zielen möglich sein, die, egal ob sie erfolgreich sind oder nicht, ernsthaft diskutiert werden.

Was ist eigentlich grundsätzlich unter digitalem Wandel zu verstehen?

Knudsen: Wir stehen auf dem Standpunkt, dass Digitalisierung weniger mit IT und Servern im Keller zu tun hat, sondern vielmehr als kultureller Wandel zu begreifen ist. Wenn nur die Führungsspitze über Digitalisierung nachdenkt, dann wird sie scheitern.

Jeppe Hau Knudsen

Jeppe Hau Knudsen ist CEO der Unternehmensberatung executive now. Nach seiner Ausbildung an der „Danish Business School“ hat er unter anderem bei Hugo Boss und Daimler Chrysler gearbeitet.

Die Abteilungen eines Unternehmens müssen sich viel stärker als bisher horizontal vernetzen. Nur so können Informationen schnell und ungefiltert an die richtigen Schaltstellen kommen. Denn Qualität definiert sich nicht nur über die Eigenschaften eines Produkts, sondern auch über die Schnelligkeit, mit der auf die Bedürfnisse der Kunden reagiert werden kann.

Ist es vielleicht genau das, was sowohl bei Führungskräften als auch bei Mitarbeitern Ängste auslöst?

Knudsen: Ja und nein. Warum haben Menschen Angst im Dunkeln? Weil sie nicht wissen, was um sie herum geschieht. Genau das ist unsere Aufgabe, den Menschen ihre Ängste vor der Digitalisierung zu nehmen. Wir versuchen Licht ins Dunkel zu bringen, so dass man keine Angst davor haben muss. Ganz im Gegenteil sagen wir den Menschen, dass digitaler Wandel nicht Risiko bedeutet, sondern fantastische Chancen bietet.

Wer allerdings nicht versteht, was digitale Transformation bedeutet, wird scheitern. Rund 40 % der Unternehmen werden laut einer Studie von der Bildfläche verschwinden. Für diejenigen die bleiben, werden goldene Zeiten anbrechen. Das Risiko besteht darin zu glauben, dass man immer noch so handeln kann wie früher.

Unternehmen müssen für den digitalen Wandel sehr stark investieren. Vielfach stehen sie allerdings vor der Schwierigkeit, die richtigen Stellen dafür auszumachen.

Carle: Ja, sicherlich besteht die Notwendigkeit zu investieren. Zunächst sollte man aber klären, welches Kundenproblem gelöst werden soll. Mit diesem konkreten Nutzen im Fokus ist die Investition dann nur der nächste logische Schritt.

Jochen Carle

Jochen Carle ist Senior Partner der executive now GmbH. Der gelernte Kaufmann hat sich während seiner ersten 15 Jahren seines Berufslebens hauptsächlich mit IT befasst.

Es gibt inzwischen viele gut funktionierenden Lösungen, mit denen man den digitalen Wandel erfolgreich angehen kann. IT ist keine Geheimwissenschaft. Und natürlich raten wir jedem Unternehmer, sich mit Freunden, anderen Unternehmern zu unterhalten, die in ähnlichen Situationen sind oder waren. Man kann da viel lernen.

Knudsen: Zurück zur Unternehmenskultur. In vielen Firmen trauen sich Mitarbeiter nicht zu sagen, was wirklich gesagt werden müsste. Führungsverantwortliche reagieren oft ziemlich empfindlich auf Vorschläge zu Veränderungen an bestehenden Prozessen. Deshalb führen solche Diskussionen mit Bordmitteln an der Stelle nicht weiter. Dabei können Externe einen Beitrag leisten.

Wie geht man den digitalen Wandel am besten an?

Carle: Zunächst muss eine gründliche Analyse erfolgen. Dazu gehört es, mit seinen wichtigen Kunden zu reden, sie nach ihren Erwartungen zu befragen: „Was fehlt euch, wo bin ich schon gut?“ Das muss ein ernsthafter, offener Dialog sein. „Sag es mir ungeschönt – nicht amerikanisch, sondern auf deutsch.“ Daraus entwickelt man eine langfristige Strategie, die die notwendigen Veränderungen im Unternehmen beinhaltet, wozu beispielsweise mehr Flexibilität gehören könnte – ein wichtiger Punkt, wenn man Technologiediskussionen führt. Anschließend muss man sich Gedanken darüber machen, wie die Organisation im Unternehmen diese Strategie umsetzen kann. Und schließlich sucht man sich die passenden Werkzeuge und Methoden zusammen, um die Ziele umzusetzen.

Ist es richtig, wenn man sagt, die digitalen Bausteine sind eigentlich nur Hilfsmittel und das Verhalten gegenüber den Kunden ist entscheidend für den Erfolg?

Carle: Das gilt für alle Branchen. Die digitalen Bausteine sorgen nur dafür, dass wir schnell und effizient genug sind, um dem Kunden den Service zu bieten, den er von uns erwartet.

Knudsen: Unternehmer sollten sich eine Vorstellung davon machen können, wohin die Reise ihrer Firma in Zukunft gehen soll. Ein gradueller Verbesserungsprozess reicht heute leider nicht mehr aus. Es wird einen gesellschaftlichen und kulturellen Wandel außerhalb des Unternehmens geben, der uns zwingen wird, selbst anders zu handeln. Ansonsten wird es passieren, dass wir morgens aufstehen und ein wichtiger Kunde ist abgesprungen, weil er uns nicht als Partner für die Zukunft gesehen hat.

Wie lässt sich sicherstellen, dass man auf seinem Weg zum Ziel in den Bemühungen nicht nachlässt?

Knudsen: Das ist ein abendfüllendes Thema…

Carle: Die einfache Antwort: Lösen Sie sich von „PowerPoint“ und Steering Committees und betrachten das Ganze sehr nachhaltig als Projekt, das jederzeit für das ganze Unternehmen transparent ist. Jeder beteiligte Mitarbeiter muss seine Prozessfortschritte transparent und für seine Kollegen sichtbar dokumentieren und deutlich zeigen, wo er mit seinem Beitrag steht. So entsteht eine gegenseitige Ertüchtigungswelle.

Knudsen: Wenn man den Digitalisierungsprozess richtig umsetzt, dann steht keine Aufgabe isoliert da, sondern sie strahlt mindestens auf vor- und nachgeschaltete Abteilungen aus. Wir hören sehr oft, dass Links nicht weiß was Rechts tut. Das gehört eben auch zum erforderlichen kulturellen Wandel. Die höhere Geschwindigkeit, die bei den Entscheidungsprozessen heute erforderlich ist, setzt voraus, dass alle genau wissen, wo man gegenwärtig steht. So wächst auch die Bereitschaft, sich gegenseitig zu unterstützen.

Braucht ein kleines Unternehmen mehr Mut, weil man mehr Zeit investieren muss?

Knudsen: Auf keinen Fall. Aus meiner Sicht erfordert es mehr Mut, das Thema nicht anzugehen, weil die kleineren Unternehmen noch stärker gefährdet sind.

Wie sinnvoll ist es, neueste Digitalisierungstrends aufzugreifen?

Carle: Wenn es kein Selbstzweck ist, dann ist das eine gute Idee. Aber wenn man selbst nicht mit einfachen Worten erklären kann, worum es bei der Technologie oder der Methode geht, sollte man sein Ohr auf der Schiene halten und sich zunächst nur weiter informieren. Und wenn man es sich leisten kann, dann sollte man auch neue Methoden ausprobieren, solange sie zur Vision passen.

Digitalisierung darf grundsätzlich nicht Selbstzweck sein, sondern man muss sich immer fragen, welches Kundenbedürfnis lösen wir denn damit.

Das Interview führte Bernhard Flacke

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