Des Asphalts wundersame Heilung
Konzentriert blickt Etienne Jeoffroy durch seine Schutzbrille.
Den Straßenbau revolutionieren
Mit einem kleinen Löffel rührt er ein kupferfarbenes Pulver in ein Reagenzglas. Was aussieht wie Kupferpulver, sind in Wirklichkeit Eisenoxid-Nanopartikel. Beim Arbeiten mit ihnen muss Jeoffroy seine Hände in einen sogenannten Autoklaven stecken, einen Glaskasten, dessen Innenraum mit reaktionsträgem Schutzgas gefüllt ist. Normalerweise forschen Wissenschaftler der ETH Zürich in diesem Labor an sogenannten bioinspirierten Materialien. Heute gehört der Arbeitsplatz dem Doktoranden aus der Empa-Abteilung Road Engineering: Jeoffroy will mit den Eisen-Nanopartikeln versuchen, den Straßenbau zu revolutionieren.
Abnutzung durch Straßenverkehr
Um Asphalt zu mischen, wird im Straßenbau Bitumen verwendet, ein Material, das bei der Verarbeitung von Erdöl gewonnen wird. Bitumen ist pechschwarz, extrem dickflüssig und klebrig. Es fungiert im Straßenbelag als eine Art Leim, der kleine Steine und Sand zusammenhält. Durch Abnutzung, Temperaturunterschiede oder chemische Substanzen wie Luftsauerstoff wird dieser Leim brüchig. Es entstehen mit der Zeit Risse im Asphalt. Die sind anfangs mikroskopisch klein, vergrößern sich dann stetig unter der ständigen Belastung des Straßenverkehrs. Das führt über kurz oder lang dazu, dass ganze Straßenabschnitte repariert werden müssen, was bedeutet: hohe Kosten, Baustellen, Stau.
Eisenoxid-Nanopartikel ins Bitumen mischen
Damit dies in Zukunft vermieden werden kann, hat Jeoffroy eine Art heilbares Bitumen entwickelt. Die Idee ist es, die Risse im Belag zu schließen, solange sie noch klein sind. „Wenn man die Risse von bloßem Auge sehen kann, ist es bereits zu spät“, erklärt er. Um das Material heilbar zu machen, mischt Jeoffroy Eisenoxid-Nanopartikel ins Bitumen. Werden sie einem Magnetfeld ausgesetzt, erwärmen sie sich. Die Wärme wird an das Bitumen abgegeben, welches bereits bei Temperaturen von 50 bis 100 Grad seine Viskosität stark reduziert. Das heisst, es beginnt langsam wieder flüssig zu werden und schließt die kleinen Risse in der Oberfläche der Straße. Um eine so vorbereitete Strasse instand zu halten, müsste man sie in Abständen von etwa einem Jahr mit einem Spezialfahrzeug abfahren, welches ein magnetisches Feld erzeugt. So würden Mikrorisse im Asphalt immer wieder geheilt, und der Strassenbelag würde deutlich länger halten.
Erste Versuche mit Stahlwolle-Fasern
Vor einigen Jahren verfolgte das Road-Engineering-Labor der Empa bereits einen ähnlichen Ansatz. Anstelle von Nanopartikeln verwendeten die Forschenden damals noch Stahlwolle-Fasern. Das Verfahren wies jedoch drei Schwächen auf: Die Fasern waren schwierig mit dem Bitumen zu vermischen. Anstatt sich gleichmäßig zu verteilen, bildeten sich an verschiedenen Stellen Klumpen. Jeoffroy nennt das den „Wollknäuel-Effekt“. Er führte zu lokalen Überhitzungen, wenn die Fasern sich unter der Wirkung eines Magnetfelds erhitzten. So könnten Schäden im Belag entstehen. Ein weiterer Punkt war die Korrosion der Fasern. Da sie aus Stahlwolle bestanden, bildete sich nach einer gewissen Zeit Rost an der Oberfläche.
Heilungszeit war zu lang
Das weitaus größte Problem aber war, dass sich Metallfasern dieser Größe in einem Magnetfeld nur langsam erwärmen. So hätte man für die Heilung eines halben Meters Straße mehrere Minuten gebraucht. Das macht, hochgerechnet auf einen 12 Kilometer langen Strassenabschnitt (ungefähr die Länge der Nordumfahrung Zürichs) eine Heilungszeit von ein bis zwei Monaten. Da man eine Strasse zur Behandlung mit dem Magnetfeld-Fahrzeug sperren muss, wäre eine solch lange Servicezeit schlichtweg unrealistisch.
Um die Schwachpunkte der alten Methode zu beheben, verfolgte Jeoffroy verschiedene Lösungsansätze. Als erstes verwendete er an Stelle von Stahlwolle-Fasern Stahlpartikel im Millimeterbereich. So umging er zwar den „Wollknäuel-Effekt§, hatte aber immer noch das Problem der Korrosion und der zwar etwas verkürzten, aber immer noch viel zu langen Aufheizzeit.
Lösung aus der Hightech-Medizin
Schließlich fand Jeoffroy in der Medizin eine Lösung: Magnetische Hyperthermie ist ein Verfahren, das seit einigen Jahren bei der Bekämpfung von Krebstumoren zum Einsatz kommt. Dabei werden magnetische Eisenoxid-Nanopartikel in den Tumor gespritzt und, genau wie beim Asphalt, von aussen einem Magnetfeld ausgesetzt und erhitzt. Der Tumor soll auf diese Weise von innen her ausgebrannt und zerstört werden.
Inspiriert von diesem Verfahren, ging Jeoffroy zwei Grössenordnungen tiefer – vom Millimeter- in den Nanometerbereich – und setzte anstelle von metallischen Stahlpartikeln magnetische Nanopartikel ein. „Je kleiner dabei die Teilchen sind, desto schneller erwärmen sie sich“, erklärt Jeoffroy. Tatsächlich gelang es ihm mit Hilfe der Eisenoxid-Nanopartikel aus der Krebsbekämpfung, die Aufwärmzeit auf wenige Sekunden zu verkürzen. Gleichzeitig lösten die Nanopartikel das Rostproblem. Eisenoxid ist kein Metall, und wo kein Metall, da entsteht auch kein Rost.
Nie wieder Risse im Belag
Tests mit dem Nanopartikel-Bitumen verliefen allesamt sehr vielversprechend. «Bei einem Asphalt mit diesem Bitumen werden nie wieder Risse im Belag der Grund sein, wieso ein Strassenstück erneuert werden muss», verkündet er. Auch gesundheitlich sei das Verfahren unbedenklich. Die ohnehin biokompatiblen Eisenoxid-Nanopartikel, werden im Bitumen so stark gebunden, dass sie praktisch nie wieder «freikommen».
Einziger Haken ist der Preis
Der einzige Haken an Jeoffroys Methode ist derzeit ihr Preis. Die verwendeten Nanopartikel sind momentan viel zu teuer für eine tatsächliche Anwendung. Doch auch für dieses Problem meint Jeoffroy eine Lösung zu kennen: In einem ganz anderen Bereich der Wirtschaft hat er ähnliche Nanopartikel gefunden, die sich, seiner Meinung nach, ebenfalls für das Verfahren eigneten. Sie seien zwar minim grösser als die Nanopartikel aus der Krebsheilung, dafür viel billiger. Das macht das Bitumen markttauglich. Ein Jahr muss Jeoffroy noch auf die Bestätigung seines Patents warten. Diese Zeit will er nutzen, um die neuen Partikel auszuprobieren und um sein Verfahren in der Praxis zu testen. „Im Labor hat alles funktioniert. Jetzt muss es das auch noch draußen“, sagt er. Seine Laborkleidung wird Jeoffroy also schon bald ablegen, denn nun gilt es für den Doktoranden, die Forschungsräume zu verlassen und seinen Asphalt den Strapazen der Strasse auszusetzen.